Aufgrund hoher Arbeitsbelastung und fehlender Wertschätzung erwägt ein Teil der angestellten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland einen Berufswechsel. Das hat eine Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund mit rund 8.500 Teilnehmern ergeben
Wie aus den Ergebnissen einer Befragung des Marburger Bundes (MB-Monitor 2022) hervorgeht, zieht ein Viertel der angestellten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland einen Berufswechsel in Erwägung. Mögliche Gründe sind die steigende Arbeitsbelastung, unzureichende Personalausstattung, wenig Zeit für Patientengespräche und mangelnde Wertschätzung der ärztlichen Arbeit.
An der Umfrage nahmen Ärztinnen und Ärzte aller Bundesländer in Deutschland teil (53 % weiblich), die entweder in Vollzeit (69 % der Befragten) oder in Teilzeit (31 %) beschäftigt sind (Abb. 1a–c).

Abb. 1a: Berufliche Position von 8.373 befragten Ärztinnen und Ärzten.

Abb. 1b: 8.370 der befragten Ärztinnen und Ärzte machten Angaben zu ihrem Alter.

Abb. 1c: 8.367 Ärztinnen und Ärzte gaben ihren Hauptarbeitgeber an.
50-Stunden-Wochen und mehr
Laut den Umfrageergebnissen liegt die faktische Wochenarbeitszeit der Befragten im Schnitt deutlich über 50 Stunden, ein Fünftel der Befragten berichtet sogar von 60-Stunden-Wochen (Abb. 2). „Man schuftet nur noch und wird irgendwann krank, weil man dem ganzen Druck nicht mehr standhalten kann“, wird eine Medizinerin zitiert.

Abb. 2: Tatsächliche Wochenarbeitszeit inklusive aller Dienste und Überstunden im Durchschnitt. Angaben von 8359 Ärztinnen und Ärzten. (Quelle: Gesamtauswertung MB-Monitor 2022)
Andere Teilnehmende der Umfrage beklagen die Orientierung am ökonomischen Profit und die Folgen für die Beschäftigten: „Man arbeitet für 2 Personen. Man hat nie Pause. Man hetzt von einer zur nächsten Aufgabe und priorisiert ständig neu, da laufend neue Tätigkeiten zur To-do-Liste hinzukommen.“
Bevorzugen würden 42 % der Befragten eine 40 bis 48-Stunden-Woche, 39% geben an, am liebsten 30 bis 39 Stunden pro Woche arbeiten zu wollen. Über 60 Stunden pro Woche möchte lediglich 1% der befragten Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Dies zeigt, dass Wunsch und Realität doch recht weit auseinander liegen können.
Zahlreiche Überstunden, die nicht immer vergütet werden
40% der Befragten leisten im Schnitt 1 bis 4 Überstunden pro Woche. Etwas geringer ist der Anteil an Ärztinnen und Ärzten mit mehr als 4 bis 9 Überstunden. Ein kleiner Teil gibt sogar an, mehr als 29 Überstunden pro Woche zu leisten (41 Personen; Abb. 3). Der Mittelwert liegt bei 6,2 Überstunden. Ein leicht rückläufiger Trend: Im Jahr 2019 lag dieser Wert noch bei 6,7 und im Jahr 2017 bei 6,8 Überstunden.

Abb. 3: Im Mittel geleistete Überstunden pro Woche von 8279 Ärztinnen und Ärzten.
Erfasst werden die Überstunden bei 71% der Befragten (elektronisch oder handschriftlich). Knapp ein Drittel gibt hingegen an, dass nicht sämtliche Arbeitszeiten systematisch vom Arbeitgeber erfasst werden (ähnlich wie im Jahr 2019). Die Nase vorne bei der Erfassung der Arbeitszeiten haben mit 82% der Befragten die kommunalen Krankenhäuser. Schlusslicht bilden die ambulanten Einrichtungen, in denen bei lediglich 35% der befragten Ärztinnen und Ärzte die Arbeitszeiten erfasst werden (Abb. 4a und b).

Abb. 4a: Systemische Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten von 8352 Ärztinnen und Ärzten.

Abb. 4b: Systemische Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten von 8352 Ärztinnen und Ärzten
2 Drittel der Befragten beurteilen die personelle Besetzung ihrer Kliniken als „schlecht“ oder „eher schlecht“. Die daraus folgenden Überstunden werden der Umfrage zufolge nur bei jeder oder jedem Vierten finanziell vergütet. Knapp die Hälfte der Medizinerinnen und Mediziner erhält vorwiegend Freizeitausgleich, 26% gehen nach eigenen Angaben komplett leer aus (Abb. 5).

Abb. 5: Vergütung oder Freizeitausgleich von Überstunden. Daten von 8335 Ärztinnen und Ärzten.
Viel Zeit geht für Verwaltung und Organisation drauf
Jeweils 25% der befragten Ärztinnen und Ärzte wenden täglich 2 bzw. 3 Stunden für Verwaltungstätigkeiten und Organisation auf, die über die rein ärztliche Tätigkeit hinaus gehen. Beispielsweise für Datenerfassung und Dokumentation oder OP-Voranmeldung. 7% der Befragten gab mehr als 5 Stunden an. Der Mittelwert lag bei 2,9 Stunden.
Ärztliche Tätigkeit aufgeben?
Diese Frage verneinten 57% der befragten Ärztinnen und Ärzte. Auf der anderen Seite erwägen 25% die Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit. Die Art der Antwort auf diese Frage unterschied sich zwischen den untersuchten Arztgruppen (Abb. 6).

Abb. 6: Ergebnisse auf die Frage, ob Ärztinnen und Ärzte erwägen, die ärztliche Tätigkeit aufzugeben. Daten von 8338 Ärztinnen und Ärzten. Quelle: Gesamtauswertung MB-Monitor 2022.
Digitalisierung und Datensicherheit
Dieses Jahr wurden die Ärztinnen und Ärzte auch zur Digitalisierung, zur IT-Ausstattung und zum Datenschutz befragt. 40% bewerteten den Grad der Digitalisierung in der eigenen Einrichtung als „eher hoch“, 39% als „eher gering“. Mit der IT-Ausstattung am Arbeitsplatz sind lediglich 3% der Befragten sehr zufrieden – 24% sind diesbezüglich unzufrieden. Dazwischen tummeln sich die restlichen befragten Ärztinnen und Ärzte, die mit der IT-Ausstattung eher zufrieden oder eher unzufrieden sind (Abb. 7).

Abb. 7: Zufriedenheit der Befragten mit der IT-Ausstattung (8.348 Ärzte).
Erstaunlicherweise werden bei fast der Hälfte der Befragten ärztliche Anforderungen bei der Anschaffung von neuer Software nicht berücksichtigt (Abb. 8). Regelmäßige Schulungen zu IT-gestützten Arbeitsabläufen finden bei knapp 3 Viertel der Befragten NICHT statt (Abb. 9).

Abb. 8: Berücksichtigung ärztlicher Bedürfnisse bei der Anschaffung neuer Software (8.339 Befragte).

Abb. 9: Frage zu regelmäßigen IT-Schulungen (8.343 Ärzte).
Während jeweils gut 40% der befragten Ärztinnen und Ärzte den Datenschutz (Schutz personenbezogener Daten) als sehr wichtig bzw. eher wichtig bewerten (Abb. 10), stuft fast jede dritte befragte Person die tatsächliche Datensicherheit (z.B. Schutz vor Cyberangriffen) in der eigenen Abteilung als eher schlecht ein – 5% der Befragten sogar als „schlecht“ (Abb. 11).

Abb. 10: Wichtigkeit des Datenschutzes im Arbeitsbereich von 8.348 Ärztinnen und Ärzten.

Abb. 11: Bewertung der Datensicherheit in der Abteilung von 8.145 Ärztinnen und Ärzten.
Der Artikel ist im Original erschienen bei Coliquio.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Überstunden, Stress, Bürokratie: Jeder 4. befragte Arzt könnte sich einen Jobwechsel vorstellen - Medscape - 24. Aug 2022.
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