MEINUNG

Neuro-Talk: „Spektakuläre“ Daten für Alzheimer-Antikörper und Bluttest auf Parkinson, neurologische Langzeitfolgen von COVID-19

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

24. Oktober 2022

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich stelle Ihnen heute vor, was meine Literaturrecherchen im September 2022 ergeben haben.

Positive Studie bei Alzheimer-Krankheit

Das spektakulärste Ergebnis einer Studie ist nicht publiziert, aber als Pressemitteilung erschienen. Die Firmen Eisai und Biogen haben die Ergebnisse ihrer Phase-3-Studie Clarity AD bei Patienten mit Mild Cognitive Impairment (MCI) und beginnender Alzheimer-Erkrankung mit dem monoklonalen Antikörper gegen Beta-Amyloide Lecanemab als Pressemeldung publiziert.

Das Prinzip ist, dass man versucht zu Beginn der Erkrankung das Beta-Amyloid durch Antikörper zu binden, um so zu erreichen, dass es abgebaut werden kann.

Die Patienten der Verum-Gruppe erhielten 10 mg/kg des monoklonalen Antikörpers alle 2 Wochen oder Placebo. Insgesamt wurden 1.798 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die Diagnose erfolgte neuropsychologisch und durch Nachweis von Beta-Amyloid im Amyloid-PET. Die Behandlung dauerte 18 Monate.

Primärer Endpunkt war die Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes (CDR-SB), also ein neuropsychologisches Instrument für kognitive Funktionen.

Dieser Wert war um 0,45 Punkte signifikant besser bei Verum als bei Placebo (p = 0,00005). Dies entspricht einer etwa 27%igen Besserung im Vergleich zur Placebo-Gruppe.

Aber es wurden auch die typischen Nebenwirkungen dieser Antikörper beobachtet, nämlich beispielsweise Hirnödem im MR, Mikroblutungen und Ablagerungen von Eisen ebenfalls im MR.

Das ist natürlich ein Hoffnungsschimmer: Zum ersten Mal eine positive Alzheimer-Studie! Der Nachteil ist, dass zum einen die Studie noch nicht publiziert ist und dass man zum anderen natürlich nicht weiß, wie sich diese Nebenwirkungen wie Ödeme oder Mikroblutungen auswirken, wenn eine Behandlung über mehrere Jahre erfolgt.

Die Unterlagen der Substanz sind bei den Zulassungsbehörden eingereicht.

Neurologische Langzeitfolgen von COVID-19

Die 2. Studie ist in Nature Medicine publiziert und beschäftigt sich mit den neurologischen Langzeitfolgen nach COVID-19 [1]. Diese amerikanische Studie aus Militärakten umfasst 154.000 Menschen, die COVID-19 hatten, und 5,6 Mio. Kontrollen.

12 Monate nach COVID-19 bestand ein erhöhtes Risiko für fast alle neurologischen Manifestationen von ischämischen Schlaganfällen, Hirnblutungen, Kognitionseinschränkungen, Gedächtnisstörungen, Polyneuropathien, Migräne, epileptische Anfälle, extrapyramidal-motorische Erkrankungen, Muskelbeschwerden, akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (AIDP), Enzephalitis und Enzephalopathie.

Die Odds-Ratio für diese neurologische Manifestation betrug 1,42, das Risiko war also um 42% erhöht. Das gilt auch für Patienten, die nicht im Krankenhaus behandelt worden waren. Das bedeutet, dass Neurologen die neurologischen Folgeerkrankungen nach COVID-19 kennen müssen.

Nachweis von Alpha-Synuclein im Serum

Die nächste Arbeit ist ganz spektakulär. Sie ist in Brain publiziert [2]. Man weiß in der Zwischenzeit, dass pathologisch gefaltetes Alpha-Synuclein bei Morbus Parkinson eine wichtige Rolle spielt. Wenn man dies präklinisch nachweisen wollte, musste man bisher Liquor punktieren.

Eine Arbeitsgruppe aus Kiel hat jetzt gezeigt, dass man dieses pathologische Alpha- Synuclein auch im Serum nachweisen kann. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Screening-Instrument für den Einschluss von Patienten in zukünftige Therapiestudien.

Management der asymptomatischen Karotisstenose

Ein weiteres Thema ist das Management der asymptomatischen Karotisstenose. Hier hat die Arbeitsgruppe aus Heidelberg die 5-Jahres-Daten der Space-2-Studie in Lancet Neurology publiziert [3].

In diese Studie wurden 513 Patienten mit einer asymptomatischen Karotisstenose eingeschlossen. Sie erhielten Best Medical Treatment und wurden entweder operiert oder gestentet. Die Kontrollgruppe erhielt die beste konservative Therapie.

Primäre Endpunkte war Schlaganfall und Tod innerhalb von 30 Tagen und ipsilateraler Schlaganfall innerhalb von 5 Jahren. Es gab keinen Unterschied in den 3 Therapiegruppen.

Das bedeutet für mich, dass man wahrscheinlich die asymptomatischen Karotisstenose behandeln kann, indem man die Risikofaktoren und Begleiterkrankungen maximal aggressiv behandelt. Patienten, bei denen dies gelingt, kann man dann immer noch operieren oder stenten.

Faktor-XIa-Hemmung mit Asundexian

In Lancet ist das Ergebnis der Phase2b-Studie PACIFIC-Stroke mit dem Gerinnungsfaktor XIa-Hemmer Asundexian publiziert [4]. Menschen mit Faktor XI-Mangel haben weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte und nur ein ganz gering gering erhöhtes Blutungsrisiko.

In die Pacific-Stroke-Studie wurden 1.808 Personen aufgenommen, die einen nicht-kardioembolischen ischämischen Schlaganfall erlitten hatten. Sie erhielten Asundexian in einer Dosierung von 10, 20 oder 50 mg/Tag oder Placebo.

Nach 26 Wochen war die Rate an stummen Hirninfarkten im MRT und klinisch apparenten Infarkten nicht unterschiedlich zu Placebo. Das beruht wahrscheinlich darauf, dass Patienten mit klinisch stummen Hirninfarkten eine Mikroangiopathie haben und da würde man nicht erwarten, dass ein Antikoagulans wirkt.

Es soll aber jetzt eine weitere Studie bei Patienten durchgeführt werden, die keine lakunären Infarkte haben.

Wann Antikoagulation bei VHF und Schlaganfall beginnen

Zuletzt noch die in Circulation publizierte Timing-Studie [5]. Diese Studie hat untersucht, wann bei Patienten mit Vorhofflimmern und ischämischem Insult die Antikoagulation beginnen sollte.

Die Patienten wurden innerhalb von 72 h nach einem Schlaganfall randomisiert zu einer frühen NOAK- Therapie innerhalb von 4 Tagen und einer verzögerten NOAK-Therapie mit Beginn zwischen 5 und 10 Tagen.

Primäre Endpunkte war erneuter ischämischer Schlaganfall, symptomatische intrakranielle Blutung oder Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen. Es gab keinen Unterschied in den Endpunkten, aber einen klaren Trend zugunsten der frühen Behandlung.

Man kann also offenbar - außer bei Patienten mit sehr schweren Schlaganfällen - innerhalb von 4 Tagen mit der oralen Antikoagulation durch NOAKs beginnen. Die gute Nachricht ist, dass kein einziger dieser über 800 Patienten eine intrazerebrale Blutung erlitten hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren spektakuläre Ergebnisse in der Neurologie im September 2022.

Ich bedanke mich dafür, dass Sie zugehört und zugeschaut haben.

 

Kommentar

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