Nackenschlag für das Prestigeprojekt des Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach: Die Hamburger Ersatzkassen haben den Versorgungsvertrag mit dem Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt, dem Prototyp aller geplanten 1.000 Gesundheitskioske, gekündigt. Der Vertrag wird am Jahresende auslaufen. Damit steht der Gesundheitskiosk in Hamburg vor dem Aus. Zwar werden die AOK Rheinland/ Hamburg und die Mobil-Krankenkasse dem Projekt die Treue halten. Dennoch gefährdet der Ausstieg der Ersatzkassen die innovative Idee.
Erst Anfang September hatte Lauterbach bei einem Besuch des Gesundheitskioskes Hamburg die Eckpunkte des Konzepts vorgestellt: Danach sollen langfristig bundesweit 1.000 Gesundheitskioske in sozial benachteiligten Stadtteilen oder Orten eingerichtet werden. „Die gesetzlichen Regelungen sollen zeitnah folgen“, teilte das Bundesgesundheitsministerium mit.
Kioske sollen die Benachteiligten erreichen
Die Kioske sollen niedrigschwellige Beratungs- und Gesundheitsleistungen anbieten. „Wir haben eine Lücke an niedrigschwelligen Beratungsangeboten für Menschen ohne Hausarzt, ohne Krankenversicherung und mit anderen Zugangsbeschränkungen, wie etwa der Sprachbarriere“, begründete Lauterbach die Initiative. „Diese Menschen erreicht man oft erst, wenn sie in den Notaufnahmen erscheinen und dann teuer behandelt werden müssen.“
Die Teams der Kioske bestehen aus examinierten Pflegefachkräften und sollen perspektivisch durch Fachpersonal mit Heilkundekompetenz im Sinne des Community Health Nursing ergänzt werden.
Sie sollen beraten und Gesundheitsleistungen wie Prävention und Behandlung vermitteln und koordinieren, heißt es in den Eckpunkten der Initiative. Aber sie bieten den Besuchern auch einfache medizinische Routineaufgaben, wie die Messung von Blutzucker, Verbandswechsel oder subkutane Spritzen – veranlasst von Ärztinnen und Ärzten.
Initiatoren der Kioske sollen die Kommunen sein. Sie können von den Krankenkassen den Abschluss eines schiedsamtsfähigen Vertrages über die Einzelheiten des Kioskes verlangen, heißt es in den Eckpunkten. Die Kassen müssen sich aber nur dann finanziell an den Kiosken beteiligen, wenn es auch die Kommunen tun. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) soll nach dem Willen des Eckpunktepapiers 74,5% der Gesamtkosten eines Kioskes tragen, die Private Krankenversicherung (PKV) 5,5% und die Kommune 20%.
Kassen haben die Reißleine gezogen
Nun haben in Hamburg die beteiligten Kassen, die Techniker Krankenkasse, die Barmer und die DAK-Gesundheit die Reißleine gezogen. „Viele Beratungsleistungen des Gesundheitskiosks betreffen die öffentliche Daseinsvorsorge“, sagte Luise Zink, Sprecherin der Hamburger Landesvertretung der TK zu Medscape. „Die Finanzierung dieser Leistungen ist nicht Aufgabe der Krankenkassen. Besser ist es, bereits bestehende Strukturen zu nutzen, wie zum Beispiel Pflegestützpunkte.“
Zudem stünden die Kosten von jährlich 1 Million Euro in keinem Verhältnis zu den Leistungen, schreiben die 3 Kassen in einer gemeinsamen Erklärung auf Anfrage: „Angesichts der sehr prekären Finanzentwicklung der GKV ab dem kommenden Jahr sind derart teure und mitunter redundante Leistungsangebote nicht realisierbar. Es ist sinnvoller, bestehende Strukturen für unsere Versicherten besser zu vernetzen und Doppelstrukturen zu vermeiden.“
Mit harschen Worten kritisiert Dr. Dirk Heinrich, der Vorsitzende des Virchowbundes, die Eckpunkte eines neuen Gesetzes, die der Minister vorgelegt hat, als Grund für den Ausstieg der Kassen. Die Eckpunkte und ein Finanzierungsgesetz, das die Kassen unter erheblichen Druck bringt, seien die Ursachen dafür, dass sich nun Kassen aus einem sozialen Projekt mit nachgewiesener Versorgungsverbesserung verabschieden, teilt der Virchowbund mit, der zu den Initiatoren und Gesellschaftern der Billstedter Einrichtung zählt.
„Dadurch hat nach 10 Monaten Amtszeit das Wirken von Lauterbach bereits nachhaltig negative Auswirkungen auf die Versorgung der sozial Schwächsten“, stellt Heinrich fest. „Ich halte Lauterbach deshalb inzwischen für den unsozialsten Sozialdemokraten.“
Damit schwebe das Damoklesschwert über dem Fortbestand des Hamburger Gesundheitskioskes, der noch im Februar vom Gemeinsamen Bundesausschuss für die Regelversorgung empfohlen worden sei.
Mit Genugtuung dürfte der deutsche Hausärzteverband die Entwicklung in Hamburg betrachten, denn er kann ohnedies den Kiosken nichts abgewinnen. Der Vorsitzende des Verbandes, Ulrich Weigeldt, bezeichnete die Kioske auf der letzten Delegiertenversammlung am 15. September in Berlin denn auch als „Versorgung über Umwege mittels irgendwelcher Krücken“. Die Kioske seien zum Scheitern verurteilt. Zwar sei der Ansatz begrüßenswert. „Medizinische Versorgung und deren Koordination ist und bleibt allerdings Aufgabe der hausärztlichen Praxen“, so Weigeldt. „Parallelstrukturen sind mit Sicherheit nicht sinnvoll.“
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Rohrkrepierer Gesundheitskiosk? Warum der Hamburger Prototyp kurz nach dem Start schon wieder vor dem Aus steht - Medscape - 27. Sep 2022.
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