Barcelona – Eine einzige Tablette, die ASS, einen Lipidsenker und einen ACE-Hemmer enthält, bietet im Vergleich zu separaten Medikamenten bei Patienten mit früherem Herzinfarkt einen besseren Schutz vor einem 2. kardiovaskulären Ereignis. Das zeigen Daten aus der SECURE-Studie, die auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) präsentiert und parallel online im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde [1,2].
„Die Kurven begannen, sich gleich zu Beginn der Studie zu trennen und sie trennen sich weiter, so dass wir vermuten können, dass die Ergebnisse noch auffälliger wären, wenn wir eine noch längere Nachbeobachtungszeit hätten“, sagte Dr. Valentin Fuster, Chefarzt am Mount Sinai Hospital, New York, der die Ergebnisse auf dem auf dem ESC-Kongress vorgestellt hat.
Mit „auffallend“ meinte Fuster eine 24-%ige Verringerung der Hazard Ratio für schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) in einer Studie, in der die Patienten im Median 3 Jahre lang beobachtet wurden. Der primäre zusammengesetzte Endpunkt bestand aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und dringender Revaskularisierung (HR: 0,76; p = 0,02).
Beim sekundären zusammengesetzten Endpunkt, der sich auf kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle beschränkte, war die Polypille mit einem noch größeren relativen Vorteil gegenüber der üblichen Behandlung verbunden (HR: 0,70; p = 0,005).
Neue Erkenntnisse aus der SECURE-Studie
Laut Fuster werde die Strategie der Polypille bereits seit mehr als 15 Jahren untersucht. Andere Studien hätten ebenfalls positive Ergebnisse gezeigt, aber die jüngste Studie SECURE sei die größte prospektive, randomisierte Studie zur Bewertung einer einzigen Pille, die mehrere Therapien zur Sekundärprävention kombiniere.
Der Grad des relativen Nutzens habe „enorme Auswirkungen auf die klinische Versorgung“, erklärt die vom ESC eingeladene Kommentatorin Prof. Dr. Louise Bowman, Professorin für Medizin und klinische Studien an der Universität Oxford, Großbritannien. Sie sagt, solche Resultate seien zu erwarten gewesen, stimmte aber zu, dass Ergebnisse der Studie die Praxis verändern würden.
An der SECURE-Studie nahmen 2.499 Patienten über 65 Jahre teil. Alle hatten in den letzten 6 Monaten einen Herzinfarkt erlitten und wiesen mindestens einen weiteren Risikofaktor auf, etwa Diabetes mellitus, Nierenfunktionsstörungen oder eine frühere koronare Revaskularisation. Die Patienten wurden in 113 teilnehmenden Studienzentren in 7 europäischen Ländern betreut.
Mehrere Versionen der Polypille ermöglichen Dosis-Titration
Die Polypille bestand aus ASS in einer festen Dosis von 100 mg, dem HMG-CoA-Reduktase-Hemmer Atorvastatin und dem ACE-Hemmer Ramipril. Die Zieldosen für Atorvastatin und Ramipril betrugen 40 mg bzw. 10 mg. Dabei standen verschiedene Versionen der Polypille zur Verfügung, um eine Titration auf eine verträgliche Dosis zu ermöglichen. Die übliche Behandlung wurde von den teilnehmenden Prüfärzten gemäß den ESC-Empfehlungen durchgeführt.
Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Patienten betrug 76 Jahre. Knapp ein Drittel (31%) waren Frauen. Zu Beginn der Studie litten die meisten an Bluthochdruck (77,9%) und an Diabetes (57,4%).
Bei der Einzelbewertung der Ereignisse des primären Endpunkts war die Polypille mit einer 33-prozentigen relativen Verringerung des Risikos eines kardiovaskulären Todes verbunden (HR: 0,67; p = 0,03). Das Risiko eines nicht tödlichen Herzinfarkts (HR: 0,71) und eines Schlaganfalls (HR 0,70) verringerte sich um die gleiche Größenordnung, erreichte jedoch keine statistische Signifikanz. Die Zahl der dringenden Revaskularisationen wurde nicht signifikant gesenkt (HR: 0,96). Auch die Verringerung der Gesamtmortalität (HR: 0,97) war statistisch nicht signifikant.
Die Rate der unerwünschten Ereignisse im Verlauf der Studie betrug 32,7% in der Polypillen-Gruppe und 31,6% in der Gruppe mit üblicher Behandlung, was keinen signifikanten Unterschied darstellt. Auch bei den Arten von unerwünschten Ereignissen, einschließlich Blutungen habe es keine signifikanten Unterschiede gegeben, so Fuster.
Bei der Therapietreue, die nach 6 und 24 Monaten anhand der Morisky-Skala überprüft wurde, wurde zwischen niedrig, mittel oder hoch unterschieden. Mehr Patienten in der Polypillen-Gruppe erreichten nach 6 Monaten (70,6% gegenüber 62,7%) und nach 24 Monaten (74,1% gegenüber 63,2%) eine hohe Adhärenz. Umgekehrt wurden weniger Patienten in der Polypillen-Gruppe zu beiden Zeitpunkten als wenig adhärent eingestuft.
„Wahrscheinlich ist die Adhärenz der wichtigste Grund für das Funktionieren der Studie“, sagte Fuster. Obwohl es beim Vergleich nach 24 Monaten keine wesentlichen Unterschiede bei den Lipidwerten oder dem systolischen oder diastolischen Blutdruck zwischen den beiden Gruppen gab, existieren mehrere Theorien, die niedrigere Ereignisraten in der Polypillen-Gruppe erklären könnten, einschließlich einer nachhaltigeren entzündungshemmenden Wirkung aufgrund einer besseren Therapietreue.
Eine mögliche Einschränkung war das offene Studiendesign. Aber Bowman sagte, dass dies unvermeidlich gewesen sei, da es schwierig war, die Teilnehmer in Unwissenheit zu lassen, und da der Vergleich einer einzelnen Pille mit mehreren Pillen „der Sinn der Studie“ war.
Sie wies darauf hin, dass die Abbruchrate von 14% im Verlauf der Studie, die größtenteils auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sei, und die geringere Teilnehmerzahl als geplant (2.500 gegenüber den geplanten 3.000 Patienten) ebenfalls eine Einschränkung darstellten und ein „robusteres Ergebnis“ verhindert hätten. Resultate der Studie würde dies aber nicht infrage stellen.
Nutzen der Polypille in allen Subgruppen nachgewiesen
Fuster ging zwar auf diese Einschränkungen ein, betonte jedoch die Konsistenz der Ergebnisse mit früheren Studien und innerhalb der Studie selbst. Von 16 vordefinierten Subgruppen, die beispielsweise nach Alter, Geschlecht, Komorbiditäten und Land der Behandlung stratifiziert worden sind, profitierten alle in ähnlichem Maße von der Polypille. „Dies unterstreicht die Bedeutung der Studie“, so Fuster.
Neben den Auswirkungen auf das Risikomanagement weltweit wiesen Fuster und Kollegen, darunter auch Bowman, auf das Potenzial einer relativ kostengünstigen Polypille zur Verbesserung der Versorgung in ressourcenarmen Gebieten hin. Trotz der Entwicklung hin zu einer stärkeren Personalisierung der Medizin bezeichnete Fuster die Einfachheit als den Schlüssel zur weltweiten Versorgung von Patienten.
Prof. Dr. Salim Yusuf, ein führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der internationalen Polypillen-Forschung, stimmte dem zu. Wie er sagte, seien die Daten, die diesen Ansatz unterstützen, schlüssig. Yusuf ist Professor für Medizin an der McMaster University in Hamilton, Ontario, USA.
„Es gibt inzwischen 4 positive Studien zur Polypille und die Daten sind insgesamt überwältigend eindeutig“, sagte Yusuf in einem Interview. „Die Polypille sollte sowohl in der Sekundärprävention als auch in der Primärprävention für Hochrisikopersonen in Betracht gezogen werden. Wir haben geschätzt, dass die Polypille, wenn sie auch nur bei 50% der Personen, die sie erhalten sollten, eingesetzt wird, 2 Millionen vorzeitige Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 6 Millionen nicht tödliche Ereignisse vermeiden würde. Der nächste Schritt ist die Umsetzung der Ergebnisse.“.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt bzw. adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Andrey Kiselev
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: „Polypille“ verhindert jeden dritte kardiovaskulären Tod bei Risikopatienten – Compliance als Erfolgsschlüssel - Medscape - 5. Sep 2022.
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