Im Onko-Blog dieser Woche berichten wir vom Jahreskongress 2022 der European Society for Medical Oncology, der vom 9. bis 13. September in Paris stattfand und auch online zugänglich war. Wie üblich beim ESMO-Kongress wurden in den Präsidentensymposium die besonders wichtigen Studienergebnisse präsentiert, die in der Regel als praxisändernd gelten. Die Präsentationen von Samstag und Sonntag stellen wir hier kurz vor.
NSCLC: Feinstaub aktiviert Zellen mit EGFR- und KRAS-Mutationen
Melanom: Tumor-infiltrierende Lymphozyten besser wirksam als Ipilimumab
Melanom Stadium III-IV: Pembrolizumab neoadjuvant schlägt Pembrolizumab adjuvant
Nierenzellkarzinom: 3 Studien mit Immuntherapie in der Adjuvans floppen
dMMR-Kolonkarzinom: Neoadjuvante Immuntherapie erreicht hohes pathologisches Ansprechen
Kopf-Hals-Tumoren: Pembrolizumab verbessert Wirkung der CRT nicht
Desmoidtumoren: Nirogacestat verbessert PFS im Vergleich zu Placebo
NSCLC: Feinstaub aktiviert Zellen mit EGFR- und KRAS-Mutationen
Forscher des Francis Crick Institute und des University College London haben einen neuen Mechanismus entdeckt, über den Feinstaub in der Luft die Entstehung von Lungenkrebs bei Nie-Rauchern triggern kann (LBA1).
Ihre Untersuchungen ergaben, dass etwa die Hälfte der Lungenkrebs-Patienten, die nie geraucht hatten, eine EGFR-Mutation aufwiesen. Eine Analyse von über 400.000 Personen, die steigenden Konzentrationen von Feinstaub größer als 2,5 µm (PM 2,5) ausgesetzt waren, zeigte, dass das Lungenkrebsrisiko bei gleichzeitiger EGFR-Mutation erhöht war. Auch bei KRAS-Mutationen konnte Feinstaub rasche Änderungen induzieren, die sie in einen Krebszellen-ähnlichen Status überführten.
Die Forscher fanden weiter, dass PM 2,5 die vermehrte Freisetzung von Interleukin-1 Beta (IL1B) induzierte, was die Umwandlung der Atemwegszellen in eine Krebszelle förderte. Die Hemmung von IL1B verhinderte diese Umwandlung.
„Dieselben Partikel in der Luft, die aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammen und den Klimawandel verschärfen, wirken sich über einen wichtigen und bisher übersehenen krebserregenden Mechanismus in Lungenzellen direkt auf die menschliche Gesundheit aus. Das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, ist bei Luftverschmutzung geringer als beim Rauchen, aber wir haben keine Kontrolle darüber, was wir alle einatmen. Weltweit sind mehr Menschen einer Luftverschmutzung ausgesetzt als den giftigen Chemikalien im Zigarettenrauch, und diese neuen Daten zeigen, wie wichtig es ist, die Gesundheit des Menschen durch Maßnahmen gegen das Klima zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Charles Swanton, Francis Crick Institute und Cancer Research UK, London, bei einer ESMO-Pressekonferenz.
Melanom: Tumor-infiltrierende Lymphozyten besser wirksam als Ipilimumab
Eine personalisierte Zelltherapie mit Tumor-infiltrierenden Lymphozyten (TIL) verbessert bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant im Vergleich zu einer Behandlung mit Ipilimumab (HR: 0,5; p < 0,001). Dies ergab die erste randomisierte Studie mit TIL bei einem soliden Tumor, die Phase-3-Studie M14TIL (LBA3).
„TIL könnten eine mögliche neue Therapieoption bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom sein“, so die Schlussfolgerung von Prof. Dr. John Haanen vom niederländischen Krebsinstitut, Amsterdam.
Nach Aussage des Diskutanten rechtfertigen die Ergebnisse dieser sorgfältig durchgeführten Studie eine Implementierung der TIL-Therapie in die Leitlinien zur Melanombehandlung.
Auf die TIL sprachen 49% der Patienten an, 20% komplett, auf Ipilimumab 21% und 7% komplett. Es traten keine neuen, bislang nicht bekannten Nebenwirkungen auf. Die Lebensqualität war in der TIL-Gruppe besser als in der Ipilimumab-Gruppe.
Melanom Stadium III-IV: Pembrolizumab neoadjuvant schlägt Pembrolizumab adjuvant
Bei Patienten mit resezierbarem Melanom im Stadium III-IV war das Ereignis-freie Überleben (EFS) bei neoadjuvanter Gabe von Pembrolizumab signifikant besser als bei adjuvanter Therapie (LBA6).
In der randomisierten Phase-2-Studie SWOG S1801 hatten 159 Patienten nach der Operation 18 Zyklen Pembrolizumab 200 mg i.v. alle 3 Wochen erhalten (adjuvante Gruppe). 154 Patienten erhielten vor der Operation 3 Zyklen Pembrolizumab und nach der Operation 15 weitere Gaben (neoadjuvante Gruppe).
Nach einem medianen Follow-Up von 14,7 Monaten lag das 2-Jahres-EFS im neoadjuvanten Arm bei 72% und im adjuvanten Arm bei 49%, dies entspricht einer Risikoreduktion von 42% (HR: 0,58; p = 0,004). Der Effekt auf das EFS war in allen wichtigen Subgruppen nachweisbar.
Die Daten zum sekundären Endpunkt OS sind noch nicht reif. Bislang sind nur wenige Patienten (n = 36) verstorben.
Neue, bislang nicht bekannte Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Neoadjuvantes Pembrolizumab erhöhte die Nebenwirkungsrate während der Operation nicht.
Nierenzellkarzinom: 3 Studien mit Immuntherapie in der Adjuvans floppen
In 3 Phase-3-Studien erreichte eine Immuntherapie in der Adjuvans beim Nierenzellkarzinom (RCC) den primären Endpunkt nicht.
In Teil 1 der CheckMate-914-Studie hatte die Kombination aus Nivolumab plus Ipilimumab bei 816 Patienten mit lokalisiertem Nierenzellkarzinom (RCC) und hohem Rezidivrisiko keinen Effekt auf den primären Endpunkt Krankheits-freies Überleben (DFS) (LBA4). Nach einem Follow-Up von 37,0 Monaten wurde der primäre Endpunkt DFS nicht erreicht (HR: 0,92; p = 0,5347).
In der IMmotion010-Studie waren 778 Patienten mit RCC und hohem Rezidivrisiko adjuvant mit Atezolizumab oder Placebo behandelt worden (LBA66). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 44,7 Monaten betrug das DFS im Median 57,2 Monate für Atezolizumab und 49,5 Monate für Placebo (HR: 0,93; p = 0,495). Das DFS von Patienten mit PD-L1 ≥ 1% und das Gesamtüberleben bei Patienten mit PD-L1 1% bis < 5% war in den beiden Armen ebenfalls nicht unterschiedlich.
In der PROSPER-Studie erhielten 819 Patienten randomisiert Nivolumab perioperativ, und zwar eine Dosis vor der Operation verabreicht und 9 Dosen nach der Nephrektomie, im Vergleich zu alleiniger Operation (LBA67). Primärer Endpunkt war das rezidivfreie Überleben (RFS). Die Studie wurde wegen Unwirksamkeit vorzeitig abgebrochen. Das RFS war in beiden Armen ähnlich (HR: 0,97; p = 0,43). Bei 20% der mit Nivolumab behandelten Patienten trat mindestens eine Nebenwirkung vom Schweregrad von mindestens 3 auf.
„Die negativen Ergebnisse sind unerwartet“, kommentierte Dr. Dominik Berthold vom Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne, Schweiz in einem Bericht der ESMO. Im Moment seien die Gründe für das Scheitern der 3 Studien unklar.
dMMR-Kolonkarzinom: Neoadjuvante Immuntherapie erreicht hohes pathologisches Ansprechen
Die NICHE-2-Studie bestätigte die schon in der NICHE-Studie beobachtete hohe Wirksamkeit einer neoadjuvanten Immuntherapie bei Patienten mit Kolonkarzinom und Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR) (LBA7). 95% der Patienten (102/107) erreichten ein starkes pathologisches Ansprechen (mPR), 67% (72/107) waren komplette Responder (pCR). Nach einer Nachbeobachtungszeit von im Median 13 Monaten war noch kein Rezidiv aufgetreten. Dr. Myriam Chalabi vom Niederländischen Krebszentrum in Amsterdam nannte die Daten „beispiellos.“
In der nicht randomisierten NICHE-2-Studie in 6 niederländischen Zentren hatten 112 Patienten mit nicht metastasiertem dMMR-Darmkrebs eine Dosis Ipilimumab (1 mg/kg) und 2 Dosen Nivolumab (3 mg/kg) frühestens 6 Wochen vor der Operation erhalten.
Kopf-Hals-Tumoren: Pembrolizumab verbessert Wirkung der CRT nicht
Pembrolizumab plus Chemoradiotherapie (CRT) verbesserte das Ereignis-freie Überleben (EFS) von Patienten mit lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren (LA HNSCC) im Vergleich zu alleiniger CRT nicht signifikant (HR: 0,83; p = 0,042; eine Überlegenheit war definiert als p = 0,0242). Nach 24 Monaten lebten mit Pembrolizumab 63,2% der Patienten ohne neues Ereignis, ohne Pembrolizumab 56,2%.
Dies ergab die doppelblinde Phase-3-Studie KEYNOTE-412 (LBA5), in der 804 Patienten mit LA HNSCC, die für eine CRT geeignet waren, randomisiert mit 3 Zyklen Pembrolizumab + CRT und anschließend 14 Zyklen Pembrolizumab als Erhaltungstherapie oder mit 3 Zyklen Placebo + CRT und anschließend 14 Zyklen Placebo behandelt wurden.
Nach einem medianen Follow-Up von 37,7 Wochen war das EFS im Pembrolizumab-Arm zwar im Trend verbessert, der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass die Zugabe von Pembrolizumab bei Patienten ohne PD-L1-Expression gar keinen Vorteil zeigte.
Bei Patienten mit PD-L1 CPS von mindestens 1 betrug die HR 0,8, unter Pembrolizumab kam es bei 41,6%, unter Placebo bei 48,6% zu einem Ereignis. Bei Patienten mit PD-L1 CPS mindestens 20 betrug die HR 0,73, unter Pembrolizumab kam es bei 32,2%, unter Placebo bei 42,1% zu einem Ereignis.
Es wurden keine neuen, bislang nicht bekannten Nebenwirkungen beobachtet. „LA HNSCC bleiben eine für die Therapie eine Herausforderung“, so das Fazit der Autoren.
Desmoidtumoren: Nirogacestat verbessert PFS im Vergleich zu Placebo
Der orale Gamma-Sekretase-Inhibitor (GSI) Nirogacestat verbesserte bei Patienten mit progressiven Desmoidtumoren schnell, anhaltend und signifikant primäre und sekundäre Endpunkte im Vergleich zu Placebo. Dies ergab die Phase-3-Studie DeFi (LBA2) (siehe auch Medscape ). Nach Aussage von Prof. Dr. Bernd Kasper, Mannheim Cancer Center, ist dies „die erste Phase-3-Studie, die den klinischen Nutzen eines Gamma-Sekretase-Hemmers zeigt.“ Das oral applizierbare Nirogacestat senkte das Risiko für Progression oder Tod im Vergleich zu Placebo um 71% (p < 0,001).
Auf die Therapie sprachen 47% der Patienten an, 7% komplett. Schmerzen und weitere Symptome besserten sich durch die Behandlung signifikant. Die Nebenwirkungen waren meist vom Schweregrad 1 oder 2 und handhabbar. Nirogacestat hat deshalb das Potenzial, ein neuer Behandlungsstandard für Patienten mit therapiebedürftigen Desmoidtumoren zu werden.
Desmoidtumoren sind seltene, lokal aggressive und invasive Weichgewebetumoren. Die Inzidenz liegt bei 5 bis 6 Fällen pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr mit einem Altersgipfel zwischen 30 und 40 Jahren.
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Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Begeisterung und enttäuschte Hoffnungen: Tops und Flops vom ESMO-Kongress 2022 - Medscape - 13. Sep 2022.
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