Die molekulare Welt der Medizin bietet Ärzten Einblicke in unerforschte Gebiete. Bei seinem Vortrag „Neue Krankheitsbilder in Klinik und Praxis“ stellte der Dermatologe Prof. Dr. Thomas Vogt neue oder zumindest neu definierte autoinflammatorische Syndrome vor – von prognostisch gut bis potenziell tödlich [1]. Er ist Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.
VEXAS-Syndrom
Eine bislang als rheumatologisch fehlinterpretierte Erkrankung mit hoher Dunkelziffer und mit meist sehr schwerem Verlauf ist das VEXAS („vacuoles, E1 enzyme, X-linked, autoinflammatory, somatic“)-Syndrom.
Das Akronym VEXAS steht für Vacuoles, E1 enzyme, X-linked, Autoinflammatory, Somatic. „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe“, berichtete Vogt. Bis heute gebe es bereits 96 Publikation, die sich ebenfalls damit befassen.
Durch Fortschritte der DNA-Sequenzierung und mittels CRISPR/Cas-Technologie konnte gezeigt werden, dass der seltenen Multisystemerkrankung eine somatische Mutation im Gen UBA1 zugrunde liegt. Dieses kodiert das Ubiquitin-aktivierende Enzym E1, das wiederum die Ubiquitinierung von Proteinen initiiert.
Das VEXAS-Syndrom manifestiert sich in der zweiten Lebenshälfte und fast ausschließlich bei Männern. Die Autoren der Erstpublikation stellten zwar die Hypothese auf, dass die Erkrankung nur Männer betreffen würde, da das „zweite X‑Chromosom bei Frauen eine Schutzwirkung hätte“, allerdings konnte das VEXAS-Syndrom mittlerweile auch bei Frauen nachgewiesen werden.
Das Krankheitsbild wird dominiert durch multiple Entzündungen, die am ehesten an rheumatologische und hämatologische, aber auch dermatologische Krankheitsbilder erinnern. An der Haut imponieren laut Vogt vor allem „eindrucksvolle Exantheme“ (88%), Vaskulitis, Polychondritis (64%) und Panniculitis.
Die Erkrankung hat einen oft schwerwiegenden und komplikationsreichen Verlauf – in der Kohorte der Erstpublikation (n = 25) verstarben 40% der Patienten (n = 10) an krankheitsbedingten Ursachen (respiratorisches Versagen oder fortschreitender Anämie) oder an Komplikationen im Zusammenhang mit der Behandlung.
In Einzelfällen wurde bei den Patienten vermehrt über thromboembolische Ereignisse, Alveolitis und Intensivaufenthalte berichtet. Darüber hinaus wurde in Einzelfallberichten das Auftreten eines Makrophagenaktivierungssyndroms und einer AA-Amyloidose mit dialysepflichtigem Nierenversagen geschildert.
VEXAS-Patienten sprechen grundsätzlich allerdings eher schlecht auf eine Therapie an. Neben verschiedenen antiinflammatorischen Therapiekonzepten (z. B. Interleukin‑1-, Interleukin‑6- oder JAK-Blockade) werden meist hohe Glukokortikoiddosen (> 20 mg/d) zur Krankheitskontrolle benötigt. 4, 5 Weiterhin gibt es erste kleine Fallserien, die bei einem Teil der VEXAS-Patienten mit myelodysplastischem Syndrom den Nutzen von Azacitidin nahelegen.
Ultima Ratio sei die allogene Knochenmarktransplantation eine Option, ergänzte Vogt. Vor wenigen Wochen wurde eine Phase-II-Studie zur allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation bei Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren mit VEXAS-Syndrom gestartet.
NEMO-NDAS: Eine Erkrankung mit tödlichem Risiko
Auch bei den Kindern sei die Zahl der autoinflammatorischen Erkrankungen gewachsen, berichtet Vogt. Dazu zählt etwa das NEMO-NDAS ("NF-κB essential modulator deleted exon 5 autoinflammatory syndrome").
Das NEMO-Eiweiß spielt bei der Regulation von immunologischen und entzündlichen Reaktionen eine zentrale Rolle. Es ist außerdem an der Steuerung des Wachstums und der Apoptose, des spontanen Zelltods, beteiligt. Veränderungen im NEMO-Gen können zu Incontinentia pigmenti oder zu bestimmten Formen der anhidrotischen ektodermalen Dysplasie führen.
Beim NEMO-NDAS liegt eine exonische Mutation vor, die zu einem falschen Splice-Produkt führt – „Fibroblasen also ein krankes NEMO produzieren“, erklärt Vogt (siehe Abb. 1 in Lee Y et al. 2022). So kommt es bei den betroffenen Kindern zu Entzündungen, vor allem im Fettgewebe (Pannikulitis), und Lipodystrophie. Unerkannt könne die Erkrankung gravierende Konsequenzen nach sich ziehen, so Vogt.
Insbesondere bei Neugeborenen passiere es allzu leicht, dass die Symptome als Neugeborenen-Fettnekrose oder Kältepannikulitis bagatellisiert würden. Dabei handele es sich in Wirklichkeit um eine bedrohliche Erkrankung, berichtet der Dermatologe weiter. Man solle daher unbedingt biopsieren und daran denken, dass diese Kinder unter anderem komplizierte ZNS-Blutungen bekommen können, die zu Behinderungen führen oder tödlich verlaufen können.
Durch Anti-TNF-Inhibitoren könne den betroffenen Kindern jedoch gut geholfen werden, sagt Vogt.
EAE: Jahrelang rezidivierende, stark juckende Plaques
Ein weiteres Krankheitsbild, das in einer Publikation im Februar dieses Jahres als neue Entität bezeichnet wurde, ist das eosinophile anuläre Erythem (EAE). Dabei handelt es sich um eine seltene eosinophile Hauterkrankung, die sich typischerweise als jahrelang rezidivierende, stark juckende, über Wochen und Monate persistierende ringförmige erythematöse Plaques manifestiert (siehe Abb. 1: Erythematöse ringförmige Plaques am Rumpf und Abb. 3: Polyzyklische ringförmige erythematöser Läsionen an Händen, Fußrücken und Oberschenkel in Eljazouly M et al., 2022).
Lange Zeit wurde versucht, dieses Krankheitsbild mit dem Wells-Syndrom gleichzusetzen. Mittlerweile gebe es aber sehr schöne Übersichten, die herausarbeiten, dass es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handle, sagt Vogt. Denn klassische Wells-Symptome wie echte „flame fingers“, z.T. bullös, Prodromi mit Fieber, Arthralgie, Fatigue sowie Induration im Verlauf hätten Patientinnen und Patienten mit EAE nicht.
Weitere klinische Differenzialdiagnosen sind Urtikaria/-Vaskulitis, Erythema migrans arciforme et palpabile, anuläre Erytheme bei Sjögren-Syndrom, Lupus erythematodes u.a.m.
„Das Tolle ist, es gibt für EAE bereits einen Therapievorschlag“, so der Dermatologe weiter. Mit einem prompten Ansprechen sei Hydroxychloroquin derzeit als Erstlinientherapie indiziert. Als Zweitlinienoptionen nannte der Referent Dapson und systemische Kortikosteroide. Als Reservemedikation bei refraktären Patientinnen und Patienten können monoklonale Antikörper oder Januskinase-Inhibitoren, die auf Typ-2-Entzündungen abzielen, gute Optionen der letzten Wahl sein.
Ein Drittel der Patientinnen und Patienten mit EAE entwickeln hämatologische Neoplasien.
MIRM: Mykoplasmen-assoziierte Mukositis mit guter Prognose
Ein weiteres Krankheitsbild, das zwar nicht wirklich neu, aber zumindest neu herausgearbeitet wurde, ist MIRM. Das Akronym steht für „Mycoplasma pneumoniae-induced rash and mucositis“, also Mykoplasmen-assoziierte Mukositis.
Bereits im Jahr 1964 wurde im Lancet publiziert, dass es einen Zusammenhang zwischen Mykoplasmen und dem Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) gibt. Zwischenzeitlich wird jedoch davon ausgegangen, dass es sich bei MIRM um eine eigene Krankheitsentität handelt, das sich aufgrund klinischer Kriterien von den ähnlich imponierendem SJS, der toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) und dem Erythema multiforme unterscheiden lässt.
Die typischerweise jungen Patientinnen und Patienten mit MIRM zeigen ein SJS-artiges klinisches Bild mit begleitender respiratorischer Symptomatik (Husten). Die Kombination aus massivem Schleimhautbefall mit sehr limitierten (oder zuweilen fehlenden) Hautläsionen ist dabei typisch für Mycoplasma pneumoniae als Auslöser der Manifestationen (siehe Abbildungen in Rejeb MB et al. 2022).
Bei SJS und TEN hingegen treten zusätzlich zum frühen massiven Schleimhautbefall auch stamm- und gesichtsbetonte, dunkel-erythematöse Makulae und atypische Targetläsionen auf, die sich rasch bullös umwandeln und oftmals eine intensivmedizinische Betreuung erforderlich machen.
Die Prognose bei Betroffenen mit MIRM ist dagegen deutlich besser. „Insbesondere dann, wenn Sie daran denken, ein Antibiotikum zu verordnen“, betonte Vogt. Zusätzlich profitieren Pat neben supportiven Maßnahmen von einem hochdosierten Steroidstoß.
Üblicherweise tritt eine vollständige Abheilung innerhalb von 2 Wochen auf, wobei Nachkontrollen über einige Monate empfohlen sind – insbesondere eine ophthalmologische Nachbeobachtung ist bei relevanter Augenbeteiligung zwingend indiziert. Rezidivierende Verläufe sind bei MIRM leider keine Seltenheit.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Neue Krankheitsbilder in der Dermatologie – kennen Sie das VEXAS-Syndrom, NEMO-NDAS oder MIRM? - Medscape - 26. Sep 2022.
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