Rotes Fleisch begünstigt kardiovaskuläre Erkrankungen – und das Darmmikrobiom könnte dabei bedeutsamer sein als das Cholesterin

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

1. September 2022

Der Verzehr von rotem Fleisch und anderen Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist mit einem erhöhten Risiko für atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) verbunden. Eine vermittelnde Rolle spielen dabei das Darmmikrobiom sowie Blutzucker, Insulin und C-reaktives Protein, überraschenderweise aber nicht Blutdruck und Cholesterin, wie eine Studie im Fachblatt Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology zeigt [1].

Für die Studie machten 3.931 Frauen und Männer im Alter von über 65 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung Angaben zu ihrer Ernährung, auch zum Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Schwein und Lamm) sowie anderen tierischen Lebensmitteln.

Außerdem bestimmten die Autoren um Dr. Meng Wang von der Friedman School of Nutrition Science and Policy an der Tufts University in Boston, USA, bei den Probanden die Konzentration vom Darmmikrobiom produzierte Biomarker für den Fleischkonsum.

Über einen Nachbeobachtungszeitraum von median 12,5 Jahren dokumentierten Wang und ihre Kollegen in der Studienkohorte das Auftreten von Myokardinfarkten, tödlichen koronaren Herzkrankheiten, Schlaganfällen und anderen atherosklerotischen Todesfällen.

Beobachtungsstudie mit gesunden Älteren

Um den alterungsbedingten Verlust an Kraft und Muskelmasse auszugleichen, ist der Proteinbedarf älterer Menschen erhöht. Ein potenzieller Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Fleisch und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte für sie von besonderer Bedeutung sein.

Die Teilnehmenden, zu etwa einem Drittel Männer, waren zu Beginn der Beobachtung im Mittel 73 Jahre alt und befanden sich zu über 80% in einem guten bis sehr guten Gesundheitszustand. Ihre BMI-Werte lagen bei 26-27 kg/m2. Wang und seine Kollegen stratifizierten die Kohorte abhängig vom Fleischkonsum in 5 Quintile: < 1x/Woche, 1-2x/Woche, 3-4x/Woche, 1x/Tag und 2x/Tag.

Jede tägliche Portion rotes Fleisch erhöht kardiovaskuläres Risiko um 20%

Nach statistischer Anpassung um verschiedene Störvariablen war eine höhere Zufuhr von unverarbeitetem rotem Fleisch mit einem signifikant höheren ASCVD-Risiko verbunden (HR 1,15). Gleiches galt für den Verzehr von Fleisch insgesamt (unverarbeitet und verarbeitet; HR 1,22) sowie Lebensmittel tierischen Ursprungs insgesamt (HR 1,18).

Dr. Stefan Kabisch

Jede Portion pro Tag an unverarbeitetem rotem Fleisch habe das Risiko für ASCVD um etwa 20 % erhöht, schreiben die Autoren. Der Verzehr von verarbeitetem Fleisch (z.B. Wurstwaren) für sich genommen zeigte zwar einen Trend (HR 1,11), war aber nicht signifikant mit einem höheren ASCVD-Risiko verbunden, ebenso wenig wie der Verzehr von Fisch, Geflügel und Eiern.

Einfluss von Störfaktoren muss berücksichtigt werden

„Wie jede Beobachtungsstudie hat auch diese natürlich Störgrößen, die durch statistische Anpassung nur unzureichend korrigiert werden können“, sagt Dr. Stefan Kabisch von der Medizinischen Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin an der Charité Berlin auf Nachfrage von Medscape. „In den Gruppen mit höherem Fleischkonsum gab es einen höheren Männeranteil, mehr Bildungsferne und häufigeren Nikotinkonsum, Diabetes und einen tendenziell schlechteren Gesundheitszustand. Neben höherem Fleischkonsum zeigten diese Teilnehmer einen deutlich geringeren Verzehr an Milchprodukten sowie Ballaststoffen aus Obst und Gemüse.“

 
In den Gruppen mit höherem Fleischkonsum gab es einen höheren Männeranteil, mehr Bildungsferne und häufigeren Nikotinkonsum, Diabetes und einen tendenziell schlechteren Gesundheitszustand. Dr. Stefan Kabisch
 

Dennoch: Dass sich „für Fleisch insgesamt und für unverarbeitetes rotes Fleisch ein linearer Dosisbezug gezeigt hat, weist auf tatsächliche mechanistische Zusammenhänge und Kausalität hin“, ergänzt er. „Für verarbeitetes Fleisch zeigt sich dieser Zusammenhang kurioserweise nicht, obwohl auch dieses die untersuchten Biomarker liefert. Ebenfalls kurios: Das Risiko durch Gesamtfleisch ist höher als für jede der Untergruppen, obwohl sich neutrale Lebensmittel wie Fisch oder Geflügel und die risikotragenden Lebensmittel in der Mitte treffen müssten.“

Metaboliten der Darmflora könnten Risiko durch Fleischkonsum vermitteln

Aus dem in rotem Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln enthaltenen L-Carnitin erzeugen Bakterien des Darmmikrobioms Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) und dessen Metaboliten γ-Butyrobetain und Crotonobetain.

Es zeigte sich, dass TMAO und seine Betain-Metaboliten die Assoziation zwischen Fleisch und ASCVD zu einem signifikanten Teil vermittelten: Bei unverarbeitetem rotem Fleisch war es ein Anteil von 10,6%, bei Fleisch insgesamt von 7,8% und bei Lebensmitteln tierischen Ursprungs insgesamt von 9,2%.

Experte zweifelt an TMAO-vermittelten Mechanismen

Für die Autoren der Studie „sprechen diese Ergebnisse dafür, dass es biochemische Zusammenhänge zwischen rotem Fleisch in der Ernährung, dem Darmmikrobiom und ASCVD gibt“. Doch Kabisch zweifelt: „Die spezifisch für diese Studie relevante und dort beschriebene Korrelation zwischen Carnitin-abhängigen Biomarkern der TMAO-Gruppe und Ernährungsdaten stellt sich in dieser Studie als sehr schwach heraus. Eventuell ist diese postulierte Beziehung gar nicht in dem Maße vorhanden.“

 
Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass es biochemische Zusammenhänge zwischen rotem Fleisch in der Ernährung, dem Darmmikrobiom und ASCVD gibt. Dr. Meng Wang und Kollegen
 

Der Mechanismus über TMAO setze bestimmte genetische Bedingungen und bestimmte Darmbakterien voraus, was aber nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen sei, erläutert der Experte weiter. Darüber hinaus entstehe TMAO auch nicht nur aus Fleisch-Carnitin, sondern auch aus Cholin und Lecithin, die in vielen anderen Lebensmitteln enthalten seien. „Im Besonderen für die Zusammenhänge von TMAO und kardiovaskulären Erkrankungen gibt es eine andere Beobachtungsstudie ohne signifikantes Ergebnis.“

Für Blutdruck und Cholesterin gibt es Entwarnung

Weitere Risikofaktoren, die vermittelnd auf die Assoziation zwischen dem Fleischverzehr und dem Risiko für ASCDV wirkten, waren Blutzucker, Insulin und C-reaktives Protein. Blutdruck und Cholesterin erwiesen dagegen überraschenderweise nicht als signifikante Mediatoren des Zusammenhangs zwischen Gesamtfleisch und ASCVD.

Für Erstautorin Wang sprechen ihre Ergebnisse dafür, dass gesättigte Fette in der Nahrung kein wesentlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind und ihre gesundheitlichen Auswirkungen von der Nahrungsquelle abhängen.

Im höheren Alter spielt die Ernährung nur noch eine untergeordnete Rolle für ASCVD

„Nüchternglukose, Nüchterninsulin und der Entzündungswert CRP als Indikatoren für Insulinresistenz und Metabolisches Syndrom sind ähnliche bis stärkere Mediatoren als die relativ fleischspezifischen Biomarker wie TMAO“, meint Kabisch dazu. „Es bleiben generell vermutlich zahlreiche Störgrößen zurück, durch die sich der hier gefundene Zusammenhang zwischen rotem Fleisch, TMAO und kardiovaskulären Erkrankungen erklären lassen kann.“

 
Es bleiben generell vermutlich zahlreiche Störgrößen zurück, durch die sich der hier gefundene Zusammenhang zwischen rotem Fleisch, TMAO und kardiovaskulären Erkrankungen erklären lassen kann. Dr. Stefan Kabisch
 

Kabisch hat einen weiteren Einwand: „Die Patienten waren schon zu Beginn der Beobachtungsphase relativ alt, wenn auch ohne kardiovaskuläres Vorereignis. Im höheren Alter spielen viele Ernährungsfaktoren keine große Rolle mehr bei der Entstehung langwieriger Erkrankungen wie Atherosklerose. Ob ein Herzinfarkt oder Schlaganfall bei Menschen über 65 ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung auftritt, hängt dann eher von anderen Faktoren wie Diabetes, Medikamenten und anderen, etwa onkologischen Begleiterkrankungen ab.“

Beobachtungsstudien reichen für Ernährungsempfehlungen nicht aus

Beobachtungsstudien seien in der Ernährungsforschung zu ungenau, um allein daraus valide Ernährungsempfehlungen abzuleiten, konstatiert Kabisch abschließend.

 
Im höheren Alter spielen viele Ernährungsfaktoren keine große Rolle mehr bei der Entstehung langwieriger Erkrankungen wie Atherosklerose. Dr. Stefan Kabisch
 

Dafür seien langfristige randomisiert-kontrollierte Studien notwendig, wie es sie zu anderen Lebensmittelgruppen wie Vollkornprodukten, Olivenöl oder Nüssen längst gebe, auch mit dem Fokus auf Herzgesundheit und Stoffwechsel.

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