Forscher der University of Cambridge und des Caltech haben aus Stammzellen per Selbstorganisation ein Modell für Mausembryos mit schlagendem Herz, mit Grundlagen für ein Gehirn und für andere Organe geschaffen. Die Embryonen wurden bis Tag 8,5 komplett in vitro kultiviert. Details sind in Nature erschienen. Bereits am 1. August waren in Cell ähnliche Forschungsergebnisse einer israelischen Forschergruppe erschienen [1,2].
Die neuen Ergebnisse von Prof. Dr. Magdalena Zernicka-Goetz, Caltech, und Kollegen könnten Forschern helfen, zu verstehen, warum einige Embryonen in utero zu Grunde gehen, während sich andere im Rahmen einer gesunden Schwangerschaft zu einem Fötus entwickeln. Darüber hinaus hoffen Forscher, die Reparatur und Entwicklung synthetischer menschlicher Organe für die Transplantation zu steuern.
Ob sich die bei der Maus entwickelten Modelle auf menschliche Stammzellen übertragen lassen, ist aktuell ungewiss. Das Thema wirft nicht nur wissenschaftliche, sondern auch ethische Fragen auf.
Natürliche Vorgänge im Labor simuliert
Ein Blick auf die Details: Das Embryomodell wurde ohne Eizellen, Spermien und ohne einen Uterus hergestellt. Stattdessen ahmten die Forscher natürliche Prozesse im Labor nach, indem sie 3 Arten von Stammzellen, die in der frühen Säugetierentwicklung gefunden wurden, bis zu dem Punkt kultivierten, an dem sie zu interagieren begannen: embryonale Stammzellen, Trophoblasten-Stammzellen und induzierbare extraembryonale Endoderm-Stammzellen, die alle aus Mäusen stammten.
Indem sie die Expression eines spezifischen Satzes von Genen induziert und eine bestimmte Umgebung für ihre Interaktionen geschaffen hatten, konnten Forscher Stammzellen dazu bringen, in Wechselwirkung zu treten.
Sie fanden heraus, dass die extraembryonalen Zellen den embryonalen Zellen durch chemische Signale, aber auch durch Berührung signalisieren, indem sie die Entwicklung des Embryos lenken.
Die Stammzellen organisierten sich selbst zu Strukturen, die die aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien durchliefen, bis die synthetischen Embryonen schlagende Herzen und die Grundlagen für ein Gehirn sowie den Dottersack hatten, in dem sich der Embryo entwickelt und aus dem er in seinen ersten Wochen Nährstoffe erhält. „Dies ist die am weitesten fortgeschrittene Entwicklungsstufe, die bisher in einem von Stammzellen abgeleiteten Modell erreicht wurde“, heißt es im Artikel.
Als großer Fortschritt gilt die Möglichkeit, das gesamte Gehirn zu erzeugen, insbesondere die vordere Region. „Das eröffnet neue Möglichkeiten, die Mechanismen der Neuroentwicklung in einem experimentellen Modell zu untersuchen“, sagt Zernicka-Goetz. „Tatsächlich demonstrieren wir das in der Arbeit, indem wir ein Gen ausschalten, von dem bereits bekannt ist, dass es für die Bildung des Neuralrohrs, dem Vorläufer des Nervensystems, und für die Entwicklung des Gehirns und der Augen wesentlich ist.“
In Abwesenheit dieses Gens zeigen synthetische Embryonen bekannte Defekte in der Gehirnentwicklung wie bei einem Tier mit entsprechenden Mutationen. „Wir können also damit beginnen, unseren Ansatz auf die vielen Gene mit unbekannter Funktion in der Gehirnentwicklung anzuwenden“, so Zernicka-Goetz weiter.
Mit humanen Stammzellen zu Organen für die Transplantation?
Während die aktuelle Forschung in Mausmodellen durchgeführt wurde, entwickeln die Forscher ein analoges Modell für menschliche Embryonen, um die Mechanismen hinter entscheidenden Prozessen zu verstehen, die sonst unmöglich in echten Embryonen untersucht werden könnten.
Wenn sich diese Methoden in Zukunft mit menschlichen Stammzellen als erfolgreich erweisen, könnten sie auch zur Entwicklung synthetischer Organe für Patienten, die auf eine Transplantation warten, eingesetzt werden.
„Es gibt so viele Menschen auf der ganzen Welt, die jahrelang auf Organtransplantationen warten“, sagt Zernicka-Goetz. „Was unsere Arbeit so spannend macht, ist, dass das daraus resultierende Wissen verwendet werden könnte, korrekte synthetische menschliche Organe zu züchten, um Leben zu retten, die derzeit verloren sind. Es sollte auch möglich sein, erwachsene Organe zu beeinflussen und zu heilen, indem wir das Wissen nutzen.“
Wie Experten die Arbeit einstufen
„Derzeitige Studien liefern vor allem einen ‚Proof-of-principle‘ dafür, dass synthetische Embryonen, die Mausembryonen ähneln, außerhalb des Mutterleibs erzeugt werden können“, sagt Dr. Jesse Veenvliet vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. „Die Effizienz ist dabei noch sehr gering: In der Arbeit von Hanna entwickeln sich 0,1 bis 0,5% der Embryonen und in der Publikation von Zernicka-Goetz werden dazu keine genauen Angaben gemacht.“
Veenvliet betont, die Strukturen seien zwar recht embryoähnlich, aber denoch unvollkommen. „Die entstehenden Gebilde weisen deutlich sichtbare Defekte auf und überleben nicht über frühe Stadien der Organogenese hinaus“, sagt er. „Die Verbesserung des Maussystems, so dass ein seltenes Ereignis reproduzierbar wird, wäre daher der nächste wichtige Schritt.“
Auch PD Dr. Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster hat sich die Daten angesehen. „Diese Ergebnisse, die bei Mäusen erzielt wurden, sind atemberaubend“, sagt er. „Die verblüffende Ähnlichkeit – obwohl dies nur die Minderheit der Fälle darstellt – zwischen den synthetischen und den natürlichen Embryonen zeigt, dass die Produktionsmethode der beiden Studien geeignet war, nicht nur um die erhebliche Hürde der Gastrulation zu überwinden, sondern auch, dass die Organogenese bis zu einem bedeutenden Stadium z.B. die Neurulation fortgeführt wurde.“
Die Studie bewertet er wissenschaftlich als großen Sprung: „Insgesamt haben die synthetische Mausembryonen fast die Hälfte der Entwicklung geschafft – 8,5 von den 19 Tagen bis zur Geburt bei Nagern.“ Noch beeindruckender sei, dass dazu keine Eizelle und keine Gebärmutter notwendig gewesen wären. Offenbar sei der Übergang von der Eizelle zum Embryo durch mütterliche Gene nicht länger gegeben.“
Übertragung auf den Menschen – nicht ob, sondern wann
„Ich glaube nicht, dass die Mäuse ein Sonderfall sind“, sagt Boiani. „Technisch gesehen ist die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen aus meiner Sicht gut vorstellbar, obwohl die Bioreaktoren (Rollflaschen) nicht Tage oder Wochen, sondern Monate halten müssten.“ Darin sieht er eine „fast unüberwindbare Herausforderung“.
Veenvliet sieht in der Arbeit einen „wichtigen Ausgangspunkt“. „Ich bin sicher, dass es einen Wettlauf um die Herstellung der ersten menschlichen Strukturen geben wird“, sagt er. „Dies wird nicht einfach sein, nicht zuletzt aufgrund der entscheidenden Unterschiede in der Entwicklung von Maus und Mensch sowie in der anderen Biologie von murinen und menschlichen Stammzellen.“ Die Frage sei jedoch nicht, ob, sondern wann eine Übertragung dieser Erkenntnisse mit Mausstammzellen auf menschliche Stammzellen erfolgen werde.
Ethische Aspekte berücksichtigen
Jenseits wissenschaftlicher Überlegungen bleiben ethische Fragen offen. „Die neuen synthetischen Embryonen … unterliegen laut den ISSCR-Leitlinien einer umfassenderen ethischen Prüfung“, so Veenvliet. Die International Society for Stem Cell Research (ISSCR) empfiehlt, dass Studien, bei denen menschliche Embryonen über die 2-Wochen-Marke hinaus im Labor gezüchtet werden sollen, vorher von interdisziplinären Kommissionen geprüft werden. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz bisher Experimente an menschlichen Embryonen.
„Ich denke, dass wir die Debatte darüber eher früher als später beginnen sollten, aber gleichzeitig ist es absolut entscheidend zu erkennen, dass diese synthetischen Embryonen – wie das Mausmodell zeigt –, egal wie embryoähnlich sie aussehen, kein organismisches Potenzial haben: Sie können nicht zu einer Lebendgeburt führen“, sagt der Experte.
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Schlagendes Herz und Gehirn: Forscher stellen nur aus Stammzellen Maus-Embryo in vitro her – was bringt dies für die Medizin? - Medscape - 5. Sep 2022.
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