Im November 2021 verhandelte der Bundesgerichtshof (BGH) einen besonderen Fall im Rahmen einer Praxisaufgabe. Im Fokus: der alleinige Verkauf eines Patientenstamms. Das Thema wirft bei Ärzten viele Fragen auf. Hans-Joachim Schade beantwortet die brisantesten Fragen im Interview. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator von der Rechtsanwaltskanzlei Broglie, Schade & Partner.

Hans-Joachim Schade
Coliquio: Herr Schade, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum vorliegenden Fall fragen sich viele Ärztinnen und Ärzte, ob Praxisverkäufe in Zukunft unzulässig werden könnten, nur weil der Patientenstamm ebenfalls verkauft wird. Wieso ist das Urteil so bedeutend?
Schade: Der Beschluss hat tatsächlich Auswirkungen auf die aktuelle rechtliche Auslegung. Wichtig ist er aus 2 Gründen: zum einen, weil sich der BGH zur Zulässigkeit der entgeltlichen Übertragung eines Patientenstammes mit Blick auf die Zuführung und Zuweisung von Patientinnen und Patienten äußert. Hierfür berücksichtigte er auch die – erst 2015 neu eingeführte – Strafnorm zur Korruption gem. §§ 299 und 299 a StGB im Gesundheitswesen.
Zum anderen nahmen die Richter auch zur Zulässigkeit einer treuhänderischen Verwahrung einer Patientenkartei durch die erwerbende Ärztin – und hier insbesondere mit Fokus auf den Datenschutz beim Zwei-Schranken-Modell – klar Stellung.
Wichtig für die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis ist: Liegt ein Verstoß gegen die Berufsordnung vor, ist der zugrunde liegende Kaufvertrag als nichtig anzusehen.
Coliquio: Kann bei der Veräußerung des Patientenstamms alles beim Alten bleiben?
Schade: Die Antwort ist, wie oft bei Juristen, kryptisch. Im Urteil kam es auf die Gesamtumstände des Veräußerungsvorgangs an. Im Streit stand die Übergabe von 600 Patientendaten einer Zahnarztpraxis gekoppelt mit der Verpflichtung des Praxisveräußerers zur Mitwirkung bei werbenden Maßnahmen. Dazu gehörten eine Telefon-Rufumleitung, Internetumleitung, Veröffentlichung eines Empfehlungsschreibens und der treuhänderischen Übertragung der Patientendatei. Dafür erhielt der verkaufende Zahnarzt 12.000 Euro.
Coliquio: Und mit welcher Einschätzung reagierte der BGH schlussendlich?
Schade: Der BGH sah einen Verstoß gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte, der sich identisch auch in den Ärztlichen Berufsordnungen findet wie auch in § 73 Abs. 7 SGB V. Geahndet wird die „entgeltliche Zuweisung“.
Unzulässig und strafbar war das vertraglich vereinbarte „Empfehlungsschreiben“ mit zusätzlich Telefon-Weiterschaltung, Internet-Verlinkung und Übergabe der Verwahrung der Kartei an die Erwerberin. Diese Handlungen seien eine Manipulation der freien Arztwahl und seien nicht sachlich medizinisch begründet.
§ 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte
Die Bestimmung lautet: Dem Zahnarzt ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.
Coliquio: Ist inzwischen somit womöglich auch der Praxisverkauf generell strafbar?
Schade: Der Verkauf einer Praxis als Ganzer mit Personal, Räumen und Einrichtung ist ein Ausnahmefall und von der Vorschrift in der Berufsordnung nicht umfasst. In diesem Fall sei eine knappe Information über den Namen des Käufers und den weiteren Betrieb der Praxis mit Adresse ausreichend. Bei einer solchen Information können Patientinnen und Patienten noch frei entscheiden, ob sie Kontakt aufnehmen wollen.
Anders sei es, wenn sie schon am Telefon durch die Rufumleitung mit dem Praxispersonal der erwerbenden Praxis sprechen müssen und dort bereits ihre Karteikarten aufbewahrt werden. Allerdings habe es bisher keine Streitfälle gegeben. Man könne sich insbesondere in der Psychotherapie Konflikte trotz Verwahrungsverhältnis vorstellen. Damit bleibt das puristische Verkaufsmodell erhalten.
Coliquio: Sieht die Rechtsprechung denn keine Ausnahmeregelungen vor?
Schade: Ausnahmen wird es in einigen Fällen geben müssen. Nämlich dann, wenn der Verkäufer Einrichtung und Personal gemietet hat und nur der Patientenstamm, aber keine weiteren Werte übertragen werden können. Ferner, wenn die praxisabgebende Person, die die juristische Verpflichtung zur Karteiaufbewahrung hat, ins Ausland verzieht, krank ist oder verstirbt. Hier werden in Zukunft neue Lösungsansätze zur Karteikartenverwahrung zu erwarten sein.
Kurz und gut: Praxisverkauf im Ganzen mit Patientinnen und Patienten, Einrichtung und Personal mit knapper Information bleibt auch weiter möglich. Aufpassen muss man aber bei Empfehlungslyrik und direkter Patientenbeeinflussung wie z.B. durch eine Rufumleitung!
Coliquio: Stichwort „unzulässige Patientenzuführung“: Wie sieht es im Fall von Kaufpreismodifikationen in Abhängigkeit vom Umsatz künftiger Mitarbeit aus?
Schade: Das könnte ein besonders sensibles Thema werden. Die Frage ist, ob die Kaufpreisvereinbarung, die einen Teil des Kaufpreises an die Höhe der zukünftigen Honorarumsätze – das sogenannte Earn-out – koppelt, ein Verstoß gegen die Berufsordnung der Ärzte und Zahnärzte darstellen könnte.
Fraglich ist dann auch, ob dies zur Nichtigkeit des Kaufvertrages führen würde. Das umsatzbezogene Element löst den Verdacht aus, dass nicht durch Empfehlungen über den Übergabezeitpunkt hinaus eine berufsrechtlich unzulässige Beeinflussung eines Patienten vorliegen könnte.
Coliquio: Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
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Diesen Artikel so zitieren: Nach BGH-Urteil: Wie Ärzte den Patientenstamm rechtssicher verkaufen, erklärt ein Fachanwalt für Medizinrecht - Medscape - 27. Sep 2022.
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