Zittern gegen Diabetes? Wiederholte kurze Kälteeinwirkung senkt Nüchternblutzucker, Blutfette und Blutdruck

Becky McCall

Interessenkonflikte

29. September 2022

Stockholm – Kältezittern bei wiederholter kurzer Kälteeinwirkung verbessert die Glukosetoleranz und senkt deutlich den Nüchternblutzucker, die Blutfette sowie den Blutdruck. Diese Befunde stammen aus einer neuen Studie an Erwachsenen mit Übergewicht und Adipositas.

Adam Sellers, Doktorand an der Universität Maastricht, präsentierte die vorläufigen Ergebnisse auf der diesjährigen Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) [1]: „Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend und könnten möglicherweise eine alternative Behandlung oder Präventionsmaßnahme beim Typ-2-Diabetes bedeuten.“

Demnach führten täglich einstündige Sitzungen mit Kältezittern bei 10°C über 10 Tage bei 85% der Teilnehmenden zu einer Absenkung des Nüchternblutzuckers, bei 32% zu einer Verringerung der Blutfettwerte und bei 8% zu einem Rückgang des Blutdrucks.

Obwohl Kälte bekanntermaßen den Anteil an braunem Fett erhöht, glaubt Sellers nicht, dass dies seine Ergebnisse erklärt: „Diese Untersuchung deutet in Kombination mit 2 früheren Studien darauf hin, dass das Zittern und die Skelettmuskulatur eine größere Rolle spielen als das braune Fett. Muskeln können sich mechanisch zusammenziehen – also zittern – und dadurch Wärme erzeugen, und der Mensch hat wesentlich mehr Muskeln als braunes Fett, sodass beim Zittern mehr Kalorien verbrannt und mehr Wärme erzeugt werden kann.“

 
Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend und könnten möglicherweise eine alternative Behandlung oder Präventionsmaßnahme beim Typ-2-Diabetes bedeuten. Adam Sellers
 

Er fügte hinzu, dass es in Zukunft, ähnlich wie in Saunen und Dampfbädern, Kälteräume geben könnte, in denen Menschen sitzen und zittern, oder dass möglicherweise Patienten ins Krankenhaus kommen und dort kontrolliert ein Kältezittern erzeugt wird.

Dr. Anna Krook, Professorin für integrative Physiologie am Stockholmer Karolinska-Institut, hält die Ergebnisse für „aussagekräftig“, zumal sie die metabolische Wirkung des Zitterns belegten. „In Anbetracht der von den Probanden aufgewandten Zeit von täglich einer Stunde über 10 Tage frage ich mich, ob eine Stunde tägliche Bewegung nicht ähnlich starke Auswirkungen hat. Vielleicht wäre dies aber für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer keinen Sport treiben können, eine geeignete Alternative.“

Sie wies darauf hin, dass es bei der Umsetzung in die Praxis „wirklich darauf ankommt, wie erträglich dies ist. Es zeigt auch, wie wichtig unsere Muskeln für die Regulierung des Stoffwechsels sind. Die Studie hat gezeigt, dass man zittern muss und dass es nicht ausreicht, einfach nur zu frieren, was Auswirkungen auf die Rolle des braunen Fettes hat, insbesondere wenn man bedenkt, wie wenig braunes Fett wir haben und wie viel Muskeln, die ja die Hälfte des Körpergewichts ausmachen können.“

Und Dr. Denis P. Blondin sagte: „Wir wissen, dass es für adipöse Menschen schwierig und sogar schmerzhaft sein kann, Sport zu treiben. Daher bietet die Kälteexposition eine passive Möglichkeit, das Stoffwechselprofil und die kardiovaskuläre Gesundheit zu verbessern. Manch einer wird jetzt sagen, dass es unrealistisch sei, Kälteexposition als Therapie vorzuschlagen, aber die Leute übersehen die Tatsache, dass Kälteexposition (meist durch Eintauchen in kaltes Wasser) in den letzten 5 Jahren an Popularität gewonnen hat und auch in vielen nordischen Ländern ein etabliertes kulturelles Erbe ist, wenngleich dort auch oft in Kombination mit einer Wärmeexposition. Man denke hier natürlich etwa an das Saunen oder das Kaltwasserschwimmen in Finnland“, fügte Blondin von der medizinischen Fakultät der Universität Sherbrooke im kanadischen Quebec hinzu.

 
In Anbetracht der von den Probanden aufgewandten Zeit von täglich einer Stunde über 10 Tage frage ich mich, ob eine Stunde tägliche Bewegung nicht ähnlich starke Auswirkungen hat. Dr. Anna Krook
 

„Zu Beginn kann es sicherlich unangenehm sein, wie etwa am Anfang eines Trainingsprogramms, aber man gewöhnt sich sehr schnell daran“, fügte er hinzu.

Kältezittern durch eine Stunde in einem Kaltwasseranzug

In der aktuellen Studie setzte Sellers adipöse Versuchspersonen im Alter zwischen 40 und 75 Jahren (11 Männer und 4 postmenopausale Frauen; BMI 27–35 kg/m²) an 10 aufeinanderfolgenden Tagen für jeweils mindestens eine Stunde einem Kältereiz aus.

„Das Kältezittern war in dieser neuen Studie intensiver als in früheren. Es wurde allerdings auch durch eine andere Art der Kälteexposition erzeugt, nämlich über einen mit 10°C kaltem Wasser durchströmten Anzug, während in einer früheren Studie über 6 Stunden täglich mit 14–15°C gekühlt wurde. Dies ermöglichte eine kürzere Kälteexposition, die von den Teilnehmenden als machbar angesehen wurde“, erklärte Sellers.

 
Daher bietet die Kälteexposition eine passive Möglichkeit, das Stoffwechselprofil und die kardiovaskuläre Gesundheit zu verbessern. Dr. Denis P. Blondin
 

„Am Anfang der Studie wiesen die Teilnehmenden hochnormale Glukose- und HbA1c-Werte auf, nämlich im Mittel 5,5 mmol/l bzw. 5,4 Prozent“, sagte er weiter und bezog sich dabei auf Messwerte, die auf eine mögliche Entwicklung hin zu einem Typ-2-Diabetes wiesen.

Dann beschrieb er die Durchführung der Kälteexposition: „Wir haben den Kältereiz über einen wasserdurchlässigen Anzug erzeugt, durch den auf 10°C temperiertes Wasser floss, das den Teilnehmer abkühlte, bis das Kältezittern einsetzte. Diese Prozedur wurde über 10 Tage jeden Morgen für mindestens eine Stunde wiederholt.“

Das Kältezittern selbst wurde durch Oberflächen-Elektromyographie und Beobachtung bestätigt. Vor und nach der 10-tägigen Kälteanwendung wurden morgens der Blutdruck und der Nüchternblutzucker gemessen, nachdem die Versuchspersonen über Nacht nüchtern blieben und unter thermoneutralen Bedingungen geruht hatten. Ebenso wurden 2 OGTT morgens über jeweils 2 Stunden vor und nach den 10 Tagen durchgeführt.

Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Gesamtfläche unter der Kurve der Glukosespiegel im Verlauf des OGTT nach der 10-tägigen Kur. „Dieser Wert gilt als Maß der Glukosekonzentration im Blut vor und nach den 10 Kälteanwendungen.“

Für die Studie wurde das Kältezittern durch einen wasserdurchlässigen Anzug ausgelöst.

Nüchternglukose und Blutfette sinken, Glukosetoleranz verbessert sich

Nach den 10 Tagen sank der mittlere Nüchternglukosewert im Plasma bei 13 der 15 Teilnehmenden im Vergleich zu den Werten vor der ersten Kältesitzung deutlich (von 5,84 mmol/l auf 5,67 mmol/l; p = 0,013).

Die Glukosetoleranz während des OGTT verbesserte sich um 6% (p = 0,041). „Wir sehen, dass dem keine Veränderung der Insulinkonzentration im Blut zugrunde liegt“, sagte Sellers und bezog sich dabei auf die Feststellung, dass sich die Plasmainsulinkonzentration zu Studienbeginn und während der OGTT nicht veränderte.

Die Konzentrationen der Triglyceride und der freien Fettsäuren im Nüchternplasma sanken ebenfalls signifikant um 32% (p = 0,001) bzw. 11% (p = 0,036).

„Dies ist wichtig, weil freie Fettsäuren an der Entstehung der Insulinresistenz beteiligt sind“, so Sellers. „Darüber hinaus könnte der starke Rückgang bei den Triglyceriden positive Auswirkungen auf eine Atherosklerose haben.“

Sellers stellte außerdem fest, dass der systolische Blutdruck um 10 mmHg oder 7,4% (p < 0,001) sank, während der diastolische Blutdruck im Durchschnitt um 7 mmHg oder 8,1% (p < 0,001) zurückging. Diese Senkung war bei allen Teilnehmenden zu beobachten.

Zu Beginn kann es sicherlich unangenehm sein, wie etwa am Anfang eines Trainingsprogramms, aber man gewöhnt sich sehr schnell daran. Dr. Denis P. Blondin

 
Auffallend ist auch hier, dass der Blutdruck bei allen sank. Adam Sellers
 

„Auffallend ist auch hier, dass der Blutdruck bei allen sank“, so Sellers, was seiner Meinung nach mit einer Senkung des Ruhepulses zusammenhängt (p = 0,062).

Braunes Fett oder Skelettmuskelkontraktion?

Für Sellers deuteten die bisherigen Daten darauf hin, dass ein gewisses Maß an leichter Muskelaktivität oder Zittern für die positiven metabolischen Auswirkungen der Kälteanpassung entscheidend zu sein scheint, auch wenn die Thermogenese ohne Zittern abläuft.

„Braunes Fett ist ein metabolisches Heizsystem unseres Körpers mithilfe der Verbrennung von Kalorien“, erklärte er weiter. „Es erzeugt Wärme und verhindert, dass die Kalorien als normales weißes Fett abgelagert werden. Braunes Fett wird bei Kältereizen und beim Essen aktiviert, aber seine Aktivität ist bei älteren Erwachsenen und bei adipösen und diabetischen Personen vermindert. Als nächstes könnten wir die Auswirkungen einer kürzeren aber intensiveren Kälteexposition untersuchen, um die optimale Dauer und Intensität des Kältereizes genauer zu bestimmen.“

Seine Präsentation schloss er dann so: „Unsere Ergebnisse sind vielversprechend und könnten eine große gesundheitliche Relevanz haben. In künftigen Studien wollen wir zudem den Effekt des Kältezitterns bei Erwachsenen mit manifestem Typ-2-Diabetes untersuchen.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

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