Bei der chirurgischen Entfernung eines primären Harnleitersteins oder eines kontralateralen Nierensteins ist es offenbar von Vorteil, auch kleine, asymptomatische Nierensteine mit zu entfernen. In einer kleinen randomisierten klinischen Studie im New England Journal of Medicine kam es dadurch seltener zu Rezidiven, also Besuchen in der Notaufnahme, Operationen und neuen sekundären Steinen, als wenn sie an Ort und Stelle belassen wurden (1).
„Ob kleine, asymptomatische Nierensteine entfernt werden sollten, ist eine häufige chirurgische Frage, da es derzeit keine spezifischen Leitlinien zu diesem Punkt gibt“, schreiben der Urologe Dr. Mathew D. Sorensen und sein Team von der University of Washington School of Medicine in St. Louis, USA. Die Debatte habe sogar so weit geführt, dass sich Experten auf dem Gebiet in Editorials regelrecht duelliert hätten.
Zeitgleiche Behandlung von Harnleiter- und Nierensteinen ist sicher
Die aktuellen Daten „mehren die zunehmende Evidenz, dass eine zeitgleiche Behandlung von Harnleiter- und Nierensteinen, eine Kombination aus Ureteroskopie und perkutaner Nephrolithotomie sowie bilaterale endoskopische Verfahren wirksam und sicher sind“, schreiben die Autoren.
In einem Editorial kommentiert Dr. David S. Goldfarb vom New York Harbor Veterans Affairs Healthcare System und der NYU Grossman School of Medicine: „Auch wenn die Ergebnisse nicht überraschend sind, war die Studie es wert, durchgeführt zu werden. Die moderne Endo-Urologie zeichnet sich durch den Einsatz deutlich kleinerer und flexiblerer Endoskope als jemals zuvor aus, was den erfolgreichen Ausgang der Studie begünstigt hat (2).“
„Stille“ Steine können symptomatisch werden
Die Ergebnisse seien wichtig, denn „es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass „stille“ Steine symptomatisch werden. Eine vorläufige Kosten-Nutzen-Analyse der Forschenden deutet darauf hin, dass hierdurch auch Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden“, fügt er hinzu.
Außerdem „erinnern sich Patienten, die symptomatische Steine hatten, oft an qualvolle Besuche in der Notaufnahme und fürchten eine unzureichende Schmerzbekämpfung“. Sie „sorgen sich dann über die Gefahr, die von diesen ‚banalen‘, ‚gutartigen‘ Verkalkungen ausgeht, die in der Bildgebung zu sehen sind“.
Elektive Entfernung kann Schmerzen und Traumata verhindern
„Man kann sich vorstellen“, sagt er, „dass eine elektive Entfernung diesen Patienten Schmerzen und Traumata, ineffiziente und kostspielige Besuche in der Notaufnahme, Infektionen, die Einnahme von Schmerzmitteln und die Durchführung weiterer bildgebender Untersuchungen ersparen könnte.“
Die Teilnehmenden waren mindestens 21 Jahre alt und sollten zwischen Mai 2015 und Mai 2020 an großen städtischen Kliniken einen endoskopischen Eingriff (Ureteroskopie oder perkutane Nephrolithotomie) zur Behandlung eines primären Nieren- oder Harnleitersteins erhalten. Die Betroffenen zeigten im CT außerdem mindestens einen kleinen (≤ 6 mm) asymptomatischen Stein.
Weniger und spätere Rezidive
Bei 38 Patienten wurden kleine asymptomatische Steine entfernt (Interventionsgruppe), bei 35 nicht (Kontrollgruppe). Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 4,2 Jahren kam es bei 6 der 38 Patienten (16%) in der Interventionsgruppe und bei 22 von 35 Patienten (63%) in der Kontrollgruppe zu einem Rezidiv – dem primären Endpunkt der Studie.
Das Risiko eines Rezidivs war in der Interventionsgruppe um 82% niedriger als in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio [HR] 0,18; 95-%-Konfidenzintervall [KI] 0,07-0,44). Darüber hinaus verging in der Interventionsgruppe signifikant mehr Zeit bis zu einem Rezidiv als in der Kontrollgruppe: 4,47 versus 2,56 Jahre.
Etwas längere Operationszeit
Die Behandlung der asymptomatischen Steine verlängerte die Operationszeit im Mittel um 25,6 Minuten. Es kam in den ersten 2 Wochen nach dem Eingriff aber nicht zu einer Zunahme der Notaufnahmebesuche: Die 5 Patienten (13%) in der Interventionsgruppe und 4 Patienten (11%) in der Kontrollgruppe, die in diesem Zeitraum eine Notaufnahme aufsuchten, taten dies alle wegen Schmerzen am Stent.
„Die zusätzlichen 25 Minuten, die für die Entfernung kleiner, asymptomatischer Nierensteine zum Zeitpunkt der Operation eines primären Steins benötigt werden, sollten gegen das potenzielle Risiko einer Re-Operation bei den 63% der Patienten mit einem Rezidiv abgewogen werden“, schreiben Sorensen und sein Team.
Einige Fragen bleiben offen
Die Forschenden räumen ein, dass die Studie relativ klein gewesen sei und dass nur wenige Patienten einer nicht weißen Ethnie angehört hätten. Laut Goldfarb bleiben so manche Fragen offen: Etwa ob auch nicht spezialisierte Urologen ein solches Verfahren würden durchführen können, ob das Verfahren auch bei asymptomatischen Steinen über 6 mm angewandt werden könnte und ob die Anzahl dieser Steine die Operationszeit beeinflusse.
Er merkte auch an, dass nur etwa 25% der Patienten in beiden Gruppen eine vorbeugende Medikation erhalten hätten, und dass eine vermehrte Anwendung dieser Medikamente die Ergebnisse möglicherweise verändert hätte.
Elektive Entfernung asymptomatischer Steine auch ohne „Problemstein“?
„Und schließlich eine besonders knifflige Frage: Wann sollten asymptomatische Steine eigentlich endoskopisch entfernt werden? Nur wenn ein primär obstruktiver Harnleiterstein oder ein großer, asymptomatischer Stein in der Niere vorliegt, wie es bei diesem Protokoll der Fall war? Man findet oft asymptomatische Steine und meistens wird keine Operation empfohlen“, stellt er fest.
Eine Alternative zu einem präventiven chirurgischen Eingriff wäre es, eine Methode zu finden, diese kleinen Steine abzulösen und spontan passieren zu lassen, ergänzt er. Die Forschenden vermuten, dass „Fortschritte wie die transkutane Sonographie zur Zertrümmerung und Austreibung von Steinen ohne Operation oder Narkose sowie validierte Messungen der Lebensqualität weitere Argumente für eine frühzeitige Intervention liefern könnten“.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Streitfrage beigelegt – weniger Rezidive: Kleine, asymptomatische Steine sollten bei der Harnstein-OP mit entfernt werden - Medscape - 25. Aug 2022.
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