Bei Symptomen denkt jeder 2. nicht an Corona; neurologische Beschwerden länger als vermutet; Tipps zur Paxlovid®-Abgabe

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

22. August 2022

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 22. August 2022

Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, auf seinem Dashboard 282,2 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 21. August lag der Wert noch bei 289,8. Die Werte sinken langsam, aber stetig.

Unsere Themen heute:

  • Erkältungssymptome: Mehr als jeder 2. denkt nicht an Corona

  • Paxlovid®-Abgabe: Darauf sollten Hausärzte achten

  • Corona-Varianten: Hohe virale Ausscheidung in der Atemluft als Selektionsvorteil

  • Erhöhtes Risiko für neurologische und psychiatrische Störungen noch 2 Jahre nach COViD-19

  • Metformin – eine neue Therapie bei COVID-19?

Erkältungssymptome: Mehr als jeder 2. denkt nicht an Corona

Nicht alle Menschen, die sich aktuell mit Omikron infizieren, achten darauf – und ergreifen Maßnahmen, um andere Menschen zu schützen. In JAMA versuchen Wissenschaftler, die Problematik zu quantifizieren.

Im Rahmen einer Kohortenstudie analysierten sie Aufzeichnungen von erwachsenen Mitarbeitern und Patienten eines medizinischen Zentrums im Los Angeles County. Ärzte haben bei allen Probanden 2 oder mehr Anti-Nukleokapsid-IgG (IgG-N)-Antikörpertests im Abstand von mindestens einem Monat durchgeführt.

Von 210 Teilnehmern (Durchschnittsalter 51 Jahre; 136 Frauen [65 %]) mit serologischem Nachweis einer kürzlich erfolgten Infektion mit Omikron waren sich nur 44% (92) dieser Tatsache bewusst. 56% (118) gaben an, davon nichts zu wissen oder nicht darauf geachtet zu haben. In der Gruppe ohne Awareness hatten 10% (12 von 118) Symptome, die sie einer gewöhnlichen Erkältung zuschrieben – aber eben nicht COVID-19.

„Unwissenheit kann ein weit verbreiteter Faktor sein, der mit einer schnellen Übertragung von Person zu Person innerhalb von Gemeinschaften verbunden ist“, warnen die Autoren in ihrem Artikel.

Paxlovid®-Abgabe: Darauf sollten Hausärzte achten

In einer Meldung informiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Hausärzte über die Abgabe von Paxlovid® an Patienten mit hohem Risiko für schweres COVID-19. Kollegen haben die Möglichkeit, bis zu 5 Einheiten zu bevorraten und nach entsprechender Beratung Patienten direkt auszuhändigen. Die Regelung gilt nicht für Fachärzte.

Das Präparat beziehen Hausärzte über Apotheken, und zwar als Sprechstundenbedarf. Sie füllen ein Arzneimittelrezept (Muster 16) aus und geben als Kostenträger das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit dem IK 103609999 an. Nach Abgabe des Arzneimittels können sie Packungen in entsprechender Anzahl nachbestellen. Für ihre Leistungen erhalten Ärzte 15 Euro pro abgegebener Packung – nach derzeitigem Stand jedoch nur bis Ende September.

Unabhängig von der neuen Regelung können Haus- aber auch Fachärzte Paxlovid®-Verordnungen für Patienten ausstellen. Erkrankte erhalten das Präparat wie üblich in Apotheken. Die Rezepte sind 5 Werktage lang gültig.

Corona-Varianten: Hohe virale Ausscheidung in der Atemluft als Selektionsvorteil

Im Verlauf der COVID-19-Pandemie haben sich 3 stark kontagiöse Linien entwickelt und durchgesetzt. Eine Hypothese zur Erklärung der erhöhten Übertragbarkeit ist, dass die natürliche Selektion Varianten mit höheren Raten der viralen Aerosolausscheidung begünstigt. Das Ausmaß ist jedoch unbekannt.

In einer bislang nur als Preprint veröffentlichten Studie zeigen Forscher, dass die virale Ausscheidung, gemessen als Zahl viraler RNA-Kopien, bei Patienten mit Alpha, Delta und Omikron signifikant größer ist als bei Patienten mit dem Wildtyp. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den 3 Variants of Concern (VOC) gab es jedoch nicht.

„Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass vollständig geimpfte und geboostete Personen, wenn sie infiziert sind, infektiöses SARS-CoV-2 über ausgeatmete Aerosole ausscheiden können“, so die Autoren. „Diese Ergebnisse liefern weitere Beweise dafür, dass die Inhalation infektiöser Aerosole der wichtigste Übertragungsweg ist, und unterstreichen die Bedeutung von Belüftung, Filterung und Luftdesinfektion zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen.“

Sie fordern, die Ausscheidung kontagiöser Aerosole auch bei potenziell neu auftretenden VOC stärker als bisher in Risikobewertungen mit einzubeziehen.

Erhöhtes Risiko für neurologische und psychiatrische Störungen noch 2 Jahre nach COViD-19

Psychosen, Demenz, Krampfanfälle und „Hirnnebel“ treten bis zu 2 Jahre nach einer COVID-19-Infektion häufiger auf als nach anderen Atemwegsinfektionen, wie eine große Studie zeigt. Die Forscher stellten jedoch fest, dass das erhöhte Risiko für Depressionen und Angstzustände innerhalb von 2 bis 3 Monaten verschwindet. Details wurden in The Lancet Psychiatry veröffentlicht.

Grundlage der Arbeit war das US-amerikanische TriNetX-Netzwerks für elektronische Gesundheitsdaten. In den Aufzeichnungen suchten Forscher nach 14 neurologische und psychiatrische Diagnosen über einen Zeitraum von 2 Jahren. Die Aufzeichnungen von 1,25 Millionen Patienten mit COVID-19-Diagnose wurden hinsichtlich 82 Störvariablen mit einer Kohorte von 1,25 Millionen Patienten abgeglichen, die andere Atemwegsinfektionen hatten.

Die Studie ergab, dass bei Erwachsenen über 65 Jahren die Inzidenz von Demenzen bzw. kognitive Defizite bei Menschen nach einer COVID-19-Infektion bei 4,5% und bei Menschen mit einer anderen Atemwegsinfektion bei 3,3% lag.

Bei der Auswertung stellten die Autoren fest, dass Kinder ein doppelt so hohes Risiko haben, Epilepsie oder Krampfanfälle zu entwickeln: 260 von 10.000 erkrankten innerhalb von 2 Jahren nach COVID-19, verglichen mit 130 von 10.000 nach anderen Atemwegsinfektionen. Kinder hatten auch ein 3-faches Risiko, dass bei ihnen innerhalb von 2 Jahren nach COVID-19 eine psychiatrische Störung diagnostiziert wurde, obwohl die Zahlen mit 18 Fällen von 10.000 Personen niedrig waren.

Allerdings war die Wahrscheinlichkeit der meisten neurologischen und psychiatrischen Diagnosen bei Kindern nach COVID-19 geringer als bei Erwachsenen und es wurde kein höheres Risiko für Angstzustände oder Depressionen festgestellt als bei Kindern, die andere Atemwegsinfektionen hatten, auch nicht in den ersten 6 Monaten. Auch das Risiko von „Hirnnebel“ war bei den Kindern nur kurzfristig erhöht.

Die Forscher untersuchten auch mögliche Effekte der Coronavirus-Varianten. Dabei zeigte sich, dass die Omikron-Variante zwar zu milderen akuten Erkrankungen und weniger Todesfällen führte als Delta oder Alpha, aber ein ähnliches Risiko für neurologische und psychiatrische Folgeerscheinungen barg.

Die Forscher wiesen darauf hin, dass ihre Studie eine Reihe von Einschränkungen aufweise. Es sei nicht bekannt, wann die Störungen begonnen hätten oder wie schwer oder lang anhaltend sie gewesen seien. In der Studie sind wahrscheinlich auch Personen mit leichter oder asymptomatischer COVID-19-Infektion unterrepräsentiert und in einigen Fällen wurde der Impfstatus möglicherweise nicht erfasst.

Metformin – eine neue Therapie bei COVID-19?

Seit Beginn der Pandemie haben Forscher etliche Wirkstoffe auf ihre Fähigkeit hin untersucht, Risiken durch schweres COVID-19 zu verringern. Jetzt wurden im NEJM neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Metformin, Ivermectin und Fluvoxamin veröffentlicht.

Patienten waren zwischen 30 und 85 Jahre alt, und alle waren entweder übergewichtig oder adipös. Der primäre zusammengesetzte Endpunkt umfasste eine Hypoxämie (Sauerstoffsättigung ≤ 93%), einen Besuch in der Notaufnahme, einen Krankenhausaufenthalt oder den Tod. Bei allen Analysen wurden Kontrollen verwendet, die gleichzeitig randomisiert worden waren und sie wurden um die SARS-CoV-2-Impfung und die Einnahme anderer Studienmedikamente bereinigt.

Insgesamt wurden 1.431 Patienten randomisiert; von diesen Patienten wurden 1.323 in die primäre Analyse einbezogen. Das Durchschnittsalter betrug 46 Jahre; 56 % waren weiblich, und 52 % waren geimpft worden.

Die bereinigte Odds Ratio für den primären Endpunkt betrug 0,84 (95%-Konfidenzintervall: 0,66 bis 1,09; p = 0,19) für Metformin, 1,05 (95%-KI: 0,76 bis 1,45; p = 0,78) für Ivermectin und 0,94 (95%-KI: 0,66 bis 1,36; p = 0,75) für Fluvoxamin.

„Keines der 3 untersuchten Medikamente verhinderte das Auftreten einer Hypoxämie, eines Besuchs in der Notaufnahme, eines Krankenhausaufenthalts oder eines Todesfalls [als kombiniertem Endpunkt] im Zusammenhang mit COVID-19“, so die Autoren. Für Ivermectin und Fluvoxamin sind negative Ergebnisse nicht überraschend; das hatten schon ältere Studien gezeigt.

In Sekundäranalysen betrug die bereinigte Odds Ratio für den Besuch einer Notaufnahme, einen Krankenhausaufenthalt oder den Tod [als kombinierter Endpunkt] 0,58 (95%-KI: 0,35 bis 0,94) für Metformin, 1,39 (95%-KI 0,72 bis 2,69) für Ivermectin und 1,17 (95%-KI: 0,57 bis 2,40) für Fluvoxamin.

Die bereinigte Odds Ratio für Hospitalisierung oder Tod [als kombinierter Endpunkt] betrug 0,47 (95%-KI  0,20 bis 1,11) mit Metformin, 0,73 (95%-KI: 0,19 bis 2,77) mit Ivermectin und 1,11 (95%-KI: 0,33 bis 3,76) mit Fluvoxamin.

Interessant sind Ereignisse des sekundären Endpunkts, denn hier könnte Metformin vielleicht einen Nutzen zeigen. Sekundäre Endpunkte gelten jedoch in randomisierten Studien anders als primäre Endpunkte nicht als Beweis. Vielmehr seien, wie die Autoren schreiben, weitere Studien erforderlich. Das erscheint angesichts bereits zugelassener Arzneistoffe jedoch mehr als fraglich.

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