Die European Atherosclerosis Society (EAS) hat neue Empfehlungen zu Lipoprotein(a) (Lp[a]) herausgegeben: Demnach sollte der Wert bei jedem Erwachsenen mindestens einmal im Leben bestimmt werden. Therapien seien in der Pipeline, aber aktuell noch nicht verfügbar. Bei erhöhtem Lp(a) sollte deshalb ein intensives Management der anderen kardiovaskulären Risikofaktoren erfolgen, heißt es in der Stellungnahme, die Erstautor Prof. Dr. Florian Kronenberg beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2022 in Barcelona vorstellte [1].
Die Autorengruppe empfiehlt entsprechend der meisten Lipid-Leitlinien eine Senkung des LDL-Cholesterins mit Statinen, die Einstellung von Blutdruck und Glukose und die Modifikation von Lebensstilfaktoren.
In der zeitgleich im European Heart Journal erschienenen Publikation betonen der Direktor des Instituts für Genetische Epidemiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck und seine Kollegen [2]: „Statine können die Lp(a)-Werte leicht erhöhen. Aber die kardiovaskulären Vorteile überwiegen bei Patienten mit hohem Lp(a) bei Weitem das potenzielle Risiko durch diese bescheidene Erhöhung, schreiben Kronenberg und seine Kollegen.
Statine senken Lp(a) nicht, aber das kardiovaskuläre Risiko
„Die Empfehlung, bei erhöhtem Lp(a) Statine als Mittel der 1. Wahl einzusetzen, zielt darauf ab, das LDL-Cholesterin und damit das globale kardiovaskuläre Risiko zu senken, das Lp(a) wird damit nicht reduziert“, verdeutlicht Prof. Dr. Ulrich Laufs, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig, im Gespräch mit Medscape.
Der Lipidexperte ergänzt: „Derzeit ist es ausreichend, den Lp(a)-Wert einmal zu messen. Angesichts dessen, dass wir momentan was Lebensstilmodifikation und Medikamente angeht, nur sehr, sehr begrenzte Möglichkeiten haben, können wiederholte Messungen Patienten sogar verunsichern.“
Neues Wissen und Therapien am Horizont
Die letzten Empfehlungen der EAS zu Lp(a) stammen aus dem Jahr 2010. „Seither hat sich das Wissen um die Rolle von Lp(a) bei atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen und auch die Aortenklappenstenose beträchtlich erweitert“, schreiben Kronenberg und seine Kollegen.
Außerdem bestehe mittlerweile die Perspektive auf wirksame Therapien, sagt Laufs. 2 RNA-basierte Wirkstoffe, die an der Lp(a)-Produktion in den Hepatozyten angreifen, befinden sich derzeit in fortgeschrittenen Stadien der klinischen Prüfung.
RNA-Wirkstoffe in Phase-2-Studien hochwirksam
In der Phase-2-Studie war das Antisense-Oligonukleotid Pelacarsen (Novartis; Ionis Pharmaceuticals) in der Lage, Lp(a) um 80% zu senken. Nahezu alle Patienten erreichten Lp(a)-Werte unter 125 nmol/l (∼50 mg/dl). Werte darüber gelten als riskant. Die Rekrutierung für die Phase-III-Studie HORIZON zu Pelacarsen ist bereits abgeschlossen.
Mit der siRNA Olpasiran (Amgen) konnten in der Phase-2-Studie Lp(a)-Senkungen um 71 bis 97% erreicht werden, auch hier erreichten die Patienten zu 98% Werte unterhalb der Risikoschwelle von 50 mg/dl. Die Rekrutierung für die entsprechende Phase-III-Studie OCEAN hat gerade begonnen.
Potenzielle Therapieoption für Aortenklappenstenose
Die neuen Therapien könnten auch eine neue Hoffnung für die Therapie der Aortenklappenstenose bedeuten. Die aktuelle Evidenz zeige eindeutig, dass es eine kausale Assoziation nicht nur zwischen der Lp(a)-Konzentration und atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen, sondern auch mit Aortenklappenstenosen gebe, schreiben die Autoren der Stellungnahme. Dabei betonen sie, dass erhöhtes Lp(a) selbst bei sehr niedrigen LDL-Cholesterin-Werten einen Risikofaktor darstellt.
„Die Aortenklappenstenose ist wahrscheinlich die letzte große kardiovaskuläre Erkrankung, für die es bisher keine krankheitsverzögernde medikamentöse Therapie gibt“, schreiben sie. Und der Bedarf an einer solchen Therapie ist enorm, angesichts dessen, dass die Prävalenz der Aortenklappenstenose bis 2050 um mehr als 300% ansteigen soll.
„Die Pathogenese der Aortenklappenstenose ist unvollständig verstanden, aber viele Risikofaktoren sind parallel zur Atherosklerose“, erklärt Laufs. „Man hat selten eine Aortenklappenstenose, ohne dass Atherosklerose auch mit dabei wäre. Man sollte Lp(a) grundsätzlich bei jedem Menschen einmal im Leben bestimmen, aber bei Patienten mit einer Aortenklappenstenose gilt das besonders“, ergänzt er.
Lp(a)-Erhöhung wirkt nicht prothrombotisch
Anders als bei atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen und Aortenklappenstenose, bestehe der aktuellen Evidenz zufolge kein Zusammenhang zwischen Lp(a) und venösen Thromboembolien, schreiben die Autoren.
„Das ist relativ neu“, so Laufs. „Bisher waren wir der Ansicht, dass Lp(a) auch ein prothrombotischer Risikofaktor ist, da das Schwänzchen des Lipoproteins eine Strukturhomologie mit Plasminogen aufweist und es auch entsprechende experimentelle Hinweise gab.“
In der klinischen Konsequenz werde in Deutschland häufig bei prämaturen Thrombosen oder Aborten der Lp(a)-Wert mitbestimmt. „Dieses Vorgehen hat sich nach dem aktuellen Stand der Forschung nicht bestätigt“, sagt Laufs.
Erhöht Lp(a)-Senkung womöglich das Diabetesrisiko?
Verschiedene prospektive Studien der letzten Jahre haben Hinweise darauf geliefert, dass möglicherweise nicht nur ein sehr hohes, sondern auch ein sehr niedriges Lp(a) von Nachteil sein könnte. „Sehr niedrige Lp(a)-Konzentrationen gehen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes mellitus einher“, schreiben Kronenberg und seine Koautoren.
In einer Metaanalyse der verfügbaren Studien sei das Diabetesrisiko bei sehr niedrigen Lp(a)-Werten von unter 3-5 mg/dl um 38% höher gewesen als bei sehr hohen Lp(a)-Werten von 27-50 mg/dl. „Die Mechanismen, die dieser Assoziation zugrunde liegen, sind bislang unverstanden“, so die Autoren.
Zu bedenken sei auch, dass es sich bei den Diabetesfällen in diesen Studien nicht zwangsläufig um einen klinisch manifesten Diabetes handelte, sondern vielmehr um HbA1c-Werte, die die Schwelle von 6,5% überschritten, ergänzt Laufs.
Kausaler Zusammenhang längst nicht bewiesen
Und der Leipziger Lipidexperte Laufs betont: „Es ist nicht klar, ob es am Lp(a) selbst liegt oder ob es möglicherweise eine genetische Prädisposition gibt, die ko-vererbt wird.“ Insbesondere dürfe man daraus nicht ableiten, dass eine Lp(a)-senkende Therapie die Diabetesprävalenz erhöhen würde.
Ob es sich dabei um eine kausale Assoziation handele und ob das potenzielle Diabetesrisiko durch aggressive Lp(a)-senkende Therapien erhöht werde, müsse weiter erforscht und bei der Risiko-Nutzen-Abwägung künftiger Therapien berücksichtigt werden, so die Autoren.
Familienscreening kann Personen mit hohem Risiko identifizieren
„Die neue Stellungnahme der EAS enthält viele Klarstellungen und ist sicherlich die beste Referenz für die Literatur zu Lp(a), die man aktuell finden kann“, lobt Laufs. Von den klinischen Implikationen her habe sich im Vergleich zu den Leitlinien der EAS und der European Society of Cardiology (ESC) von 2019 noch nichts Substanzielles geändert. Auch diese Leitlinien empfehlen bereits eine einmalige Messung des Lp(a), um denjenigen Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko eine optimierte Prävention zukommen zu lassen.
Der zweite Aspekt ist außerdem die Durchführung eines Familienscreenings, so Laufs. „Erhöhtes Lp(a) ist besonders maligne, wenn es in Kombination mit prämaturer Atherosklerose auftritt, ein häufiges Beispiel ist der 40-jährige Patient mit Myokardinfarkt“, erklärt er. Fänden sich dann in der Familienanamnese viele atherosklerotische Ereignisse, sei es wichtig, ein Familienscreening durchzuführen, auch bei Kindern. „Hohe Lp(a)-Werte sind auch übernormal häufig mit familiärer LDL-Hypercholesterinämie vergesellschaftet“, sagt Laufs.
In der Diskussion befindet sich derzeit, ob man bereits im Kindesalter ein LDL-Cholesterin-Screening machen sollte, um Personen mit familiärer Hypercholesterinämie nicht zu übersehen -etwa bei der U9 im Grundschulalter. „In diesem Alter ließe sich daraus bereits eine Therapiekonsequenz ableiten“, so Laufs.
„Im Zuge dieser Diskussion wird auch überlegt, das Lp(a) einmalig mitzubestimmen.“ Damit würde man nicht nur die Kinder mit erhöhtem Risiko identifizieren, sondern über das Kinderscreening möglicherweise auch die Eltern und Großeltern. „Das ist aber von einer Umsetzung noch weit entfernt“, bedauert er abschließend.
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Diesen Artikel so zitieren: Einmal im Leben bitte testen: Neue EAS-Empfehlungen zur Messung von Lipoprotein(a) bei jedem Erwachsenen - Medscape - 30. Aug 2022.
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