MEINUNG

Queen Elizabeth II. – ein Historiker über die Langlebigkeit vieler Windsors, ihre Krankheiten und die ärztliche Versorgung

Marc Fröhling & Sebastian Schmidt

Interessenkonflikte

28. September 2022

Nach einem erfüllten und gesunden Leben ist am 8. September 2022 Queen Elisabeth II. gestorben. Über ihren Tod, die Gründe des langen Lebens vieler Royals, die königliche medizinische Versorgung – und über Familienmitglieder aus dem Hause Windsor, die weit weniger Glück mit ihrer Gesundheit hatten, hat Coliquio wir mit dem Arzt, Historiker und Autor Ronald D. Gerste. 

Ronald D. Gerste

Coliquio: Vor kurzem wurde in London Queen Elisabeth II. zu Grabe getragen. Bei aller Trauer blicken wir auf das Leben einer Königin, die so lange auf dem Thron saß, wie keine Regentin und kein Regent in der Geschichte des britischen Empire. Gab es überhaupt nennenswerte Krankengeschichten in ihrem 96 Jahre dauernden Leben?

Gerste: Fast nicht. 2013 war sie für einige Tage stationär in einem Krankenhaus wegen Gastroenteritis. 2018 unterzog sie sich einer Kataraktoperation im King Edward VII. Hospital – dass dieser Eingriff, bei dem die Patienten meist Anfang 70, manchmal auch jünger sind, bei der Queen im Alter von 92 Jahren vorgenommen wurde, sagt sicher einiges über ihre Konstitution aus. Es ist die einzige mir in ihrer Biografie bekannte chirurgische Intervention.

Coliquio: Über die Todesursache wird viel spekuliert. Zuletzt war vom Verdacht des Broken-Heart-Syndroms die Rede. Wie viel spricht aus Ihrer Sicht für eine solche Todesursache?

Gerste: Grundsätzlich sind bei einer 97-jährigen Patientin dem pathognomonischen Spürsinn sicher Grenzen gesetzt. Vereinfacht gesagt: Ihre Zeit war abgelaufen, ihr System müde. Ein Charakteristikum des Broken-Heart-Syndroms ist ja der plötzliche, sehr an einen Herzinfarkt erinnernde thorakale Schmerz. Von einem solchen ist nichts bekannt geworden.

Vielmehr ist auf den Bildern der Königin über die letzten Jahre der Alterungsprozess deutlich zu erkennen. Dass der Tod ihres Gefährten, Prinz Philip, nach fast 74 Ehejahren dazu beigetragen haben dürfte, dass die Kräfte nachlassen, ist sicher richtig – aber das muss sich nicht zwangsläufig in einer akuten Herzmuskelerkrankung wie dem Broken-Heart-Syndrom äußern.

Coliquio: Neben der Queen selbst wurden auch andere britische Royals überdurchschnittlich alt, so zum Beispiel ihr Mann Prinz Philip (99), ihre Mutter Queen Elizabeth the Queen Mum (101) und auch ihre Ururgroßmutter Queen Victoria (81). Eine Untersuchung besagt sogar, dass die Monarchen seit Queen Victoria im Schnitt 30 Jahre länger lebten als ihre Untertanen. Was sind die Gründe für das lange Leben vieler Royals?

 
Die Gründe für das lange Leben vieler Royals? Die gleichen wie bei fast allen Patienten, … die körperlich und geistig fit ein hohes Alter erreichen … : die Kombination aus ‚guten Genen‘ und einer gesunden Lebensführung. Ronald D. Gerste
 

Gerste: Die gleichen wie bei fast allen Patienten, mit denen Medizinerinnen und Mediziner zu tun haben und die körperlich und geistig fit ein hohes Alter erreichen – und bei denen sich manch ein Arzt, manch eine Ärztin neidvoll fragen mag, ob einem selbst das auch gelingen mag: die Kombination aus „guten Genen“ und einer gesunden Lebensführung.

 
Monarch zu sein bedeutet ein privilegiertes Leben zu führen – Stressoren, die „normale Menschen“ krank machen … hat man als Königin nicht. Ronald D. Gerste
 

Im Fall von Elisabeth II. und ihrem Gatten Philip heißt das vor allem: keine Risikofaktoren wie Rauchen und exzessiver Alkoholkonsum, gesunde Ernährung, viel Bewegung an frischer Luft. Beide waren normalgewichtig, waren in jüngeren Jahren körperlich aktiv (vor allem auf dem Rücken von Pferden).

Und seien wir mal ehrlich: Monarch zu sein bedeutet ein privilegiertes Leben zu führen – Stressoren, die „normale Menschen“ krank machen, wie zum Beispiel Geldsorgen, hat man als Königin nicht, viele Alltagsprobleme werden einem vom Dienstpersonal abgenommen, und die medizinische Versorgung ist bestmöglich.

Coliquio: Ein Blick auf die ärztliche Versorgung im britischen Königshaus: Wie hat man sich den medizinischen Stab dort vorzustellen – und wie hat sich dieser in den vergangenen beiden Jahrhunderten entwickelt?

Gerste: Im Königshaus gibt es einen Medical Household, also ein Ärzteteam, das für die Betreuung der königlichen Familie bereitsteht – natürlich nicht rund um die Uhr durch persönliche Anwesenheit, aber wenn ein Arzt oder eine Ärztin gebraucht wird, sind diese schnell verfügbar.

 
Im Königshaus gibt es einen Medical Household, also ein Ärzteteam, das für die Betreuung der königlichen Familie bereitsteht. Ronald D. Gerste
 

Einen solchen Stab hatte schon Queen Victoria – der von 2 Ärzten namens Davis und Wilson sowie der deutschen Hebamme „Fräulein Siebold“ im Mai 1819 auf die Welt geholfen wurde. Während ihrer Regierungszeit wurden neben weniger bekannten Medizinern auch solche Koryphäen wie Joseph Lister (der bei der Appendektomie ihres Sohnes Edward VII. die Anweisungen für eine adäquate Antisepsis gab) zu Mitgliedern dieses Teams ernannt. Für spezifische Aspekte und Fragestellungen werden auf dem jeweiligen Gebiet führende Spezialisten herangezogen – bei Queen Victoria war der berühmteste John Snow, Pionier sowohl der Anästhesie als auch der Epidemiologie, der bei ihren beiden letzten Niederkünften für die Narkose sorgte.

Der Medical Household von Queen Elisabeth II. stand seit 2014 unter der Leitung von Sir Huw Thomas, der Gastroenterologe am St. Mary's Hospital und Professor für Gastrointestinal Genetics am Imperial College London ist. Man kann sich darauf verlassen, dass jedwede Koryphäe gleich welcher Fachrichtung im Vereinigten Königreich seine tägliche Arbeit unterbricht, wenn ein Anruf von einem Mitglied dieses Teams kommt und seine/ihre Expertise im Buckingham Palace oder in Windsor Castle gefragt ist.

Coliquio: Im näheren Familienumfeld der Queen sind allerdings auch Beispiele für längere Krankengeschichten zu finden – etwa ihr Vater König George VI. und ihre Schwester Prinzessin Margaret. Worunter litten die beiden, und inwiefern ist ihre Krankengeschichte vergleichbar?

Gerste: Sowohl George VI. als auch Prinzessin Margaret waren dem gleichen Risikofaktor ausgesetzt: Zigaretten.

Bei Elisabeths Vater war zunächst ein Eingriff an den Beinen wegen Arteriosklerose notwendig geworden. Dann kam es im September 1951 zur totalen Pneumektomie des linken Lungenflügels – die Causa nannte man damals feinfühlig „strukturelle Abnormitäten“. Dem Lungenkrebs erlag er knapp ein halbes Jahr später. Auch bei Margaret wurde in höherem Alter ein Teil der Lunge entfernt. In ihren letzten Lebensjahren erlitt sie mehrere Schlaganfälle.

Coliquio: Wenn wir noch eine weitere Generation zurückblicken, gelangen wir zu ihrem Großvater, König George V., der im Jahr 1936 nach längerer Leidenszeit verstarb. 50 Jahre später wurden Tagebucheinträge seines Leibarztes Lord Dawson veröffentlicht. Er sprach darin von aktiver Sterbehilfe. Was ist die Geschichte dahinter?

Gerste: Ja, aus heutiger Sicht ist das unglaublich, dass Dawson sich entschloss, dem immer schwächer werdenden König die, wie der Arzt es nannte, Schmerzen zu ersparen. Bei George V. wird von Herz- und Bronchialleiden gesprochen. Wahrscheinlich hatte auch dieser starke Raucher Lungenkrebs. Er injizierte dem 70-jährigen Monarchen Morphium und Kokain – 40 Minuten später hieß es wieder einmal: „The King is dead, long live the King!“

Coliquio: Zurück in die Gegenwart: Wie ist es um die Gesundheit des neuen Königs Charles III. bestellt? Der älteste Sohn der verstorbenen Queen ist ja bereits 73 Jahre alt. Kann er sich dennoch Chancen auf sein silbernes Thronjubiläum ausrechnen?

Gerste: Wenn wir dem britischen Nationalhobby, der Wettleidenschaft, jetzt frönen wollen, setze ich hiermit „ten pound“ darauf, dass er das 2047 feiern kann!

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Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
 

Kommentar

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