Vor dem Hintergrund der laufenden Gesetzgebung zum assistierten Suizid fordert die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), die Debatte zu versachlichen. Derzeit liegen 3 Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid liegen. Im Juni beriet sie der Deutsche Bundestag in 1. Lesung.
Es fehle der Diskussion an „angemessener Differenziertheit“, so die DGHO. Daten einer jetzt veröffentlichten Umfrage unter Onkologen sollen dies ändern.
Nur wenige Onkologen haben bisher Suizidbeihilfen geleistet
Die Situationen, in denen sich die Frage nach Sterbehilfe stelle, seien kompliziert und schwer zu verstehen. Darüber hinaus variierten sie von Individuum zu Individuum und je nach Lebenslage, Lebenssicht und Krankheit stark, gibt die DGHO zu bedenken.
Von den 745 Onkologen, die bei der Umfragegeantwortet haben, haben nur 22 bereits bei einer Selbsttötung assistiert. Indessen ist das Bedürfnis von Krebspatienten offenbar groß, über die Möglichkeit der Selbsttötung informiert zu werden. 57,5% der Befragten wurden mindestens einmal von Patienten um Informationen zum Vorgehen bei einer Selbsttötung gebeten.
Vor allem Palliativpatienten, die keine Option auf eine Tumortherapie mehr hatten, baten schließlich um ein Rezept für Medikamente zur Selbsttötung, etwa in 75% der Fälle. Aber auch viele Patienten, die sich während der Therapie in einer kritischen Situation befanden oder als Palliativpatienten noch Therapieoptionen hatten, verlangten nach dem Rezept, und zwar bei 220 antwortenden Ärzten in rund 50% beziehungsweise 30% der Fälle.
„Auch wenn die assistierte Selbsttötung nur von wenigen Menschen ernstlich in Erwägung gezogen wird, gehen wir davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte in der Hämatologie und Onkologie in Zukunft häufiger mit entsprechenden Anfragen konfrontiert werden“, so Prof. Dr. Jan Schildmann, Autor der Umfrage und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Die Befragten würden allerdings nur dann eine Suizidassistenz erwägen, wenn der betroffene Patient sich frei dazu entschieden hat, erklärten fast 85% von 359 antwortenden Befragten und ebenso viele sehen ein unkontrollierbares Leiden als Voraussetzung.
Knackpunkt Freiverantwortlichkeit
Bei der Frage der Freiverantwortlichkeit setzen fast 60% von 698 antwortenden Befragten auf die regelhafte Verpflichtung zu einem Gutachten. An die 35% hielten ein Gutachten nur in manchen Fällen für nötig.
Die weit überwiegende Mehrheit der befragten Onkologen ist der Ansicht, dass die Beratung der Sterbewilligen ausschließlich (rund 35% von 710 antwortenden Befragten) oder optional (rund 45%) von Ärzten vorgenommen werden soll. „Es gibt also gute Gründe, Ärztinnen und Ärzte von der Beratung der Sterbewilligen nicht auszuschließen“, sagt Schildmann.
„Die Freiverantwortlichkeit hat aus ethischer Sicht einen besonders hohen Stellenwert“, so Schildmann zu Medscape. „Es muss zum Beispiel entschieden werden, wie mit dem Sterbewunsch verwirrter oder nicht mehr zustimmungsfähiger Menschen umgegangen wird.“ Es brauche hier grundsätzlich verbindliche Kriterienkataloge, anhand derer über die Freiverantwortlichkeit entschieden werde, meint der Ethiker. „Derzeit wird die Beratung noch sehr unterschiedlich vorgenommen. Eine gewisse Varianz wird man zwar nie ganz verhindern können. Aber wir müssen eine gewisse Vergleichbarkeit der Kriterien gewährleisten.“
Auf der Suche nach Kriterien für die Suizidbeihilfe
Hier braucht es laut DGHO-Vorstandsmitglied Dr. Carsten-Oliver Schulz besondere Sorgfalt. Besonders im niedergelassenen Bereich müsse man bedenken, „inwieweit der Wunsch nach assistierter Selbsttötung beispielweise dem Gefühl von Einsamkeit entspringt“, so Schulz. „Dann ist es unsere Aufgabe als Ärztinnen und Ärzte, gemeinsam mit den Betroffenen mögliche Wege zu finden, die konkrete Situation zu verbessern.“
Ein rechtliches Problem sieht Schildmann in den Kriterien, unter denen die befragten Onkologen eine Assistenz bei der Selbsttötung erwägen würden. Mehr als 80% von 359 Befragten sehen neben der Freiverantwortlichkeit im unkontrollierbaren Leiden die Bedingung für eine Assistenz. „Das Bundesverfassungsgericht sieht in seiner Entscheidung aber gar kein unerträgliches Leiden als Voraussetzung der Beihilfe zum Suizid“, erklärt Schildmann, „Da könnte es schwer werden, im Falle nicht unkontrollierbaren Leidens eine Ärztin oder einen Arzt für eine Suizidassistenz zu finden.“
Für besonders wichtig hält Schildmann zudem, dass sich fast 70% von 536 Befragten für eine Begleitforschung der Suizidbeihilfe ausgesprochen haben. „Die Ärztinnen und Ärzte gehen offenbar nicht davon aus, dass wir die Sache gesetzlich regeln und dann glauben: Es läuft“, sagte Schildmann. „Sondern wir müssen über die Aus- Fort- und Weiterbildung Gedanken machen, sowie über die Dokumentation und Qualitätssicherung. Nur so haben wir in 5 Jahren die Möglichkeit, die Lage zu evaluieren und gegebenenfalls nachzusteuern.“
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: DGHO-Umfrage zur Suizidbeihilfe: Jeder 2. Onkologe wurde schon von Patienten angesprochen – wie damit umgehen? Wo muss man aufpassen? - Medscape - 7. Sep 2022.
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