Luftverschmutzung ist eines der führenden Gesundheitsrisiken weltweit, speziell in Bezug auf Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch wie Prof. Hendrik Schulze-Koops beim diesjährigen Rheumatologie-Kongress berichtete, sind Feinstaubpartikel in der Luft offenbar auch ein Umwelttrigger für Autoimmunerkrankungen – und eine mögliche Erklärung für die Zunahme dieser Erkrankungen in den letzten Jahren [1].
Der 2. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zitierte eine Studie aus Italien, die einen Zusammenhang zwischen luftverschmutzenden Partikeln und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen fand: „Mit jedem Anstieg der PM10-Konzentration um 10 μg/m3 stieg das Risiko einer rheumatoiden Arthritis um 7%“, sagte Schulze-Koops, der am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München die Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie leitet.
Dabei spielte auch die Größe der Feinstaubpartikel eine Rolle, wie die Forscher um Dr. Giovanni Adami vom Universitätsklinikum Verona, Italien, in RMD Open berichten: Während Feinstaubpartikel in einer Größe von 10 µm (PM10) ausschließlich mit rheumatoider Arthritis assoziiert waren, bestand für Feinstaubpartikel in einer Größe von 2,5 µm (PM2,5) auch eine Assoziation mit Bindegewebserkrankungen und mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.
Möglicher Grund für die Zunahme von Autoimmunerkrankungen
Autoimmunerkrankungen treten seit etwa 10 Jahren zunehmend häufig auf. Die Gründe dafür sind noch nicht vollständig entschlüsselt, aber im Grundsatz geht die Forschung von einem Zusammenspiel zwischen genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen aus. Luftverschmutzung ist einer dieser Umwelteinflüsse.
„Im Laufe der Evolution hat sich der Körper daran gewöhnt, dass Atemluft ungefährlich ist und die darin enthaltenen Substanzen keine Immunreaktion hervorrufen müssen“, erklärte Schulze-Koops. „Aber seit etwa 100 Jahren befüllen wir diese Luft, die ursprünglich sauber war, zunehmend mit Partikeln, die der Organismus nicht gewohnt ist.“
Signifikante Assoziationen bei verschiedenen Feinstaubgrößen
Ein Blick auf die Details: Adami und sein Team haben retrospektiv Daten von 81.363 Personen – vorwiegend Frauen über 50 Jahren – aus ganz Italien analysiert. Erfasst wurden die Informationen zwischen 2016 und 2020. Die Forscher zogen Messwerte der Umgebungsluft an 617 verschiedenen Messpunkten heran und verglichen sie mit den Krankenakten der Bewohner in diesen Gegenden. Bei 9.723 (11,9%) wurde eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert.
Es ergab sich eine signifikante Assoziation zwischen der Konzentration an Feinstaubpartikeln und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen. Die Exposition gegenüber hohen Konzentrationen an PM10 war mit einem erhöhten Risiko für rheumatoide Arthritis assoziiert (aOR 1,41). „Jeder Anstieg der PM10-Konzentration um 10 μg/m3 war mit einem zusätzlichen Risiko von 7% für eine rheumatoide Arthritis verbunden“, so Schulze-Koops. Mit anderen Autoimmunerkrankungen stand PM10 nicht in Verbindung.
Aber Personen, die hohen Konzentrationen der kleineren Feinstaubpartikel (PM2,5) ausgesetzt waren, wiesen sowohl ein erhöhtes Risiko für rheumatoide Arthritis (aOR 1,5) als auch für Kollagenosen (aOR 1,15) und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (aOR 1,21) auf.
Die biologische Rationale ist stark
„Es zeichnet sich ab, dass die Häufigkeit von vor allem entzündlich-rheumatischen Autoimmunerkrankungen durch Umweltverschmutzung gefördert werden kann“, so Schulze-Knoops, und dass dafür schon eine Expositionsdauer von 4 bis 5 Jahren ausreiche.
„Die biologische Rationale, die für unsere Ergebnisse spricht, ist stark“, schreiben Adami und seine Kollegen. Tatsächlich ist bekannt, dass Feinstaubpartikel die Expression verschiedener inflammatorischer Pathways begünstigen, die Produktion von Zytokinen anregen und die Aktivierung von Genen, die an Entzündungsreaktionen beteiligt sind, noch oben regulieren können. Darüber hinaus fördert Feinstaub im Körper die Entstehung reaktiver Sauerstoffspezies. „Vom Feinstaub ausgelöster oxidativer Stress gilt als Hauptgrund für den schädlichen Effekt von Luftverschmutzung auf das Immunsystem“, so die Autoren um Adami.
Ist Luftverschmutzung so schlimm wie Rauchen?
Sie erinnern daran, dass Zigarettenrauchen bekanntlich zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen beitrage. Der blaue Dunst enthalte verschiedene Giftstoffe, die man auch in den Emissionen von fossilen Brennstoffen finde.
Die Daten müssten durch weitere Studien verifiziert werden, so Schulze-Knoops. Da sie aber einen wichtigen Aspekt der Pathogenese von chronischen Entzündungserkrankungen aufzeigen, sollten die Erkenntnisse seiner Einschätzung nach bereits heute Einzug in aktuelle Debatten finden. „Es braucht dringend nachhaltige Maßnahmen zur Verhinderung von Luftverschmutzung. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Vorbeugung chronischer Krankheiten.“
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Diesen Artikel so zitieren: Rheumatoide Arthritis womöglich durch schmutzige Luft: Feinstaub könnte Zunahme von Autoimmunerkrankungen erklären - Medscape - 23. Sep 2022.
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