„Der beste ESMO seit Jahren“: Diese wichtigen Studien werden die Onkologie der nächsten Jahre prägen

Liam Davenport

Interessenkonflikte

8. September 2022

Paris – Nachdem die Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2 Jahre lang wegen der Pandemie online stattfinden musste, treffen sich dieses Jahr Onkologen wieder vor Ort, und zwar in Paris [1].

Zu den zentralen Themen gehören laut den Organisatoren die Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krebs zu einem Zeitpunkt, an dem die Krankheitslast am geringsten ist, sowie die Weiterbildung von Onkologen, damit sie Vorgänge im Körper besser verstehen und sich den Herausforderungen der Zukunft stellen können.

Interdisziplinäre Ansätze in der Onkologie

„Ziel der Tagung ist es, die Bedeutung eines interdisziplinären Ansatzes für die onkologische Versorgung herauszuarbeiten, von der Forschung bis hin zur Klinik“, sagt Dr. Charles Swanton, wissenschaftlicher Cochair des ESMO 2022 und Gruppenleiter am Francis Crick Institute, London.

Die Tagung, die vom 9. bis 13. September sowohl vor Ort als auch online stattfinden werde, ziele darauf ab, „verschiedene Fachgebiete aus dem wissenschaftlichen, klinischen und medizinischen Bereich zusammenzubringen, um Fortschritte zu erzielen und um Outcomes zu verbessern“, so Swanton gegenüber Medscape.

Wichtig seien Strategien zur Prävention, aber auch frühzeitige, gezielte Interventionen, erklärte er. „Die Heilung fortgeschrittener Krebserkrankungen ist eine große Herausforderung“, so Swanton. „Die größten Erfolge werden in den Bereichen Prävention, Früherkennung und adjuvante Therapie erzielt.“

Weiterbildung in der Onkologie

Der wissenschaftliche Cochair Dr. Fabrice André, Forschungsdirektor am Gustave Roussy Cancer Center in Villejuif, Frankreich, sagt, dass all diese Ziele ohne Wissen nicht erreicht werden könnten.

Er wünscht sich, dass Teilnehmer den ESMO-Kongress mit einem „tieferen Verständnis“ der Krankheitsprozesse bei Krebs verlassen, denn es gebe so viele klinische Studien, dass Kongresse die einzige Möglichkeit für Onkologen seien, den Überblick zu behalten und die Ergebnisse zu interpretieren.

 
Wir treten in eine Ära ein, in der Krankheiten durch ihre molekularen Merkmale und ihren Mechanismus des Fortschreitens oder der malignen Transformation definiert werden. Dr. Fabrice André
 

„Andernfalls wird es sehr schwierig sein, auf dem neuesten Stand zu bleiben“, fügte André hinzu. „Wir treten in eine Ära ein, in der Krankheiten durch ihre molekularen Merkmale und ihren Mechanismus des Fortschreitens oder der malignen Transformation definiert werden.“

„Wenn ein Onkologe nicht weiß, wie diese Mechanismen ablaufen, ist es unmöglich, die Studie zu verstehen und die richtigen klinischen Entscheidungen zu treffen“, ergänzt André.

Eine weitere Facette des Konferenzprogramms, so André gegenüber Medscape, seien die „vielen Herausforderungen, denen sich die Onkologie in den nächsten 5-10 Jahren stellen muss“, wie Prävention, Krebsdiagnostik, aber auch Personalmangel.

Vor allem möchte er, dass der ESMO-Kongress 2022 eine „sehr starke Botschaft vermittelt, ... dass Onkologen sich auf die Krebsprävention konzentrieren müssen“. Von zentraler Bedeutung sei auch die immer stärker personalisierte Medizin mit gezielten Therapien.

 
Wenn ein Onkologe nicht weiß, wie diese Mechanismen ablaufen, ist es unmöglich, die Studie zu verstehen und die richtigen klinischen Entscheidungen zu treffen Dr. Fabrice André
 

Dies, so André, könnte „massive Auswirkungen“ auf die „personellen und technologischen Ressourcen haben, die für die Heilung einer Krebserkrankung erforderlich sind“, denn diese könnten „weitaus geringer sein, als wir derzeit glauben“.

Die wichtigsten Daten auf den Präsidentensitzungen

Wie in den vergangenen Jahren werden die wichtigsten klinischen Daten auf 3 Präsidentensitzungen jeweils am Nachmittag vorgestellt.

Swanton wird die 1. dieser Sitzungen am 10. September mit einer Studie eröffnen, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Luftverschmutzung und Lungenkrebs befasst – insbesondere mit der Frage, „wie Luftverschmutzung Lungenkrebs auf ganz unerwartete Weise verursacht; nicht durch direkte Mutation, sondern durch einen Entzündungsweg“, erklärte er.

Im Anschluss daran wird ein Abstract über die DeFi-Phase-3-Studie mit Nirogacestat im Vergleich zu Placebo bei fortschreitenden desmoiden Tumoren folgen. Dabei handele es sich um das 1. Medikament seiner Klasse, das auf einen noch nie zuvor angegriffenen Signalweg abziele, sagte Swanton. Das sei „extrem aufregend“. Hier zeige sich, „wie wichtig es ist, eine Krankheit zu verstehen, um den Patienten bessere Medikamente anbieten zu können“.

Der 3. Vortrag des Symposiums an diesem Tag befasse sich mit dem „neuen Gebiet der fortgeschrittenen T-Zell-Therapien, die auf Krebsneoantigene abzielen“, so Swanton weiter. Interessant seien Ergebnisse der TIL-Studie, einer multizentrischen, randomisierten Phase-3-Studie mit tumorinfiltrierenden Lymphozyten im Vergleich zu Ipilimumab beim fortgeschrittenen Melanom.

Dies, so Swanton, solle die Fähigkeit von „Zellimmuntherapien zur Bekämpfung des Melanoms zeigen und hoffentlich das Gesicht dieser Krankheit verändern, die Ergebnisse weiter verbessern, selbst bei Patienten, bei denen eine vorherige Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie versagt hat“.

André zufolge sei der ESMO 2022 mit TIL und ähnlichen Studien quasi das „Kick-off-Meeting für die Zelltherapie bei soliden Krebserkrankungen“.

Das 2. Präsidentensymposium am 11. September wird sich auf adjuvante und neoadjuvante Therapiekombinationen konzentrieren.

So zeigen Ergebnisse von CheckMate 914, wie der Einsatz der adjuvanten Behandlung mit Nivolumab (Opdivo®) plus Ipilimumab (Yervoy®) im Vergleich zu Placebo bei Patienten mit lokalisiertem Nierenzellkarzinom, die nach einer Nephrektomie ein hohes Risiko für einen Rückfall haben, aussieht.

Danach folgen erste Ergebnisse aus KEYNOTE-412. Hier wurde Pembrolizumab (Keytruda®) im Vergleich zu Placebo bei Patienten untersucht. Die Studie schließt Patienten ein, die eine Radiochemotherapie für lokal fortgeschrittene Plattenepithelkarzinome im Kopf- und Halsbereich erhalten haben.

Am Nachmittag werden auch die Ergebnisse der neoadjuvanten Behandlung mit Pembrolizumab im Vergleich zur adjuvanten Behandlung mit demselben Medikament bei Patienten mit reseziertem Melanom im Stadium III-IV (SWOG S1801) vorgestellt. Onkologen werden zudem Ergebnisse der NICHE-2-Studie über neoadjuvante Immun-Checkpoint-Inhibition bei lokal fortgeschrittenem Mismatch-Reparatur-defizientem Dickdarmkrebs vorstellen.

Beim 3. Präsidentensymposium am 12. September werde es um maligne Erkrankungen in fortgeschrittenen Stadien gehen, so Swanton. Er nennt Resultate der COSMIC-313-Studie zu Cabozantinib plus Nivolumab und Ipilimumab bei Patienten mit zuvor unbehandeltem, fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom mit mittlerem oder geringem Risiko sowie die RADICALS-HD-Studie, welche die Dauer der Androgendeprivationstherapie (ADT) mit postoperativer Strahlentherapie bei Patienten mit Prostatakrebs untersucht.

Außerdem wird in dieser Sitzung die CodeBreak-200-Studie zu Sotorasib im Vergleich zu Docetaxel bei vorbehandeltem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) mit KRAS-G12C-Mutation vorgestellt, ebenso wie die IPSOS-Studie zur Erstlinienbehandlung mit Atezolizumab im Vergleich zu einer Monotherapie bei Patienten mit NSCLC, die nicht für eine platinhaltige Behandlung in Frage kommen.

Insgesamt ist Swanton davon überzeugt, dass der ESMO-Kongress 2022 „wahrscheinlich der beste ESMO seit Jahren sein wird, was die klinische Wirkung angeht und die Bedeutung der Grundlagenforschung bei der Entwicklung der Medikamente der Zukunft wirklich hervorhebt“.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt bzw. adaptiert.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der  Link  zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....