Dr. Christian Gogoll ist Lungenfacharzt und selbst von Post-COVID betroffen. Vor seiner COVID-Erkrankung im Januar 2021 war er als Lungenfacharzt und Abteilungsleiter an einer Akutklinik tätig. Seit einem Jahr ist der Oberarzt der Evangelischen Lungenklinik Berlin als Hausarzt in einem Medizinischem Versorgungszentrum (MVZ) in Berlin in Elternzeitvertretung beschäftigt.

Dr. Christian Gogoll
Mit seiner COVID-19-Infektion war er auf der Intensivstation, litt unter Atemnot und einer Myokarditis. Seine Symptome werden nach und nach besser, es gibt gute und schlechte Tage, wie er sagt. Welchen Behandlungs- und Therapieweg er durchlaufen hat, warum der Hausarzt der erste Ansprechpartner sein sollte und was er seinen Kolleginnen und Kollegen rät, lesen Sie hier.
Medscape: Herr Dr. Gogoll, laut aktuellen Schätzungen der WHO könnten mindestens 17 Millionen Europäer von Long- bzw. Post-COVID betroffen sein, leiden also an Symptomen, die Wochen bis Monate nach der eigentlichen Infektion fortbestehen oder erst auftreten. Was sind die 3 häufigsten Symptome?
Gogoll: Eine Belastungsintoleranz, also Schwäche nach Erkrankung, ist nach Corona verbreitet. Eine Sonderform hiervon ist das chronische Fatigue-Syndrom. Weiterhin sind Atemnotbeschwerden, kardiologische Beschwerden und Schwindel verbreitet. Beschwerden wie Haarausfall, Piepsen im Ohr, Veränderungen des Geschmacks- und Geruchssinns, Hautveränderungen und Schlafstörungen sind hartnäckig, aber seltener.
Medscape: Sie sind selbst an der Ausarbeitung der Leitlinie für Long-COVID beteiligt. Was raten Sie Allgemeinmedizinern, wenn ein Patient mit diesen Symptomen in ihre Sprechstunde kommt?
Gogoll: Ist der Patient krankgeschrieben, hat noch Symptome und befindet sich in Quarantäne, sollte er dem Hausarzt bereits wegen der Krankschreibung bekannt sein. In einem Intervall von 8 bis 12 Wochen nach dem positiven Test sollte der Patient noch einmal beim Hausarzt auf fortbestehende Beschwerden untersucht werden. Der Hausarzt ist schließlich Profi. Er kann entscheiden: Gehört dieser Patient zum Neurologen, Kardiologen oder Pneumologen?
Der Hausarzt kann aber selbst eine akute Erkrankung erkennen und im Notfall eine Diagnostik durchführen. Dafür hat er Stethoskop, EKG, Laborwerte und ein Ultraschallgerät. Er kann sicherlich nicht alles machen. Aber es ist kein Hexenwerk. Es gibt keinen spezifischen Laborwert bzw. Antikörper, den man bestimmen muss.
Medscape: Wann ist eine Überweisung an einen Facharzt nötig, und was kann der Hausarzt selbst in seiner Praxis veranlassen?
Gogoll: Im Idealfall hat der Hausarzt einen guten Draht hat zu einem Pneumologen oder Kardiologen und kann die Patienten zur Abklärung weiterüberweisen. Dieselben Beschwerden gibt es auch nach Pneumonien und Grippe, nur selten handelt es sich um eine plötzlich auftretende Schwäche. In der Leitliniengruppe waren wir uns einig, dass der Hausarzt diese Patienten sehr gut kennt und deshalb genau weiß, was zu tun ist. Sie kommen auch zu ihm nach Epstein-Barr-Virus-Infektionen, Grippe, Pneumonie oder nach einem Krankenhausaufenthalt.
Die Long/Post-COVID-Leitlinie enthält im Supplement für Hausärzte die Red Flags. Hat der Patient z.B. ringförmige Schmerzen im Brustkorb, muss sofort gehandelt werden. Auch für Schwindel gibt es bereits eine Leitlinie. Das ist komplex und eine Herausforderung für den Hausarzt. Für Fatigue gibt es die aktuelle Leitlinie von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen als Kompass. Für postinfektiösen Husten beispielsweise braucht man nicht unbedingt einen Pneumologen. Die Leitlinie für Husten empfiehlt eine Versorgung mit Asthmaspray, um die Atemwege erst einmal zu beruhigen. Wichtig ist jedoch, dass anhaltenden Beschwerden unbedingt nachgegangen wird.
Medscape: Wie fließt Ihre eigene Erfahrung und Krankheitsgeschichte jetzt in Ihre Praxisgespräche mit ein?
Gogoll: Ich merke im Umgang mit den Patienten, nicht nur bei Post-COVID-Patienten, dass sich meine eigene Wahrnehmung für chronische Erkrankungen, Atemnot oder ein unbestimmtes Unwohlsein, das der Patient nicht genau beschreiben kann, deutlich gebessert hat. Ich weiß jetzt konkreter, was es bedeutet, wenn die Patienten sagen: Vor kurzem bin ich noch problemlos in die 2. Etage gekommen, und jetzt muss ich nach der 1. Etage eine Pause machen. Man weiß nicht, ob der Patient untrainiert ist, die Einkaufstasche einfach zu schwer oder tatsächlich eine schwere Erkrankung vorliegt.
Wenn man solche Zustände selbst erlebt hat, man Atemnot hat oder einfach Hilfe beim Einkaufen benötigt, aber der Arzt findet nichts, dann ist das schon sehr belastend. Dafür habe ich jetzt ein besseres Verständnis entwickelt und auch dafür, dass man genauer nachfragen kann und muss.
Medscape: Wie ist der weitere Verlauf der Therapie?
Gogoll: Die Atemphysiotherapie ist ein wichtiger Therapiebaustein. Meiner Meinung nach kann man dies auch bereits vor einer Rehabilitation verordnen, da es sehr lange dauert, bis der Patient dort einen Platz bekommt. Zuvor sollte möglichst eine Abklärung bei einem Facharzt erfolgen. Man muss auch hier erst mal einen Physiotherapeuten finden, aber es ist machbar. Gleiches gilt für Ergotherapie, Logopädie, manuelle Therapie oder klassische Massage. Diese Therapien belasten erst mal nicht das Budget – nach Aussage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) – Post-COVID muss zuvor diagnostiziert worden sein.
Medscape: Wie ist hier das Vorgehen zur Abrechnung?
Gogoll: Alles Ambulante erfolgt vor stationärer Behandlung. Für Heilmittelverordnung gibt es Sonderbedarfe für Atemgymnastik, Manuelle Therapie aber auch für Logopädie. Die Verordnung gilt für ein Quartal.
Die Anmeldung des Rehabilitationsverfahrens erfolgt wie immer über die Krankenkasse, den Rentenversicherungsträger oder die Berufsgenossenschaft – je nachdem, wer gerade für die Kostenübernahme zuständig ist.
Medscape: Wie war es bei Ihnen, was haben Sie durchlaufen, und was hat Ihnen geholfen?
Gogoll: Als Pneumologe und Internist dachte ich, ich kann alles selbst entscheiden. Nach meinem Krankenhausaufenthalt habe ich eine Anschlussheilbehandlung bekommen, aber die Atemnot blieb. Ich bin zum Pneumologen gegangen, zu einer Kollegin. Sie sagte zu mir: „Bist halt zu dick und untrainiert.“ Erst ein halbes Jahr später habe ich einen Termin beim Kardiologen gehabt, der eine Myokarditis feststellte. Vielleicht wäre ich besser gleich zum Hausarzt gegangen! Er hätte bestimmte Sachen abgearbeitet, die Lungenfunktion überprüft und ein Blutbild gemacht und mich vieles strenger abarbeiten lassen. Die Post-COVID-Ambulanzen machen unterm Strich nichts anderes.
Ich habe den klassischen Fehler des Arztes gemacht und in völliger Selbstüberschätzung gedacht, dass ich alles selbst organisieren kann. Dabei wäre es viel schneller gegangen, wenn eine anhand der Beschwerden geleitete Diagnostik durchgeführt worden wäre und der Weg durch den Hausarzt koordiniert worden wäre. Hierzu bilden die KVen bundesweit Netzwerke, denn alle Betroffenen können nicht in den Spezialsprechstunden versorgt werden.
Medscape: Was hat sich verändert seit Ihrer Infektion mit SARS-CoV-2?
Gogoll: Die Tage sind unterschiedlich, aber die guten Tage sind deutlich mehr geworden. Ich mache berufsbegleitend Reha-Sport. Nach dem Krankenhausaufenthalt und diversen Komplikationen bleibt eine deutliche Kurzatmigkeit und Schwäche bei Belastung. Die Arbeitstage hier in dem MVZ mit zum Teil 9 bis 10 Stunden Sprechstunde sind oft noch sehr anstrengend.
Die Konzentrationsfähigkeit ist deutlich besser geworden, ich leide auch nicht mehr an Schlafstörungen. Dabei handelte es sich um sehr hartnäckige Durchschlafstörungen.
Medscape: Was ist bekannt über den Zusammenhang einer Infektion mit SARS-CoV-2 und Schlafstörungen?
Gogoll: Die genauen Mechanismen sind bislang unbekannt. Es werden neben einer Hirnbeteiligung von COVID-19 auch psychogene Ursachen diskutiert. Beispielsweise fand man bei Patienten aus Ischgl, die in einem Schlaflabor untersucht wurden, dass die REM-Phase nicht mehr bewegungsgehemmt ist, wodurch man aufwacht. Eine Tiefschlafphase ist offenbar durch eine neurologische Entzündungsreaktion gehemmt. Von Insomnien, wie ich es erlebt habe, berichten einige in meiner Sprechstunde.
Medscape: 3 Tipps für Ihre Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit Post-COVID Patienten?
Gogoll: Geduld ist sehr wichtig, für den Patienten und für den Arzt. Wir Ärzte müssen diese Patienten wahrnehmen und uns auf dem Laufenden halten. Das ist das Wichtigste. Der Hausarzt hat die Möglichkeit, sich in dem Netzwerk der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zu Long-COVID zu organisieren. Das Netzwerk gibt es bereits in Berlin, in Bayern und entsteht gerade auch in anderen Bundesländern. Hier bekommt man verlässliche Informationen von Kollegen für Kollegen: Was ist gerade machbar, wo ist welche Informationen zu bekommen, und wo können Patienten weiterversorgt werden? Man kann auch Fälle besprechen, bei denen man nicht weiterkommt.
Die Frage bleibt, was mit Patienten passiert, die nach 18 Monaten noch keine Besserung aufweisen. Sie können ihren Beruf nicht mehr ausüben und fallen in die Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeitsrente. Solche Fälle kennen wir bereits aus den Long-COVID-Selbsthilfegruppen. Daraus müssen wir lernen und überlegen, wie solche Patienten wieder zu integrieren sind. Dazu gehört auch, dass die Erkrankung besser erforscht und wahrgenommen wird. Die Zahlen werden ja nicht weniger.
Medscape: Vielen Dank für das Gespräch!
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Credits:
Photographer: © Josieelias
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: „Der Profi ist der Hausarzt“: Ein Pneumologe, selbst an Post-COVID leidend, gibt Kollegen Tipps für die Behandlung von Long-COVID - Medscape - 29. Sep 2022.
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