Barcelona – Der SGLT2-Inhibitor Dapagliflozin senkt das Risiko für kardiovaskulären Tod und Verschlimmerung der Herzinsuffizienz (HF) auch bei HF-Patienten mit nur leicht reduzierter oder erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF). Dies gilt unabhängig von der Höhe der Ejektionsfraktion, Faktoren wie Diabetes, Adipositas, Gebrechlichkeit und Alter, oder ob die Patienten kürzlich wegen Herzinsuffizienz im Krankenhaus behandelt werden mussten. Das zeigen verschiedene Auswertungen der DELIVER-Studie, die beim ESC Congress 2022 in Barcelona präsentiert wurden [1].
Da nun auch Dapagliflozin in dieser Patientengruppe untersucht wurde, zeigt eine Metaanalyse der DELIVER-Studie und der EMPEROR-Preserved-Studie (Empagliflozin): Mit SGLT2-Inhibitoren lässt sich bei HF-Patienten mit nur leicht reduzierter oder erhaltener Ejektionsfraktion eine Risikoreduktion um 20% erreichen.
Grundlegende Therapie für alle Herzinsuffizienz-Patienten
„Zusammen mit früheren Studien an Herzinsuffizienz-Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) sprechen unsere Daten dafür, dass Dapagliflozin unabhängig von der Ejektionsfraktion effektiv ist und SGLT2-Inhibitoren als grundlegende Therapie bei allen Patienten mit Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen sollten, sagte Dr. Scott D. Solomon, Direktor des Clinical Trials Outcomes Center der Cardiovascular Division am Brigham and Women’s Hospital der Harvard Medical School in Boston und Erstautor der DELIVER-Studie [2].
In der DELIVER-Studie erhielten 6.263 HF-Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion über 40% – auch Patienten mit verbesserter Ejektionsfraktion (HFimpEF) – entweder den SGLT2-Inhibitor Dapagliflozin (10 mg/Tag) oder ein Placebo – zusätzlich zur üblichen Therapie. Bei der Randomisierung nahmen 77% der Patienten einen ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) oder Angiotensin-Neprilysin-Inhibitor (ARNI), 83% einen Betablocker und 43% einen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA).
Signifikanter Unterschied zwischen Dapagliflozin und Placebo
Der primäre Endpunkt bestand aus der Verschlimmerung der HF (ungeplante Hospitalisierung oder Notfallbehandlung im Krankenhaus) und der kardiovaskulären Mortalität. Über median 2,3 Jahre erreichten 512 von 3131 Patienten (16,4%) in der Dapagliflozin-Gruppe und 610 von 3.132 Patienten (19,5%) in der Placebogruppe den primären Endpunkt. Der Unterschied war signifikant, die Hazard Ratio betrug 0,82.
Solomon und seine Kollegen berichten, dass die beiden Bestandteile des primären Endpunkts ähnlich ausgefallen seien: Unter Dapagliflozin kam es bei 11,8% der Patienten und unter Placebo bei 14,5% der Patienten zu einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz (HR: 0,79). In der Dapagliflozin-Gruppe verstarben 7,4% der Patienten an kardiovaskulären Ursachen, in der Placebogruppe waren es 8,3% (HR: 0,88).
Die Inzidenz von Nebenwirkungen unterschied sich nicht signifikant zwischen Dapagliflozin- und Placebogruppe.
„Wir fanden, dass Dapagliflozin den primären Endpunkt signifikant um 18% reduzierte. Der Nutzen war konsistent über präspezifizierte Subgruppen, mit ähnlichen Benefits bei Patienten mit Ejektionsfraktionen bei, unter oder über 60% sowie denjenigen mit HFimpEF“, so Solomon. Patienten mit Diabetes mellitus profitierten von der der Therapie mit Dapagliflozin ebenso wie diejenigen ohne Diabeteserkrankung.
Konsistente Ergebnisse auch bei Adipositas, Gebrechlichkeit und höherem Alter
Patienten mit HFpEF sind häufig adipös, was mit höheren Raten an HF-Hospitalisierungen und einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert ist. In der DELIVER-Studie waren 33,1% der Patienten übergewichtig und 44,6% adipös. Eine gesonderte Auswertung nach BMI fiel günstig für den SGLT2-Inhibitor aus. „Die Behandlung mit Dapagliflozin verbesserte die kardiovaskulären Outcomes über das gesamte BMI-Spektrum, führte bei adipösen Patienten zu einer stärkeren Symptomverbesserung und hatte den zusätzlichen Benefit einer moderaten Gewichtsreduktion“, heißt es in dem Paper im European Heart Journal.
Häufig war in der DELIVER-Studie außerdem Gebrechlichkeit. Auch hier erwies sich der Nutzen der Dapagliflozin-Behandlung als konsistent über alle Schweregrade der Gebrechlichkeit hinweg. Dies galt auch für unterschiedliche Altersgruppen, selbst das traditionell untertherapierte Alterssegment über 75 Jahren.
Mit Dapagliflozin kann schon während HF-Hospitalisierung begonnen werden
In der DELIVER-Studie war die Randomisierung von Patienten erlaubt, die gerade wegen einer Herzinsuffizienz im Krankenhaus waren bzw. kurz zuvor hospitalisiert gewesen waren. Voraussetzung war, dass sie klinisch stabil waren und nicht länger intravenös behandelt wurden. Insgesamt waren dies 654 der 6263 Patienten (10,4%) in der Studie.
Sie wurden in einer präspezifizierten Analyse untersucht, um herauszufinden, ob eine kürzliche Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz das Risiko für klinische Ereignisse oder das Ansprechen auf Dapagliflozin verändert.
Auf dem ESC-Kongress und zeitgleich im Journal of the American College of Cardiology berichteten Erstautor Jonathan W. Cunningham und seine Kollegen: Eine kürzliche HI-Hospitalisierung erhöhte das Risiko für den primären Endpunkt nach multivariater Adjustierung (HR 1,88). Aber Dapagliflozin reduzierte den primären Endpunkt bei kürzlich hospitalisierten Patienten um 22% (HR 0,78). Bei den Patienten ohne kürzliche Hospitalisierung betrug die Risikoreduktion 18% (HR 0,82).
Keine vermehrten Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungsraten, darunter Hypovolämie, diabetische Ketoazidose oder renale Ereignisse, waren bei kürzlich hospitalisierten Patienten unter Dapagliflozin und Placebo gleich. „Mit einer Dapagliflozin-Therapie während oder kurz nach einer HI-Hospitalisierung zu beginnen ist offenbar sicher und wirksam“, so die Autoren.
Dapagliflozin wirkt sich auch günstig auf sekundäre Endpunkte aus
Eine gepoolte Analyse von Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion (< 40%, DAPA-HF) und leicht reduzierter bzw. erhaltener Ejektionsfraktion (> 40%, DELIVER), die ebenfalls beim Kongress in Barcelona präsentiert wurde, zeigt: Dapagliflozin reduziert, unabhängig von der Ejektionsfraktion, nicht nur kardiovaskulären Tod und HI-Hospitalisierungen, sondern auch eine Reihe von sekundären Endpunkten, wie Prof. Dr. Pardeep S. Jhund von der University of Glasgow berichtete.
Bei den insgesamt 11.007 Patienten in den beiden Studien, die median 1,8 Jahre nachbeobachtet wurden, sank unter Dapagliflozin das Risiko für kardiovaskulären Tod um 14% (HR: 0,86), das Sterberisiko insgesamt um 10% (HR: 0,90), die Gesamthospitalisierungen wegen HI um 29% (RR: 0,71) und schwere kardiovaskuläre Ereignissen (MACE) um 11% (HR: 0,90).
Metaanalyse: SGLT2-Inhibotoren reduzieren Risiko um ein Fünftel
Um den generellen Effekt von SGLT2-Inhiboren bei HF-Patienten mit leicht reduzierter oder erhaltener Ejektionsfraktion zu untersuchen, wurde eine Metaanalyse von DELIVER (Dapagliflozin) und EMPEROR-Preserved (Empagliflozin) durchgeführt. Die Analyse von mehr als 12.000 Patienten zeigte, dass SGLT2-Inhibitoren das Risiko für kardiovaskulären Tod und HF-Hospitalisierung bei HFpEF um 20% (HR 0,80) senken, wie Erstautor Dr. Muthiah Vaduganathan beim ESC-Kongress berichtete.
Beide Komponenten des primären Endpunkts seien konsistent reduziert worden, allerdings getrieben von einer beträchtlichen Reduktion der HF-Hospitalisierungen (HR: 0,74). Die Reduktion der kardiovaskulären Mortalität fiel mit einer HR von 0,88 etwas bescheidener aus.
Dapagliflozin bringt 2 zusätzliche Jahre ohne Ereignisse
Basierend auf den Daten von DELIVER extrapolierte ein Autorenteam um Vaduganathan in einer weiteren Forschungsarbeit, wie sich die Behandlung mit Dapagliflozin auf die ereignisfreie Lebenserwartung der Patienten auswirkt. Beim Kongress berichtete er: „Laut unserer Projektion verlängert die Behandlung mit Dapagliflozin das ereignisfreie Überleben bei Patienten mittleren und höheren Alters mit leicht reduzierter, erhaltener oder verbesserter Ejektionsfraktion um 2-2,5 Jahre.“
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Diesen Artikel so zitieren: DELIVER: SGLT2-Inhibitor Dapagliflozin nützt fast allen mit Herzinsuffizienz – auch mit erhaltener Ejektionsfraktion - Medscape - 29. Aug 2022.
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