Erste Datensammlung zu Affenpocken veröffentlicht: Hohe Virulenz und hohe Hospitalisierungsrate – viele offene Fragen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

25. August 2022

In der Woche vom 15. bis 21. August entwickelte sich die Zahl der weltweit neu gemeldeten Infektionen mit dem Affenpocken leicht rückläufig. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei es jedoch zu früh, um Entwarnung zu geben.

Eine erste Studie zu klinischen Auswirkungen des aktuellen Affenpocken-Ausbruchs wurde nun im NEJM publiziert und unter anderem von Prof. Anthony S. Fauci kommentiert. Zwischen April bis Juni 2022 wurden Daten von 528 eindeutig Infizierten aus 43 Zentren in 16 Ländern zusammengetragen [1]

13% der Patienten wurden hospitalisiert, meist wegen Schmerzen oder Sekundärinfektionen, aber es gab keinen Todesfall. 98% waren homo- oder bisexuelle Männer, 41% waren HIV-infiziert. In 95% der Fälle ließ sich die Infektion auf Sexualkontakte zurückführen.

Die Autoren der SHARE-net Clinical Group um Dr. J.P. Thornhill, Queen Mary University of London, and the Department of Infection and Immunity, Barts Health NHS Trust, sammelten zwischen Ende April und Ende Juni Daten von 528 Patienten aus 43 Kliniken, hauptsächlich in Westeuropa und Kanada. Aus Afrika und Asien kam keinerlei Input hinzu. Die Diagnose Affenpocken wurde in allen Fällen durch eine PCR-DNA-Analyse bestätigt.

Die Autoren fordern rasche Maßnahmen zur Identifikation und Diagnose so vieler Fälle wie möglich, um weitere Infektionen zu vermeiden.

Infektiös auch mit wenigen Effloreszenzen der Haut und Schleimhaut

95% der Fälle zeigten einen Ausschlag (rash), 73% mit anorektalen, 41% mit mukosalen Effloreszenzen und 56 % mit Lymphadenopathie, dazu häufig Fieber (62%), Lethargie (41%), Myalgie (31%) und Kopfschmerzen (27%) als prodomale Symptome.

Etwa 2 Drittel der Betroffenen wiesen weniger als 10 Pusteln auf, in 54 Fällen zeigte sich nur eine einzige Pustel im Genitalbereich. Von 377 darauf getesteten Patienten zeigte sich bei 109 (29%) zusätzlich eine weitere sexuell übertragene Infektion. Bei 23 Personen konnte der Infektionsverlauf eindeutig festgelegt werden: Hieraus ergab sich eine Inkubationszeit zwischen 3 und 20, im Mittel 7 Tagen. Bei 29 von 32 Personen, bei denen die Samenflüssigkeit mittels PCR analysiert wurde, fand sich dort Affenpockenvirus-DNA.

Lediglich 5% der Betroffenen hatten eine antivirale Medikation erhalten. 13% (70) wurden hospitalisiert, zumeist wegen des Schmerzmanagements aufgrund der Läsionen im genitalen, rektalen, oralen Bereich und in 2 Fällen auch am Auge sowie Infektionen im Weichteilgewebe, selten auch Nieren oder Myokarditis. Todesfälle gab es nicht.

Experten warnen vor Hysterie und fordern rasche Impfung der Vulnerablen

In ihrem Editorial vergleichen Prof. Dr. H. Clifford Lane und Prof. Dr. Anthony S. Fauci, beide vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases, Bethesda, USA, den jetzigen Affenpocken-Ausbruch mit dem Beginn der AIDS-Pandemie [2]

Anders als HIV, ein Virus, das, wie sie schreiben, sehr plötzlich und überraschend von Affen auf Menschen übersprang und in den 1980er Jahren zur AIDS-Pandemie mit zahlreichen Todesfällen führte, treten Fälle von Affenpocken bei Menschen seit den 1970er-Jahren immer wieder im Kongobecken und in Westafrika auf. Das sich jetzt verbreitende Virus entspricht nach molekularen Charakteristika der etwas harmloseren westafrikanischen Variante. Bereits 2018 und 2019 wurden solche Viren vereinzelt nach UK, Israel und Singapur eingeschleppt, ohne dass daraus ein größerer Ausbruch entstand.

Allerdings scheint sich das Virus in Afrika stärker verbreitet zu haben, was laut Lane und Fauci mit klimatischen Veränderungen und Zerstörungen von Wäldern zu tun haben könnte, die in Verhältnisse von Lebensräumen von Menschen und Wildtieren eingreifen würden.

Die Übertragungswege beider Viren – HIV und Affenpocken – sind vergleichbar: hauptsächlich direkte Hautkontakte von effloriertem zu gesundem Gewebe, oft und typischerweise sexuell bedingt. Allerdings sind diese nicht auf homosexuelle Kontakte beschränkt: Inzwischen mehren sich auch Fälle, in denen sich Heterosexuelle, aber vor allem auch medizinisches Personal infiziert haben. Deshalb warnen die Editoren, aber auch die Autoren der Studie, vor einer vereinfachenden Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen.

2 Impfstoffe und 2 Medikamente

Die gute Nachricht: Es gibt bereits 2 Impfstoffe und 2 Medikamente, die höchstwahrscheinlich gut gegen Affenpockenviren wirksam sind. Der eine Impfstoff des Herstellers Bavarian Nordic ist bereits in weiten Teilen der Welt zugelassen, ein anderer (Acam2000, Emergent BioSolutions) befindet sich in Prüfungsverfahren der US Food and Drug Administration (FDA).

Der Wirkstoff Tecovirimat wurde gegen Orthopoxviren entwickelt, um gegen biologische Kriegswaffen mit Pockenviren (Variola) gerüstet zu sein. Er wirkt aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit der Virenhülle auch gegen den Affenpockenvirus. Tecovirimat ist seit kurzem auch in Europa zugelassen. Brincidofovir wurde bereits erfolgreich gegen Ebola eingesetzt, ist aber in der EU noch nicht zugelassen.

Laut Lane und Fauci liege die Herausforderung der Verantwortlichen darin,

  1. die zur Verfügung stehenden Gegenmaßnahmen so schnell wie möglich dort zum Einsatz zu bringen, wo sie gebraucht werden,

  2. die Anwendung dieser Maßnahmen und die weitere Verbreitung und Entwicklung des Virus fortwährend zu untersuchen und zu kommunizieren,

die Öffentlichkeit umfassend zu informieren, um Fehler wie bei der Bekämpfung der AIDS- und Corona-Pandemie nicht zu wiederholen.

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Kommentar

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