
Prof. Dr. Bernd Kasper
Paris – Der orale Gamma-Sekretase-Inhibitor (GSI) Nirogacestat verbesserte bei Patienten mit progressiven Desmoidtumoren schnell, anhaltend und signifikant primäre und sekundäre Endpunkte im Vergleich zu Placebo. Diese Ergebnisse der Phase-3-Studie DeFi stellte Prof. Dr. Bernd Kasper, Mannheim Cancer Center, im 1. Präsidentensymposium beim ESMO-Kongress 2022 am 10. September in Paris vor [1].
Nirogacestat senkte das Risiko für Progression oder Tod im Vergleich zu Placebo um 71% (p<0,001). Nach Aussage von Kasper sei dies „die 1. Phase-3-Studie, die den klinischen Nutzen eines Gamma-Sekretase-Hemmers zeigt“.

Prof. Dr. Jean-Yves Blay
Diskutant Prof. Dr. Jean-Yves Blay, Universität Claude Bernard, Lyon (Frankreich), sieht damit für eine neue Klasse von Substanzen die Wirkung bei einem seltenen und komplexen Tumor belegt. Die Ergebnisse würden die Praxis verändern.
Er prognostizierte: „Wir werden Nirogacestat in der Therapie für Patienten mit Desmoidtumoren verwenden. Aber wir müssen herausfinden, wie wir es am besten einsetzen.“ Zu den offenen Fragen gehöre, welchen Patienten diese Behandlung angeboten werden sollte, wie man Responder identifizieren könne und welche Behandlungsdauer optimal sei.
In die DeFi-Studie waren Patienten mit progressiven Desmoidtumoren aufgenommen worden, aber sowohl Blay als auch Kasper betonten, dass Nirogacestat auch bei Patienten mit Schmerzen und Funktionsstörungen in Betracht gezogen werden könnte.
Die Studie belege zudem, so Blay, dass große placebokontrollierte Untersuchungen auch bei seltenen Krebserkrankungen durchgeführt werden könnten.
Seltener Weichgewebetumor
Zum Hintergrund: Desmoidtumoren sind seltene, lokal aggressive und invasive Weichgewebetumoren. Sie sind durch infiltratives Wachstum, durch ihre Tendenz zu lokalen Rezidiven, aber auch durch ihre Unfähigkeit zur Metastasierung gekennzeichnet. Die Inzidenz liegt bei 5 bis 6 Fällen pro 1 Million Einwohner pro Jahr mit einem Altersgipfel zwischen 30 und 40 Jahren.
Die Patienten sollten individualisiert behandelt werden, um die Tumorkontrolle zu optimieren und um insbesondere die belastende Symptomatik u. a. mit Schmerzen sowie die Beeinträchtigung der körperlichen Funktionen und der Lebensqualität zu bessern.
Desmoidtumoren exprimieren den Rezeptor Notch als Teil des Notch-Signalwegs stark; Hemmungen mit einem GSI wie Nirogacestat (siehe Kasten) sind möglich.
Phase-3-Studie DeFi
Die randomisierte, doppelblinde Phase-3-Studie DeFi schloss 142 nicht behandelte und vorbehandelte Patienten mit progressiven Desmoidtumoren in 37 nordamerikanischen und europäischen Zentren ein. „Dies ist die größte und strengste randomisierte kontrollierte Studie, die jemals bei diesem Tumor durchgeführt wurde“, so Kasper.
Randomisiert erhielten sie 150 mg Nirogacestat 2-mal täglich oder Placebo in 28-tägigen Zyklen bis zur röntgenologisch nachgewiesenen Progression. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS), zu den sekundären Endpunkten gehörten Ansprechraten, Patient-reported Outcomes (PROs) einschließlich Symptombelastung, körperliche Funktion und Lebensqualität.
Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren vergleichbar.
Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt: Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 19,2 Monaten mit Nirogacestat (n=70) und 10,9 Monaten mit Placebo (n=72) war das mediane PFS unter Nirogacestat noch nicht abschätzbar und betrug 15,1 Monate mit Placebo (HR 0,29, p<0,001).
Die PFS-Kurven teilten sich sehr früh und diese Separation blieb über die weitere Beobachtungszeit bestehen. Die günstige Wirkung auf das PFS wurde in allen vordefinierten Subgruppen gesehen.
Die Ansprechrate (overall response rate; ORR) war mit Nirogacestat mehr als 5-mal höher als mit Placebo, und zwar 41% versus 8% (p<0,001). Im Nirogacestat-Arm sprachen 7% der Patienten komplett und 34% partiell an. In 50% der Fälle kam es zur stabilen Erkrankung (SD).
Im Placebo-Arm sprachen 8% partiell an, 76% erreichten eine stabile Erkrankung. Im Median dauerte es bis zum Ansprechen mit Nirogacestat 5,6 Monate, mit Placebo 11,1 Monate.
Bei den PROs (patient-reported outcomes) verringerte Nirogacestat im Vergleich zu Placebo signifikant die Schmerzstärke und verbesserte körperliche Funktionen und Lebensqualität.
Mit Nirogacestat wurden Patienten im Median 20,5 Monate, mit Placebo 11,4 Monate behandelt. Therapiebedingte Nebenwirkungen waren meist vom Schweregrad 1 oder 2. Vom Schweregrad 3 waren Durchfall (16%), Übelkeit (1%), Fatigue (3%), Hautausschlag (6%) und Stomatitis (4%) am häufigsten.
Bei 75% der Frauen im gebärfähigen Alter kam es zu einer ovariellen Dysfunktion, die im Median nach 9 Wochen begann und 21 Wochen lang anhielt. Bei 74% der Patientinnen verschwand diese Funktionsstörung wieder, selbst wenn sie weiterbehandelt wurden.
Nirogacestat
Nirogacestat (SpringWorks Therapeutics) ist ein oraler, selektiver, kleinmolekularer Inhibitor der Gamma-Sekretase (GSI). Die Gamma-Sekretase ist ein Proteasekomplex, der mehrere Transmembranproteine, einschließlich Notch, spaltet.
Der Notch-Signalweg – benannt nach seinem Rezeptor Notch – ist ein zentraler Signaltransduktionsweg, durch den Zellen auf äußere Signale reagieren können. Das Notch-Gen wurde ursprünglich bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster entdeckt; eine Mutation des Gens führt zu Kerben (notches) in den Flügeln – daher der Name.
Bei einer Fehlregulierung kann Notch eine Schlüsselrolle bei der Aktivierung von Signalwegen spielen, die zum Wachstum von Desmoidtumoren beitragen.
Gamma-Sekretase kann auch B-Zell-Reifungs-Antigen (BCMA) spalten, das ein Target beim Multiplen Myelom ist. Derzeit wird auch geprüft, ob Nirogacestat die Aktivität von gegen BCMA gerichteten Therapien verbessern kann.
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Credits:
Photographer: © Wa Li
Lead Image: Dreamstime
Headshots: © ESMO Presse
Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Desmoidtumoren: Nirogacestat verbessert progressionsfreies Überleben im Vergleich zu Placebo - Medscape - 12. Sep 2022.
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