Kontrolle hält Nieren fit: Übergewicht erhöht nicht automatisch Risiko für Nierenversagen – gefährlich sind Begleitfaktoren

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

11. August 2022

„Versuchen Sie abzunehmen!“ Diesen Appell ihres Arztes zu befolgen gelingt übergewichtigen Patienten selten. Sie riskieren damit unter anderem, dass die unerwünschten Kilos wortwörtlich an die Nieren gehen.

In diese frustrierende Situation bringen österreichische Forscher eine halbwegs gute Nachricht: Nicht das Übergewicht an sich bahnt den Weg zur Niereninsuffizienz, sondern ein damit oft einhergehendes ungünstiges Stoffwechselprofil. Es wäre deshalb schon viel geholfen, durch einen gesünderen Lebensstil und eventuell Medikamente für eine Verbesserung zu sorgen.

Dicke Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Nierenversagen: bei einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 zum Beispiel fast 2,5-fach gegenüber Normalgewichtigen, erläutern Dr. Josef Fritz von der Medizinischen Universität Innsbruck und seine Kollegen in ihrer Publikation im Journal of the American Society of Nephrology  [1].

Was genau schädigt die Nieren?

Doch sind es wirklich die überschüssigen Pfunde an sich oder vielmehr begleitende, also indirekte Faktoren, die zu Nierenerkrankungen im Endstadium beitragen? Und in welchem Ausmaß?

„Zu erwarten war, dass Insulinresistenz und Bluthochdruck einen wesentlichen Anteil stellen, und zwar nach unseren Berechnungen jeweils etwa ein Drittel“, berichtet Fritz im Gespräch mit Medscape. Überraschend sei aber gewesen, dass erhöhte Harnsäurewerte ein weiteres Drittel ausmachen.

 
Eine Kernbotschaft an Ärzte wäre daher, auch auf die Harnsäure zu achten und den Patienten zu empfehlen, alles einzuschränken, was die Werte in die Höhe treibt. Dr. Josef Fritz
 

„In der Fachliteratur wird das bisher kaum berücksichtigt. Eine Kernbotschaft an Ärzte wäre daher, auch auf die Harnsäure zu achten und den Patienten zu empfehlen, alles einzuschränken, was die Werte in die Höhe treibt“, so Fritz. Dazu gehören alkoholische und Fructose-haltige Getränke, Süßigkeiten sowie Purin-reiche Lebensmittel wie Fleisch, Fisch oder Hülsenfrüchte. Bleibt eine Absenkung aus, bieten sich Arzneimittel wie Allopurinol an.

Erhöhtes Cholesterin macht nicht viel aus

Der Biostatistiker berichtet weiter: „Der Einfluss erhöhter Cholesterinwerte dagegen, die ja für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hochrelevant sind, fällt bei Nephropathien im Endstadium mit 2% sehr gering aus. Es bleibt ein Rest von lediglich 1% für Übergewicht als eigener unmittelbarer Risikofaktor.“

Zur Messung der Insulinresistenz nutzten die Wissenschaftler einen relativ neuen Parameter, den TyG-Index. Dieser Surrogatmarker – das logarithmierte Produkt aus Triglyzerid- und Glukosespiegel – besitzt nach ihren Angaben eine hohe Aussagekraft und ist außerdem leicht zu bestimmen.

Gerade die Insulinresistenz besitzt einer Vorgänger-Studie zufolge besondere Bedeutung, da der Glukose-Umsatz bei Übergewicht offenbar schon früh gestört ist. So begünstigt dies Nierenerkrankungen bereits dann, wenn noch gar kein Diabetes vorliegt (siehe Info-Kasten).

Im realen Leben greift alles ineinander

„Das soll allerdings nicht suggerieren, dass die einzelnen Anteile sich in der Praxis klar voneinander trennen ließen, tatsächlich gehen sie Hand in Hand“, betont Fritz. Wer primär versucht, seinen Stoffwechselstatus durch ausgewogene Ernährung und Sport zu verbessern, reduziert meist automatisch sein Gewicht.

Und wer sich umgekehrt primär aufs Abnehmen konzentriert, hat den Gewinn, dass nebenbei Insulinresistenz, Bluthochdruck und Harnsäure zurückgehen – gemäß der Redewendung werden also stets mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Weiterhin haben die Forscher für ihre Analyse ein komplexes Mediationsmodell verwendet, das es im Gegensatz zu traditionellen Methoden ermöglicht, die Einflüsse auf ein späteres Ereignis in direkte und indirekte Komponenten zu zerlegen.

Es drohen Dialyse oder Transplantation

Damit errechneten sie, dass ein ungünstiges Stoffwechselprofil ganz unabhängig vom BMI mit einem 3,6-fach erhöhten Risiko für Dialyse oder Transplantation einhergeht. „Dieses Ergebnis unterstreicht, wie entscheidend die Kontrolle der ermittelten Risikofaktoren ist, um die Nierenfunktion zu erhalten“, erklärt Fritz.

 
Dieses Ergebnis unterstreicht, wie entscheidend die Kontrolle der ermittelten Risikofaktoren ist, um die Nierenfunktion zu erhalten. Dr. Josef Fritz
 

Das gilt ebenfalls für Normalgewichtige (BMI 20 bis 25), von denen in der Studie immerhin 17% Insulinresistenz, Bluthochdruck und Hyperurikämie aufwiesen. Allerdings steigt die Häufigkeit dieser Problemlage mit den Zahlen auf der Waage: auf 40% bei Übergewicht (BMI 25 bis 30) bis 60% bei Fettleibigkeit (BMI über 30). Fritz fasst zusammen: „Je mehr jemand wiegt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Normwerte überschritten werden.“

 
Je mehr jemand wiegt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Normwerte überschritten werden. Dr. Josef Fritz
 

Derselbe Trend spiegelt sich in den Raten für terminale Niereninsuffizienz wider: Auf 100.000 Personenjahre bezogen beträgt die Inzidenz 13 bei Normalgewicht, 22 bei Übergewicht und 40 bei Adipositas.

Normalgewicht ist kein Garant für Nierengesundheit

Das schließt allerdings nicht aus, dass „ungesunde“ Normalgewichtige sogar schlechtere Karten haben als „gesunde“ Übergewichtige: Die Gefahr für Dialyse oder Transplantation ist 4,5-fach erhöht gegenüber lediglich 2-fach – im Vergleich jeweils zur idealen Variante, nämlich Normalgewicht ohne Risiken. Am schlechtesten schneidet erwartungsgemäß die Konstellation „Adipositas plus Risikofaktoren“ mit fast 6-fach erhöhter Wahrscheinlichkeit ab.

Fritz merkt an: „Dass ein hoher BMI gehäuft Nierenerkrankungen nach sich zieht, weiß man schon lange. Neu ist die Erkenntnis, dass zwischen metabolisch gesunden und ungesunden Profilen eine solche Diskrepanz besteht.“

 
Neu ist die Erkenntnis, dass zwischen metabolisch gesunden und ungesunden Profilen eine solche Diskrepanz besteht. Dr. Josef Fritz
 

Die Daten für die Studie stammten aus dem Vorarlberger Programm zur Gesundheitsbeobachtung und -förderung (Vorarlberg Health Monitoring and Promotion Program VHM&PP), das seit 1985 läuft. Jeder Erwachsene in diesem österreichischen Bundesland bekam eine Einladung, sich bei örtlichen Allgemeinärzten untersuchen zu lassen. Dazu gehörten die Messung von Größe und Gewicht, die Frage nach Rauchen und die Entnahme einer Blutprobe in nüchternem Zustand.

Alle Bürger in Vorarlberg wurden eingeladen

Die Forscher wählten etwas mehr als 100.000 Menschen aus, die zwischen 1988 und 2005 im Durchschnittsalter von 46 Jahren in das Programm eingetreten waren. Die meisten hatten anfangs keine Gesundheitsprobleme, allerdings wurde bei einem Drittel ein ungünstiges Stoffwechselprofil festgestellt. 41% der Teilnehmer waren übergewichtig und 14% fettleibig.

Die Forscher verknüpften die VHM&PP-Daten mit dem Österreichischen Dialyse- und Transplantationsregister, das Unterlagen zu sämtlichen Nierenersatztherapien des Landes enthält. So fanden sie heraus, dass 463 Teilnehmer (0,5%) während der durchschnittlichen Beobachtungszeit von 23 Jahren eine Dialyse oder Transplantation benötigten, meist wegen einer diabetischen oder vaskulären Nierenerkrankung.

Gerade die Größe der Kohorte und die lange Beobachtungszeit hebt Fritz als Stärke der Studie hervor: „Nur dadurch erhielten wir die Chance, die Fallzahlen möglichst verlässlich zu erfassen und damit die BMI-bedingten Assoziationen auf die Niere zu ermitteln.“

Info-Kasten

Wie Insulinresistenz die Nieren schädigt

Unabhängig davon, ob sich später ein Diabetes entwickelt oder nicht, verstärken sich Insulinresistenz und schlechte Nierenfunktion gegenseitig in einem Teufelskreis. Die Erklärung: In der Niere sind beide Isoformen des Insulinrezeptors exprimiert, wodurch das Hormon direkt auf glomeruläres Endothel, Podozyten und Tubulusepithel wirkt. So setzt es Signalwege in Gang, die sowohl für die Funktion als auch die Struktur bedeutsam sind.

Eine Insulinresistenz bringt diese Prozesse aus dem Gleichgewicht, was glomeruläre Hyperfiltration, Natriumretention, mangelhafte tubuläre Rückresorption, Entzündung und Fibrose zur Folge hat. Diese Störungen wiederum bewirken eine Zunahme der Insulinresistenz (Quelle: Medicom).

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