Die COVID-19-Pandemie hat weltweit bis Mitte 2022 zirka 15 Millionen Menschenleben gefordert. Doch so mancher Todesfall konnte durch Impfungen verhindert werden – Vakzine wurden in Rekordzeit entwickelt, untersucht und zugelassen.
Doch wie geht es in Zeiten neuer Varianten weiter? Dr. Dan H. Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center und von der Harvard Medical School, Boston, fasst im NEJM den Wissensstand über Immunreaktionen und über die humoralen bzw. zellulären Immunität zusammen und gibt Ausblicke zu Booster-Impfungen [1].
Die wichtigsten Impfstoffe und mögliche unerwünschte Effekte
Frühe Daten aus Studien mit nicht-menschlichen Primaten zeigen, dass sowohl Infektionen als auch Impfungen davor schützen, beim neuerlichen Kontakt mit SARS-CoV-2 zu erkranken.
Die biopharmazeutische Industrie hat mit Hochdruck an Impfstoffen gearbeitet. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befanden sich mit Stand vom 6. Mai 2022 mehr als 300 Kandidaten in der präklinischen oder klinischen Entwicklung. 10 von ihnen wurden von der WHO für den weltweiten Einsatz zugelassen.
Bei diesen Impfstoffen handelt es sich um 4 verschiedene Impfstoffplattformen:
Inaktivierte Virusimpfstoffe (Covilo von Sinopharm, CoronaVac von Sinovac und Covaxin von Bharat Biotech),
mRNA-Impfstoffe (Spikevax mRNA-1273 von Moderna und Comirnaty BNT162b2 von Pfizer-BioNTech)
Impfstoffe auf der Basis von Adenovirus-Vektoren (Vaxzevria und Covishield ChAdOx1 von AstraZeneca und Ad26 von Johnson & Johnson-Janssen. COV2.S)
Proteinimpfstoffe (Nuvaxovid von Novavax und Covovax NVX-CoV2373)
Gemeldete Komplikationen
Die Food and Drug Administration (FDA) und die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben vor kurzem die Verwendung von Ad26.COV2.S (Johnson & Johnson-Janssen) in den USA wegen des seltenen, aber schwerwiegenden Auftretens von impfstoffinduzierter immunthrombotischer Thrombozytopenie (VITT), auch Thrombose mit Thrombozytopeniesyndrom (TTS) genannt, eingeschränkt. VITT trat bei 54 Personen auf (von denen 9 starben), was einer Rate von 3 bis 4 Fällen pro 1 Million Geimpfte entspricht. Das Vakzin spielt in Deutschland eine untergeordnete Rolle.
Aus Europa kamen vor allem Daten über einen Zusammenhang zwischen ChAdOx1 (AstraZeneca) und VITT: mit einer Rate von 13 bis 39 Fällen pro 1 Million Geimpfte.
Myokarditis und Perikarditis wurden als Komplikationen bei BNT162b2 (Pfizer-BioNTech) und mRNA-1273 (Spikevax) gemeldet, und zwar in einer Häufigkeit von 52 bis 137 Fällen pro 1 Million geimpfter jugendlicher Jungen und junger Männer nach der 2. Dosis, mit mindestens 10 gemeldeten Todesfällen. Die Inzidenzrate einer Myokarditis innerhalb von 7 Tagen nach der 2. mRNA-Dosis liegt bei 566 Fällen pro 1 Million Personenjahre.
Wie lange schützen Impfungen?
BNT162b2 und mRNA-1273 induzierten laut Barouch „kurzfristig hervorragende neutralisierende Antikörperreaktionen“ und hätten „eine schützende Wirksamkeit“. Die hohen anfänglichen neutralisierenden Antikörpertiter im Serum, die durch mRNA-Impfstoffe induziert werden, lassen jedoch nach 3 bis 6 Monaten nach und nehmen nach 8 Monaten weiter ab, mit einer Halbwertszeit von etwa 60 Tagen.
Im Gegensatz zu BNT162b2 und mRNA-1273 induziert Ad26.COV2.S niedrigere anfängliche neutralisierende Antikörpertiter. Aber diese Antikörperreaktionen und die klinische Wirksamkeit sind für mindestens 8 Monate ziemlich stabil.
Nach 6 bis 8 Monaten sind die Antikörperreaktionen mit BNT162b2, mRNA-1273 und Ad26.COV2.S ähnlich. Real-World-Daten stimmen weitgehend mit diesen immunologischen Daten überein und haben einen anfänglich höheren Schutz mit BNT162b2 und mRNA-1273 als mit Ad26.COV2.S gezeigt, aber diese Unterschiede verringerten sich nach einigen Monaten.
Das Abklingen der Immunität mit mRNA-Impfstoffen korreliert mit vermehrten Durchbruchsinfektionen, was sich erstmals anhand unzähliger Durchbruchsinfektionen mit der Delta-Variante im Juli 2021 in Provincetown, Massachusetts, gezeigt hat.
Bei geimpften Personen mit Durchbruchsinfektionen entwickeln sich nachweislich besonders robuste Immunantworten, die als hybride Immunität bezeichnet werden.
Zelluläre Immunantworten werden sowohl durch mRNA-Impfstoffe als auch durch Impfstoffe auf der Basis von Adenovirus-Vektoren ausgelöst; sie haben sich als langlebiger erwiesen als Serum-Antikörpertiter. Wissenschaftler fanden heraus, dass B-Zellen nach einer BNT162b2-Impfung mindestens 6 Monate lang bestehen bleiben. CD8+-T-Zell-Reaktionen sind nach einer Ad26.COV2.S-Impfung besonders ausgeprägt und halten mindestens 6 bis 8 Monate lang an.
„Da CD8+-T-Zell-Reaktionen die virale Replikation nach der Infektion kontrollieren, ist es wahrscheinlich, dass SARS-CoV-2-Impfstoffe auch nach dem Abklingen der neutralisierenden Serum-Antikörpertiter weiterhin einen erheblichen Schutz vor schweren Erkrankungen bieten“, so der Autor.
Wie das Immunsystem Erreger neutralisiert
Ein Blick auf Details: Die angeborene Immunantwort ist die 1. Verteidigungslinie gegen Viren. Sie umfasst die Sekretion von Interferonen des Typs I und von antiviralen Zytokinen. Zelluläre Reaktionen kommen mit hinzu: Neutrophile, Monozyten und Makrophagen, dendritische Zellen und natürliche Killerzellen werden mobilisiert.
Zur adaptiven Immunantwort, der 2. Verteidigungslinie gegen Viren, gehören die antigenspezifische Erkennung von Virus-Epitopen. Die humorale Immunität gegen SARS-CoV-2 umfasst Antikörper, die das SARS-CoV-2-Spike-Protein binden und das Virus entweder neutralisieren oder durch andere Mechanismen eliminieren. Die zelluläre Immunität wiederum bezeichnet virusspezifische B-Zellen und T-Zellen, die ein immunologisches Langzeitgedächtnis bilden und die bei erneuter Antigenexposition schnell gebildet werden. B-Zellen produzieren Antikörper, CD8+-T-Zellen eliminieren direkt virusinfizierte Zellen, und CD4+-T-Zellen unterstützen die Immunreaktion.
Schutz vor neuen SARS-CoV-2-Varianten
Im Frühjahr 2020 ging die weltweit vorherrschende Form des ursprünglichen Virus rasch in eine Variante über, die 4 Mutationen im SARS-CoV-2-Genom trug, darunter die D614G-Punktmutation im Spike-Protein. Bald darauf gab es mehrere Wellen von SARS-CoV-2-Varianten, die frühere Varianten verdrängen konnten, wobei die neuen Varianten häufig eine höhere Übertragbarkeit und eine größere Immunflucht aufweisen.
Ende 2020 tauchten die Alpha- (B.1.1.7), Beta- (B.1.351) und Gamma-Varianten (P.1) im Vereinigten Königreich, in Südafrika bzw. in Brasilien auf. Diese Varianten wurden weltweit durch die Delta-Variante (B.1.617.2) ersetzt, die im Sommer 2021 in Indien erstmals nachgewiesen wurde.
Ende 2021 fanden Virologen die hoch übertragbare Omikron-Variante (B.1.1.529) in Afrika; Omikron entwickelte sich rasch zur weltweit am weitesten verbreiteten Virusvariante. Im Gegensatz zu den 4 Mutationen in Delta weist Omikron mehr als 50 Mutationen auf, darunter mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein, die dazu führen, dass neutralisierende Antikörperreaktionen weitgehend ausbleiben.
Die Omikron-Linie hat sich schnell in die Untervarianten BA.1, BA.1.1, BA.2, BA.2.12.1, BA.4 und BA.5 aufgespalten. Der Effekt neutralisierender Antikörper gegen BA.5 ist im Vergleich zu BA.1 und BA.2 um den Faktor 3 geringer.
Booster als Schutz vor Omikron
Mehrere Studien haben gezeigt, dass neutralisierende Antikörper, die durch alle primären Impfstoffschemata induziert werden, nur eine geringe Kreuzreaktivität mit Omikron aufweisen, dass aber das Boosten zu einem erheblichen Anstieg der neutralisierenden Omikron-Antikörper führt. Rund 4 Monate nach der 3. Impfung verringert sich der Schutz jedoch. Nach einer 4. mRNA-Immunisierung lässt der Schutz gegen eine Omikron-Infektion bereits nach 4 Wochen nach, wobei der Schutz gegen eine schwere Erkrankung länger anhält. Den besten Schutz scheint eine hybride Immunität zu bieten.
Im Gegensatz zur begrenzten Kreuzreaktivität von impfstoffinduzierten neutralisierenden Antikörpern gegen Omikron haben die durch Impfstoffe induzierten T-Zell-Reaktionen eine sehr gute (>80 %) Kreuzreaktivität zu Omikron und zu früheren Varianten. Während der Omikron-Welle in Südafrika boten die Vakzine Ad26.COV2.S und BNT162b2 einen Schutz von 72% bzw. 70% gegen Krankenhausaufenthalte und einen Schutz von 82% bzw. 70% gegen die Behandlung auf einer Intensivstation. Der Schutz lässt sich wohl vorrangig auf CD8+-T-Zell-Reaktionen und möglicherweise andere funktioneller Antikörperreaktionen zurückführen.
Immunologische Korrelate des Schutzes
In frühen präklinischen Studien an nichtmenschlichen Primaten wurden sowohl neutralisierende als auch andere funktionelle Antikörper als Korrelate des Impfschutzes gegen SARS-CoV-2 identifiziert. Laborstudien zur CD8-Depletion bei nichtmenschlichen Primaten zeigten ebenfalls, dass CD8+-T-Zellen zum Schutz beitrugen.
Darüber hinaus war das Versagen des Impfstoffs gegen Omikron bei nichtmenschlichen Primaten mit niedrigen Spiegeln sowohl von Omikron-neutralisierenden Antikörpern als auch von CD8+-T-Zellen verbunden. „Diese Daten deuten darauf hin, dass Antikörper allein die Infektion blockieren können, wenn die Titer gegen den Virusstamm ausreichend hoch sind“, so der Autor. Eine Kombination aus humoraler und zellulärer Immunität sei jedoch für die virologische Kontrolle nach einer Durchbruchsinfektion entscheidend.
Analysen von Immunkorrelaten aus klinischen Studien der Phase 3 zu mRNA-1273 und zu Ad26.COV2.S bestätigten, dass Antikörpertiter mit dem Schutz vor einer symptomatischen Covid-19-Infektion korrelierten. Diese Studien wurden jedoch vor dem Auftreten der Omikron-Variante durchgeführt, und T-Zell-Reaktionen wurden nicht berücksichtigt. Barouch: „Es ist möglich, dass die Korrelate des Schutzes gegen hochübertragbare virale Varianten … stärker auf die zelluläre Immunität ausgerichtet sind.“
Wie bereits erwähnt, boten sowohl BNT162b2 als auch Ad26.COV2.S während des Omikron-Schubs in Südafrika einen robusten Schutz vor schwerer Krankheit, ohne dass hohe Titer von neutralisierenden Omikron-Antikörpern vorhanden waren. Darüber hinaus bot Ad26.COV2.S während des Beta- und Delta-Schubs in Südafrika einen Schutz vor Krankenhausaufenthalten und Tod, ohne dass hohe Titer von neutralisierenden Antikörpern gegen diese Varianten vorhanden waren
„Zusammengenommen deuten diese Daten darauf hin, dass neutralisierende Antikörper in 1. Linie dafür verantwortlich sind, den Erwerb einer SARS-CoV-2-Infektion zu verhindern, dass aber sowohl Antikörper- als auch CD8+-T-Zell-Reaktionen für die Verhinderung einer schweren Erkrankung entscheidend sind“, kommentiert der Autor. Alle bis Juli 2022 am Markt verfügbaren Impfstoffe bieten nur einen bescheidenen Schutz gegen Infektion und gegen die Übertragung von Omikron-Variante, selbst bei maximaler Immunität nach dem Boostern.
Im Gegensatz zu neutralisierenden Antikörpern sind impfstoffinduzierte CD8+-T-Zell-Reaktionen hochgradig kreuzreaktiv gegen Omikron und tragen höchstwahrscheinlich wesentlich zum Schutz vor schwerer Krankheit bei.
Ausblick: Was Covid-19-Boosterimpfstoffe leisten sollten
Die Erwartung, dass COVID-19-Impfstoffe Infektionen verhindern und die Übertragung stoppen würden, beruhte auf ersten Daten aus dem Jahr 2020 vor dem Auftreten von Virusvarianten. Hier zeigten hohe neutralisierende Antikörpertiter eine robuste Schutzwirkung bei maximaler Immunität nach der mRNA-Impfung.
„Da die Titer der neutralisierenden Antikörper im Serum jedoch deutlich abnehmen und Varianten mit erhöhter Übertragbarkeit und Antikörper-Escape auftauchen, wäre es jetzt sinnvoll, Ziele für COVID-19-Impfstoffe nachzujustieren“, schreibt Barouch. „Die derzeitigen Impfstoffe bieten möglicherweise keinen hochgradigen und dauerhaften Schutz vor einer Infektion oder einer Übertragung mit Omikron, selbst nach mehrfacher Auffrischung und auch nach der Einführung Omikron-spezifischer Impfstoffe.“
Das wichtigste Ziel sollte vielmehr darin bestehen, einen langfristigen Schutz vor schweren Erkrankungen, Krankenhausaufenthalten und Todesfällen durch aktuelle und künftige Varianten zu bieten.
„Bei Empfehlungen für Auffrischungsimpfungen sollte daher nicht nur der Spitzenwert des neutralisierenden Antikörpertiters berücksichtigt werden, sondern auch die dauerhafte Verhinderung einer schweren Covid-19-Erkrankung“, heißt es im Beitrag. Ein solcher Schutz erfordert wahrscheinlich die Kombination aus humoraler und zellulärer Immunität.
Frühe klinische Studien haben gezeigt, dass das Boostern mit bivalenten mRNA-Impfstoffen, die sowohl Wildtyp- als auch Omikron-BA.1-Spike-Gene enthalten, Spitzenwerte an neutralisierenden Omikron-Antikörpern induzierte, die weniger als doppelt so hoch waren wie die Spitzentiter, die durch das Auffrischungsimpfungen mit den ursprünglichen mRNA-Impfstoffen induziert wurden. „Daher ist der klinische Nutzen der aktualisierten Booster im Vergleich zu den aktuellen Impfstoffen nicht eindeutig“, gibt Barouch zu bedenken.
Heterologe Prime-Boost-Schemata, die Kombinationen von mRNA- und Ad26-Impfstoffen beinhalten, werden ebenfalls untersucht. Darüber hinaus laufen derzeit erste Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Pan-Sarbecovirus- und Pan-Betacoronavirus-Impfstoffen.
Barouch: „Eine Auffrischung alle 4 bis 6 Monate zur Aufrechterhaltung hoher Titer neutralisierender Antikörper im Serum ist möglicherweise keine praktische oder wünschenswerte langfristige Strategie.“ Auch die Auffrischung mit mRNA-Impfstoffen sei nicht risikofrei.
Expertenmeinungen über den Nutzen häufiger Auffrischungsimpfungen gehen nach wie vor auseinander, und die Impfmüdigkeit kommt erschwerend mit hinzu. „Häufige Auffrischungsempfehlungen können auch von dem wichtigen Ziel ablenken, die große Zahl der ungeimpften Personen in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt zu impfen, und können die globalen gesundheitlichen Ungleichheiten weiter verschärfen“, gibt der Autor zu bedenken.
Sein Rat: „Pläne für Auffrischungsimpfungen sollten auf soliden wissenschaftlichen Daten beruhen, die eine erhebliche und nachhaltige Steigerung der Prävention schwerer Krankheiten belegen, und nicht auf kurzfristigen Steigerungen der neutralisierenden Antikörpertiter.“ Antikörperreaktionen, Gedächtnis-B-Zell-Antworten und kreuzreaktiven T-Zell-Antworten seien langfristig zu bewerten.
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Diesen Artikel so zitieren: Review vom NEJM über sinnvolle COVID-19-Booster-Strategien: So gut aktivieren die verschiedenen Impfstoffe das Immunsystem - Medscape - 9. Sep 2022.
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