Obwohl viele Studien auf die Sicherheit und Effektivität von nicht-operativem Vorgehen bei unkomplizierter akuter Appendizitis verweisen, zeigen sich viele Praktiker davon nicht überzeugt. Eine Metaanalyse in JAMA Surgery will jetzt Entscheidungshilfen dafür geben, in welchen Fällen chirurgisch eingegriffen werden sollte und wann eine antibiotische Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend wäre [1].
Die Datenlage reiche aber nicht aus, bemerkt Prof. Dr. Carsten J. Krones, so dass die Entscheidung für eine Operation weiterhin an der Erfahrung des Chirurgen hänge. Krones ist Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie des Marienhospitals Aachen und Mitglied des erweiterten Vorstands des Berufsverbands der Deutschen Chirurgie (BDC).
Innerhalb der ersten 30 Tage gab es weder im Ergebnis der Behandlungsmethoden (als primärem Endpunkt) noch beim Auftreten schwerer unerwünschter Wirkungen signifikante Unterschiede zwischen beiden Studiengruppen.
Allerdings war die Streuung jeweils sehr breit: Das Risikoverhältnis lag für die Effektivität bei 0,85 (mit Werten zwischen 0,66 und 1,11 im Konfidenzintervall [KI] von 95%) und für die Sicherheit bei 0,72 (mit Werten zwischen 0,29 bis 1,79 im 95%-KI). Zudem waren die Krankenhausaufenthalte in der Antibiotika-Gruppe signifikant um fast die Hälfte länger (Risikoverhältnis von 1,48), und in 18% der Fälle kam es zu einem erneuten Ausbruch der Appendizitis.
„Leider ergibt sich aus dieser Metanalyse kein klinisch brauchbarer Algorithmus, was vor allem mit den wenigen brauchbaren Studien zu tun hat“, äußert sich Krones. „Die präklinische Zeit der Beschwerden und auch eventuelle ambulante Vorbehandlungen werden nicht erfasst und bewertet. Hat man schon 3 Tage Abwarten ohne Erfolg hinter sich oder ergibt sich eine Steigerung der Beschwerden, spielt das für die OP-Entscheidung eine große Rolle.“
Viele Daten, aber hohe Heterogenität
Besondere Sorgfalt wendeten die Autoren um Dr. Rodrigo Moises de Almeida Leite, Massachusetts General Hospital, Boston, USA, für die Auswahl der eingeschlossenen Studien auf: Sie fokussierten auf prospektive randomisierte Studien mit Menschen über 18 Jahren, die an unkomplizierter akuter Appendizitis litten, und schlossen solche mit Perforation, Abszessen oder Peritonitis aus, ebenso Fälle von Sepsis, Schock oder Appendikoliten.
Lediglich einige wenige Fälle von Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren sowie einige Fälle von Appendikoliten, die innerhalb von 2 Studien auftraten, diese aber in ihrem Ergebnis nicht änderten, wurden aufgenommen, um das Gesamtergebnis dieser 2 Studien in die Metaanalyse integrieren zu können.
Von 104 Full-Text-Publikationen zum Thema Operation vs. Antibiose bei unkomplizierter akuter Appendizitis blieben nach der den strengen Auswahlkriterien nur 8 Studien für die Metaanalyse übrig.
Trotzdem unterschieden sich diese 8 sehr: bezogen auf die Teilnehmerzahl (von n = 40 bis 1.552), der Dauer des Follow-ups (von 15 Tagen bis 1 Jahr) und des Erscheinungsdatums (von 1995 bis 2021). Aufwändige statistische Analysen ergaben allerdings für alle 8 Studien eine gute Plausibilität. Entsprechend ihrer Unterschiede wurden die Studien in den Ergebnissen der Metaanalyse unterschiedlich stark gewichtet, um zu den oben angegebenen Resultaten zu kommen.
„Die Daten sind trotz des umfangreichen Screenings und der weitreichenden statistischen Berechnungen der Autoren doch sehr heterogen“, urteilt Krones. „Es fragt sich, ob sich damit wirklich eine praxisbezogene allgemeingültige Metaanalyse durchführen lässt.“
OP kann aufgeschoben werden, aber die Folgen bleiben offen
Letztlich äußern die Autoren in ihrer Diskussion, aus ihrer Metaanalyse doch keine allgemeingültigen Entscheidungshilfen für Ärzte bei akuter unkomplizierter Appendizitis ableiten zu können. Von einer Operation kann zwar in der Regel zunächst abgesehen werden, ohne generell Sicherheitsrisiken befürchten zu müssen.
Aber im Nachgang kommt es doch in etwa 1 von 6 Fällen innerhalb eines Jahres zu einer erneuten Symptomatik, die dann wieder einer Untersuchung und Therapie bedarf. Ob dadurch klinische oder finanzielle Ressourcen gespart werden können, lassen die Autoren bewusst offen, da dies in unterschiedlichen Gesundheitssystemen unterschiedlich bewertet werden muss.
„Die Umsetzung des konservativen Regimes kann in der Praxis auf große Probleme stoßen“, gibt Krones zu bedenken. „Das liegt nicht nur an den im Artikel erwähnten Unterschieden in der Infrastruktur und technischen Ausstattung, sondern auch in der Verfügbarkeit von entsprechend versiertem Personal. Dazu ist das Labor im Alter oft nicht gut verwertbar. Nicht umsonst nennt man die Appendizitis bei Älteren auch das ‚Chamäleon‘ der Medizin.“
Auch die subjektive Empfindung von Patientinnen und Patienten sollte beim Arztgespräch berücksichtigt werden, schreiben die Autoren. Wer eine Operation ablehnt, der/die sollte informiert werden, dass dies zwar prinzipiell ohne erhöhtes Sicherheitsrisiko gegenüber der Operation möglich ist, dass aber dann auch eher mit einem erneuten Ausbruch mit der Notwendigkeit einer erneuten Therapie zu rechnen sei.
„Das entspricht allerdings einer Risiko-Verlagerung auf die Laien, die ich aus ärztlicher Verantwortung ablehnen würde“, positioniert sich Krones. „Eigentlich muss man froh sein, dass die Studie nicht eindeutiger ausgefallen ist, da sonst wohl vermehrt hausärztlich konservativ behandelt würde. Dazu sind auch die negativen Effekte einer weiteren Indikation für den breiten Einsatz einer Antibiose wegen der multiplen Resistenzen wirklich relevant.“
Und er resümiert: „Der Vorteil, den diese Ergebnisse zeigen, ist, dass Chirurgen jetzt mit ruhigem Gewissen mal 24 bis 48 Stunden abwarten können, wie sich ein Fall entwickelt. Ich erkenne hier eine Parallele zu den Leitlinien zur Therapie der Divertikulitis, die auch deutlich konservativer ausgelegt waren. Nach einer Verschiebung der OP-Fälle in höhere und komplikationsträchtigere Fälle wurden die Leitlinien zur Divertikulitis deshalb aktuell wieder operationsfreundlicher.“
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Credits:
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Blinddarm raus oder nicht? Eine neue Meta-Analyse will die Gretchenfrage bei akuter unkomplizierter Appendizitis lösen - Medscape - 15. Aug 2022.
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