Sind Nasensprays die Zukunft der COVID-19-Impfstoffe? Das ist jedenfalls die Hoffnung vieler Forscher, die an neuen Impfstoffarten arbeiten. Vor Kurzem wurden in China und Indien nasale Impfstoffe zur Auffrischungsimpfung zugelassen. Der chinesische Impfstoff wird durch Mund und Nase inhaliert, das indische Vakzin besteht aus Nasentropfen.
Die beiden Vakzine zählen zu den mehr als 100 oralen oder nasalen Impfstoffen, die, so berichtet Nature , weltweit entwickelt werden [1]. Einen guten Überblick über die Corona-Impfstoffe der nächsten Generation liefert der vfa.
Sterile Immunität mit nasalen Impfstoffen angepeilt
SARS-CoV-2 dringt über die Schleimhäute von Mund und Nase in den Körper ein. Theoretisch könnten orale oder nasale Vakzine die Immunzellen dieser Schleimhäute aktivieren und das Virus schnell stoppen – bevor es sich ausbreitet. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass solche Impfstoffe selbst leichte Krankheitsfälle verhindern und die Übertragung auf andere Menschen blockieren können.
Impfstoffe, die eine sterilisierende Immunität erzeugen, wären für die Pandemie von entscheidender Bedeutung. Nach Einschätzung von Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Impfstoffforscher an der Berliner Charité, hätten nasale Vakzine einen deutlichen Effekt auf Transmission und Infektion. „Aus meiner Sicht wird zu wenig in die Entwicklung investiert“, twitterte Sander schon im August vergangenen Jahres.
Die Verhinderung von Infektionen und Übertragungen ist eine hohe Hürde für jeden Impfstoff. Tierstudien zu SARS-CoV-2-Schleimhautimpfstoffen deuten jedoch darauf hin, dass dies möglich ist. Eine Studie an Mäusen ergab beispielsweise, dass eine intranasale Auffrischungsimpfung eine Schleimhautimmunität auslöste und die Tiere vollständig vor einer tödlichen Virusexposition schützte, während ein intramuskulärer Booster das nicht tat.
Nach Einschätzung von Prof. Dr. Christian Drosten bieten nasale Impfstoffe vermutlich einen längeren Übertragungsschutz. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verweist Drosten auf eine Studie mit Rhesusaffen, die Ende Mai erschienen ist. Darin schützte ein intranasaler Impfstoff die Tiere vollständig vor einer SARS-CoV-2-Infektion.
Die Virusreplikation war in den Atemwegen und im Lungengewebe der Affen nicht nachweisbar, sagt Ursula Buchholz, Leiterin der Abteilung für RNA-Viren am NIAID, die die Studie leitete. „In präklinischen Modellen erhalten wir etwas, das einer sterilisierenden Immunität sehr nahekommt. Wir müssen sehen, wie sich dies in klinischen Studien auswirkt“, sagt sie.
In China und Indien sind nun nasale Impfstoffe bereits im Einsatz. „Diese Zulassungen bestätigen den Bedarf an Schleimhautimpfstoffen“, kommentiert Dr. Marty Moore, Mitbegründer von Meissa Vaccines in Redwood City, Kalifornien, die beiden Zulassungen. Sein Unternehmen entwickelt eine COVID-19-Impfung, die über die Nase verabreicht wird. „Das ist die Richtung, die wir weltweit einschlagen müssen, und die Vereinigten Staaten müssen aufholen", betont Moore.
Die derzeit verwendeten Vakzine gegen COVID-19 schützen effektiv vor schwerer Erkrankung und verhindern Krankenhausaufenthalte, Übertragungen verhindern sie allerdings kaum und auch vor leichter Erkrankung schützen sie nicht wirklich gut.
Ein Grund dafür ist die Injektion in den Muskel. Die intramuskuläre Injektion löst eine Immunreaktion aus, zu der T-Zellen gehören, die infizierte Zellen zerstören, und B-Zellen, die Antikörper produzieren, die Krankheitserreger „neutralisieren“, d.h. an sie binden, damit sie nicht in gesunde Zellen eindringen.
Diese Zellen und Antikörper zirkulieren in der Blutbahn. In Nase und Lunge sind sie jedoch nicht ausreichend vorhanden, um einen schnellen Schutz zu bieten. In der Zeit, die sie brauchen, um vom Blutkreislauf dorthin zu gelangen, breitet sich das Virus aus, und die infizierte Person wird krank.
Schleimhautimpfstoffe können eine Immunreaktion im ganzen Körper auslösen, aber sie können auch Immunzellen in den Schleimhäuten der Nase und der Atemwege aktivieren. Schleimhautimpfstoffe werden sowohl als Erstdosen für ungeimpfte Personen als auch als Auffrischungsimpfungen getestet.
Erfahrungen mit Schleimhautimpfstoffe gegen andere Krankheiten
9 Schleimhautimpfstoffe sind für die Anwendung bei Menschen zugelassen, unter anderem gegen Polioviren, Grippe und Cholera. 8 dieser Impfstoffe werden eingenommen und einer – gegen Influenza – wird intranasal verabreicht. Der orale Polio-Impfstoff induziert erfolgreich die Immunität im Darm und kommt einer sterilisierenden Immunität nahe. In seltenen Fällen kann der abgeschwächte Lebendimpfstoff jedoch mutieren und Krankheit verursachen.
Bei anderen Krankheiten waren Schleimhautimpfstoffe nicht so erfolgreich – manchmal, weil das Vakzin keine ausreichend starke Immunantwort erzeugt, und manchmal, weil es Nebenwirkungen auslöst. Das Schweizer Unternehmen Berna Biotech hat beispielsweise 2001 seinen intranasalen Grippeimpfstoff vom Markt genommen, nachdem festgestellt wurde, dass er das Risiko einer vorübergehenden Gesichtslähmung erhöht.
FluMist, ein intranasaler attenuierter Lebendimpfstoff gegen Influenza, der in den USA und Europa zugelassen ist, schneidet bei kleinen Kindern besser ab als die intramuskuläre Impfung. Bei Erwachsenen hat FluMist nicht so gut funktioniert.
Das liegt daran, dass viele von ihnen über Jahre hinweg eine gewisse Immunität gegen Grippeviren aufgebaut haben. Selbst wenn diese Immunität nicht stark genug ist, um die Krankheit zu verhindern, könnten die Immunreaktionen der Schleimhäute von Erwachsenen immer noch verhindern, dass der abgeschwächte Impfstoff die Nasenzellen infiziert, oder ihn beseitigen, bevor er seine Wirkung entfalten kann.
„Es ist eine Gratwanderung, dafür zu sorgen, dass der Impfstoff keine Krankheit auslöst, aber dennoch genug repliziert, um bei Menschen, die bereits Erfahrung mit dem Virus haben, eine Schleimhautimmunität hervorzurufen“, sagt Kanta Subbarao, Direktor des Collaborating Centre for Reference and Research on Influenza der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Melbourne, Australien. Die Forscher wissen noch nicht, ob dieses Problem auch bei den intranasalen COVID-19-Impfstoffen auftreten könnte.
Indikatoren für die Wirksamkeit von Schleimhautimpfstoffen
Es gibt einen schnellen Weg, um vorherzusagen, ob ein intramuskulärer COVID-19-Impfstoff wirksam sein wird: Dazu wird der Gehalt an neutralisierenden Antikörpern gemessen, die im Blut zirkulieren. Höhere Werte bedeuten in der Regel einen besseren Schutz. Für Schleimhautimpfstoffe gibt es kein eindeutiges Korrelat. Viele Entwickler messen Immunreaktionen in den Atemwegen, einschließlich sekretorischem IgA, anderen Antikörpern und gewebsresidenten T-Gedächtniszellen. Diese tragen wahrscheinlich zum Schutz bei, aber es ist unklar, welche Mengen erforderlich sind, um eine Infektion und Übertragung zu verhindern.
Bis die Grundlagenforschung abgeschlossen ist, muss die Wirksamkeit von Schleimhautimpfstoffen anders bestimmt werden. Das indische Unternehmen Bharat Biotech hat in seiner Studie zu einem intranasalen COVID-19-Impfstoff systemische neutralisierende Antikörper im Blutserum gemessen. Entsprechen diese Antikörperspiegel den Antikörperspiegeln der intramuskulären Impfstoffe oder übertreffen diese, wird die Studie ihren primären Endpunkt erreichen und als Erfolg gewertet. Die Fähigkeit des Impfstoffs, eine Infektion oder Übertragung zu verhindern, wird dadurch jedoch nicht festgestellt.
CanSino, der Hersteller des chinesischen Vakzins, verfolgte die Wirksamkeit mit einer ähnlichen Strategie – der Messung der Konzentration neutralisierender Antikörper im Blutserum und dem Vergleich mit den Werten bestehender Impfstoffe. In einer Phase-2-Studie mit dem aerosolierten Schleimhautimpfstoff des Unternehmens wurde im Januar berichtet, dass der Impfstoff bei einer Auffrischungsimpfung die Serumantikörperspiegel deutlich stärker ansteigen ließ als eine Auffrischung mit dem intramuskulären Impfstoff von CanSino.
Im Juli stellte das Unternehmen in einem weiteren Bericht fest, dass die Antikörperspiegel im Laufe der Zeit abnahmen, aber immer noch höher waren als die durch die intramuskuläre Verabreichung hervorgerufenen Werte. Das Unternehmen misst auch T-Zellen und Antikörper im Speichel, aber die für eine sterilisierende Immunität erforderliche Reaktionsstärke ist nicht bekannt.
Die chinesische Firma Beijing Wantai Biological Pharmacy hat ebenfalls einen Schleimhautimpfstoff in Phase 3, aber das Unternehmen reagierte nicht auf die Bitte von Nature um Stellungnahme.
Eine andere Möglichkeit ist die Durchführung von Wirksamkeitsstudien, bei denen ein Schleimhautimpfstoff mit einer Placebogruppe verglichen wird. Codagenix in Farmingdale, New York, und das Serum Institute of India in Pune verfolgen diesen Ansatz in einer Phase-2/3-Studie mit einem intranasalen Impfstoff bei 20.000 ungeimpften Personen, von denen etwa die Hälfte ein Placebo in die Nase bekommt. Die Wirksamkeit wird durch den Vergleich der Zahl der bestätigten Fälle in jeder Gruppe und die Messung der Schutzrate durch den Impfstoff ermittelt, so Robert Coleman, Geschäftsführer von Codagenix.
Die Phase-2/3-Studie von Codagenix ist Teil der WHO-Solidaritätsstudie für Impfstoffe, bei der mehrere Studien zu einer gemeinsamen Placebogruppe zusammengefasst werden. Sandy Douglas, der an der Universität Oxford in Großbritannien einen intranasalen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt, meint, dass es durchaus möglich sei, die Wirksamkeit zu bestimmen. „Es ist nur etwas schwieriger, als intramuskuläre Impfstoffe der ersten Generation in einer infektionsfreien Bevölkerung zu testen“, sagt er.
Wann könnten COVID-19-Schleimhautimpfstoffe verfügbar sein?
Nach Angaben von Airfinity, einem Londoner Unternehmen für Gesundheitsanalysen, werden 20 der weltweit etwa 100 COVID-19-Schleimhautimpfstoffe in der Entwicklung bereits in klinischen Studien getestet. Für mindestens 4 – in Indien, Iran und 2 in China – sind Phase-3-Studien zur Prüfung der Sicherheit und der Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Impfstoffen abgeschlossen haben oder noch laufend.
Der Iran erteilte im Oktober 2021 eine Notfallzulassung für ein nasales Vakzin und mindestens 5 Millionen Dosen wurden an das Gesundheitsministerium geliefert, wie Ali Es-haghi berichtet. Er ist Chemiker am Razi Vaccine and Serum Research Institute in Karaj, das den Impfstoff entwickelt hat. Das Institut hat jedoch noch keine Daten zur Wirksamkeit beim Menschen veröffentlicht. Russland soll einen Schleimhautimpfstoff für seinen Markt zugelassen haben, hat aber keine Daten veröffentlicht, und die Impfstoffhersteller haben auf die Anfrage von Nature nicht geantwortet.
Bis Daten aus groß angelegten Humanstudien zu Schleimhautimpfstoffen in den USA und Europa vorliegen, dürfte es noch 1 oder 2 Jahre dauern. „Im Vergleich zum Beginn der Pandemie herrscht jetzt nicht mehr die gleiche Dringlichkeit“, sagt Louise Blair, Leiterin der Abteilung Impfstoffe bei Airfinity. „Wir haben einen Überfluss an Impfstoffen. Die Länder scheinen sich im Moment eher mit dem Schutz vor Krankenhausaufenthalten als vor Infektionen zufrieden zu geben. Die Finanzierung und die Ressourcen sind also sehr unterschiedlich und ich glaube nicht, dass wir das gleiche Entwicklungstempo erleben werden“, sagt Blair.
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Diesen Artikel so zitieren: Sprühen statt Spritzen – sind Nasensprays die Zukunft der COVID-Vakzine? In China und Indien gibt es sie schon. Und Europa? - Medscape - 16. Sep 2022.
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