Kardiale Bildgebung im Fokus: Das sind die spannendsten Themen auf dem Europäischen Kardiologiekongress

Patrice Wendling

Interessenkonflikte

25. August 2022

Nach 2 Kongressjahren vor dem heimischen Bildschirm gibt es in diesem Jahr in Barcelona zum 70. Geburtstag den Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) 2022 wieder live zu erleben [1].

Ein Großteil der anstehenden Veranstaltung wird jedoch auch online übertragen. Das vollständige Programm ist zudem auch nach der Tagung auf Abruf weiter verfügbar.

Dieses hybride Format sei beabsichtigt, sagt der Vorsitzende des Programmkomitees Dr. Stephan Windecker vom Universitätsspital Bern gegenüber Medscape. Es kombiniere die soziale Interaktion, die nur bei Live-Treffen möglich ist, mit der weltweiten Zugangsmöglichkeit online.

„Dadurch haben viele Menschen, die aus irgendeinem Grund nicht reisen können oder wollen, trotzdem die Möglichkeit zur Teilnahme. Zugleich bietet diese Form alles, was es auch in der Vergangenheit gab, aber ich denke auf eine natürlichere Art und Weise“, sagte er. „Man kann sich später wieder einloggen, lesen, verarbeiten und nachdenken, sich Sitzungen ansehen, die man vielleicht verpasst hat ....“ Bislang hat sich jedoch mit etwa 14.000 Anmeldungen vor Ort und 4.200 Online-Teilnehmern die Mehrheit für das Live-Erlebnis entschieden.

Schwerpunkt in diesem Jahr ist die kardiale Bildgebung, deren Rolle bei Diagnose, Behandlung, Nachsorge und zunehmend auch bei der Interventionssteuerung während des gesamten Kongresses Thema sein wird.

„Besonders im Zusammenhang mit der neuen Disziplin der Transkatheter-Herzklappenimplantation kann gar nicht genug betont werden, wie sehr das Ergebnis von der Qualität der Bildgebung abhängt“, so Windecker. „Die Zahl der Anwendungen dieses Verfahrens wird in den nächsten Jahren sicherlich steil ansteigen.“ 

 
Besonders im Zusammenhang mit der neuen Disziplin der Transkatheter-Herzklappenimplantation kann gar nicht genug betont werden, wie sehr das Ergebnis von der Qualität der Bildgebung abhängt. Dr. Stephan Windecker
 

Die stets mit Spannung erwarteten Hotline-Sessions sind in diesem Jahr auf 10 Sitzungen mit 36 Studien angewachsen, während es im vergangenen Jahr lediglich 4 solcher Sitzungen mit 20 Studien gegeben hatte.

„Vor allem während der COVID-Pandemie gab es für viele Prüfärzte und Studienteilnehmer Schwierigkeiten bei den Rekrutierungen oder wegen Personalmangel und so weiter. Wir freuen uns daher sehr über die große Zahl der eingereichten Arbeiten“, sagte er. „Ich glaube, es sind wirklich sehr interessante Arbeiten darunter, deren Vorstellung wir über die 4 Tage verteilt haben.“

Hotline-Sessions 1 bis 5

Windecker meint damit u.a. die TIME-Studie, die am Eröffnungstag (Freitag, 26. August) den Auftakt zur Hotline-Session 1 bildet und der Frage nachgeht, ob abends eingenommene Antihypertensiva tatsächlich stärker kardioprotektiv wirksam sind als solche, die morgens genommen werden.

Die einen verweisen darauf, dass sich in der Hygia-Chronotherapie-Studie die Mortalität und die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse bei einer abendlichen Einnahme nahezu halbiert habe. Skeptiker bezweifeln jedoch die Validität der Studie und stellen auch das Studiendesign infrage. Dies führte zu einer Untersuchung durch das European Heart Journal, das keine Anzeichen auf eine fehlerhafte Durchführung fand, aber dennoch viele zur Suche nach klareren Daten veranlasst hat.

Weitere Themen dieser Session sind die SECURE-Studie über eine kardiovaskuläre Polypille, die Acetylsalicylsäure, Ramipril und Atorvastatin enthält, sowie die PERSPECTIVE-Studie, in der die Folgen von Sacubitril/Valsartan einerseits und nur Valsartan andererseits für die kognitive Funktion bei Personen mit chronischer Herzinsuffizienz und erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) untersucht wurde.

In der Hotline 2, mit der am 2. Kongresstag (Samstag, 27. August) eine Reihe von 3 Sessions eröffnet, geht es um die dänische kardiovaskuläre Screening-Studie DANCAVAS, die Phase-4-ADVOR-Studie (postmarketing surveillance) mit Acetazolamid (Diamox) bei akuter dekompensierter Herzinsuffizienz sowie um die DANFLU-1-Studie: hochdosierter Grippeimpfstoff versus Standarddosis bei älteren Menschen.

Außerdem steht die BOX-Studie auf dem Programm, in der 2 Blutdruck- und 2 Oxygenierungsziele bei komatösen Patienten mit außerklinischem Herzstillstand verglichen werden. „Es handelt sich hierbei um eine wenig untersuchte Patientenpopulation und ein weiterer interessanter Punkt dabei ist, dass manchmal Dinge, die man außerhalb der normalen Anwendung tut – also die Anwendung von Sauerstoff – positive aber auch negative Folgen haben können“, so Windecker. „Es ist also sehr wichtig, dies in einer randomisierten klinischen Studie zu untersuchen.“

Dann wies er auf die REVIVED-Studie hin, die in der Hotline 3 vorgestellt wird. Diese sei die erste Studie, in der eine perkutane Koronarintervention (PCI) mit optimaler medikamentöser Therapie (OMT) gegenüber einer alleinigen OMT bei schwerer ischämischer Kardiomyopathie getestet werde.

„Wir haben Daten aus der STICH-Studie, in der die chirurgische Revaskularisation bei ischämischer Kardiomyopathie untersucht wurde, aber die offene Frage ist: Wie steht es mit der PCI als Revaskularisation“, sagte Windecker. „Ein weiterer Grund, aus dem diese Studie interessant ist: Wir verfügen jetzt über diese evidenzbasierten Medikamente, durch die sich das Outcome bei Patienten mit Herzinsuffizienz dramatisch verbessert hat und die REVIVED-Studie wird jetzt in einer Zeit durchgeführt, in der zumindest einige dieser Substanzen systematischer eingesetzt werden.“

Abgerundet wird diese Sitzung durch die schottische ALL-HEART-Studie zu Allopurinol bei ischämischen Herzerkrankungen und die randomisierte kontrollierte EchoNet-RCT-Studie, in der untersucht wird, ob sich durch Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) die Genauigkeit von Echokardiogrammen verbessern lässt.

In Hotline 4 wird DELIVER vorgestellt. Dies ist eine Phase-3-Studie mit dem SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (Farxiga) bei Herzinsuffizienz mit erhaltener oder leicht reduzierter Ejektionsfraktion. Die im Mai veröffentlichten Topline-Ergebnisse zeigten, dass die Studie ihren primären Endpunkt, d.h. den kardiovaskulär bedingten Tod oder eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz, erreicht hat.

Windecker sagte, DELIVER werde „ein Highlight" auf dem Kongress sein, vor allem weil die EMPEROR-Preserved-Studie beim letztjährigen ESC einen Benefit durch einen anderen SGLT2-Hemmer (Empagliflozin) in dieser sehr spezifischen Situation zeigen konnte. 

Außerdem werden 2 präspezifizierte Analysen vorgestellt, welche die Daten aus EMPEROR-Preserved und aus der DAPA-HF-Studie zu Dapagliflozin bei Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion zusammenfassen. „Das wird eine sehr informative Session ...“

Schließlich sollte man auch die erste sonntägliche Session, die Hotline 5 (Sonntag, 28. August), nicht verpassen. Diese widmet sich laut Windecker, der die Sitzung auch leiten wird, der antithrombotischen Therapie.

Den Anfang macht dabei die INVICTUS-VKA-Studie, welche die Nichtunterlegenheit von Rivaroxaban im Vergleich zu Standard-Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit Vorhofflimmern und rheumatischen Herzerkrankungen untersuchte. Auf diesem Gebiet wurden die direkten oralen Antikoagulantien bislang nicht ausreichend getestet.

Dann schließen sich 3 Phase-2-Studien zur Untersuchung der neuartigen Faktor-XIa-Inhibitoren BAY 2433334 und BMS-986177 bei Patienten mit Herzinfarkt oder Schlaganfall an: PACIFIC-AMI, PACIFIC-STROKE und AXIOMATIC-SSP.

Hot Line-Sitzungen 6 bis 10

Die Hotline 6 am Sonntag befasst sich erneut mit dem Smartphone-basierten Vorhofflimmern-Screening in eBRAVE-HF, dem Einsatz kausaler KI zur Verbesserung der Validität kardiovaskulärer Risikovorhersagen und der KI-gestützten Erkennung von Aortenstenosen.

Die Hotline 7 rundet dann den Tag mit dem Hauptthema koronare Bildgebung ab. Dazu gehören die DanNICAD-2-Studie zum Perfusionsscannen mit MR oder PET nach einem positiven Angiogramm, die PREFFIR-Studie zum PET-Tracer 18F-Natriumfluorid als Marker für Hochrisiko-Koronarplaques bei Patienten mit kürzlichen Infarkten und schließlich die FRAME-AMI-Studie, welche die FFR-geführte PCI (fraktionierte Flussreserve) im Vergleich zur angiografiegesteuerten PCI beim akuten Myokardinfarkt mit Mehrgefäßerkrankung untersucht.

Nach einem Wochenende voller hochkarätiger wissenschaftlicher Berichte – und sicherlich auch einigen Feiern – steht dann am Montag, dem 29. August, mit der Hotline 8 eine der 3 letzten Hotline-Sessions im Mittelpunkt. Hier werden 5 klinische Studien aktualisiert, darunter die 5-Jahres-Ergebnisse von ISCHEMIA-CKD EXTEND, die 15-Monats-Ergebnisse von MASTER DAPT und die Hauptergebnisse von FOURIER-OLE, einer offenen Verlängerungsstudie (open-label extension study) zu Evolocumab rund 1.600 Teilnehmenden über 5 Jahre.

Den Abschluss der Sitzung bilden die FIDELTY-Studie zur Mortalität unter Finerenon (nicht steroidaler, selektiver Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist) und eine Win-Ratio-Analyse in PARADISE-MI.

Die Hotline 9 steht für „Evidenzsynthesen zu klinisch wichtigen Fragen“ (Zusammenfassung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in Form von systematischen Übersichtsarbeiten oder Reviews) und umfasst eine Metaanalyse der Cholesterol Treatment Trialists (CTT) Collaboration zu den Auswirkungen von Statinen auf Muskelsymptome und eine Metaanalyse der Marfan Treatment Trialists Collaboration zu Angiotensin-Rezeptorblockern und Betablockern beim Marfan-Syndrom.

Außerdem geht es um eine Gegenüberstellung von radialem und femoralem Zugang bei Koronarinterventionen sowie um die PANTHER-Studie, die eine Metaanalyse zur ASS- versus P2Y12-Inhibitor-Monotherapie in der Sekundärprävention bei Patienten mit etablierter KHK darstellt.

COVID-19 steckt sicherlich tief in den Köpfen aller Teilnehmenden und wird in 52 separaten Sitzungen behandelt. Dann steht das Thema auch über der 10. und letzten Hotline-Sitzung des Kongresses. Es wird darin über die antithrombotische Therapie bei kritisch kranken Patienten in COVID-PACT und über eine Entzündungshemmung mit Colchicin und die antithrombotische Therapie mit ASS allein oder in Kombination mit Rivaroxaban in den stationären und ambulanten ACT-Studien (Anti-Coronavirus Therapies) berichtet werden. Wenngleich diese frühen Studien weitgehend negativ ausgefallen seien, werde es doch interessant sein, die neuesten Details zu sehen, so Windecker.

Was das COVID-19-Protokoll auf dem Kongress selbst betrifft, so wird das Tragen von Masken empfohlen, aber nicht vorgeschrieben. Es werden vor Ort Test-Kits bereitgehalten werden, falls Teilnehmende einen Test wünschen oder Symptome bekommen, so Windecker.

Neue Leitlinien veröffentlicht

Während des Kongresses werden 4 neue ESC-Leitlinien zu den Themen Kardioonkologie, ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herztod, pulmonale Hypertonie sowie kardiovaskuläres Assessment und Therapie von Patienten, die sich einer nicht kardialen Operation unterziehen müssen, veröffentlicht.

Neben einem Überblick über die Leitlinien am Freitag wird an jedem Kongresstag eine Leitlinie in einer jeweils 1-stündigen Sitzung vorgestellt, wobei zusätzlich Zeiten für Diskussionen mit den Mitgliedern der Leitlinien-Autoren eingeräumt werden. 6 Sitzungen sind der Umsetzung bestehender Leitlinien im klinischen Alltag gewidmet.

Die ESC verfüge bereits über ein Positionspapier zur Kardioonkologie, werde aber nun erstmalig auch eine vollständige Leitlinie mit formalen Gesetzen und Empfehlungen zum Evidenzgrad vorstellen, wie Windecker hervorhob.

„Ich denke, der große Vorteil, nicht nur der Leitlinie, sondern auch dieses aufstrebenden Fachgebiets ist, dass die Menschen in Zukunft wahrscheinlich nicht erst behandelt werden, wenn es zu spät ist oder sie unter der Toxizität der Behandlung leiden, sondern dass es ein Screening gibt und die Menschen vor der Durchführung einer Therapie aufgeklärt werden“, fügte er hinzu.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus  www.medscape.com  übersetzt und adaptiert.

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Kommentar

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