VEXAS-Syndrom: Ein neues Krankheitsbild mit multiplen Symptomen und eigentümlichen Entzündungen – wie Sie es erkennen können

Marie Fahrenhold

Interessenkonflikte

9. August 2022

Männer mit eindrucksvollen Exanthemen, Vaskulitis und roten Ohren sollten Sie zukünftig Ihrem Genetiker vorstellen. Denn dahinter könnte eine schwerwiegende, durch eine somatische Mutation erworbene Erkrankung stecken.

„Die Zeiten der großen Entdecker, als ganze Kontinente noch unbekannt waren, sind vorbei. Man muss schon sehr, sehr genau hinschauen, um noch unbekannte Orte zu entdecken. In der Medizin bedeutet dieses genaue Hinsehen heutzutage, über den klinischen Horizont, über die Histologie hinaus in die molekulare Welt einzudringen. Und da gibt es genügend Neues und genügend weiße Flecken auf der Landkarte zu entdecken.“ So leitete Prof. Dr. Thomas Vogt, Direktor der Hautklinik des Universitätsklinikums des Saarlandes, seinen Vortrag auf der 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie ein [1]. Er stellte eine neu identifizierte schwerwiegende Systemerkrankung vor.

Somatische Mutation des UBA1-Gens

Im Dezember 2020 beschrieben US-amerikanische Ärzte im New England Journal of Medicine erstmals das autoinflammatorische Krankheitsbild VEXAS-Syndrom. Das Akronym VEXAS steht für Vacuoles, E1 enzyme, X-linked, Autoinflammatory, Somatic. „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe“, berichtete Vogt. Bis heute gebe es bereits 96 Publikation, die sich ebenfalls damit befassen.

Durch Fortschritte in der DNA-Sequenzierung und mittels CRISPR/Cas-Technologie konnte gezeigt werden, dass der seltenen Multisystemerkrankung eine somatische Mutation im Gen UBA1 zugrunde liegt. Dieses kodiert das Ubiquitin-aktivierende Enzym E1, das wiederum die Ubiquitinierung von Proteinen iniitiert.

Ein eigentümliches Entzündungsbild

Das VEXAS-Syndrom mit eigentümlichem Entzündungsbild manifestiere sich in der 2. Lebenshälfte (durchschnittliches Alter in Erstpublikation: 64 Jahre) und fast ausschließlich bei Männern, so Vogt. Die Autoren der Erstpublikation im NEJM stellten zwar die Hypothese auf, dass die Erkrankung nur Männer betreffen würde, da das „2. X‑Chromosom bei Frauen eine Schutzwirkung hätte“, allerdings konnte das VEXAS-Syndrom mittlerweile auch bei Frauen nachgewiesen werden [2].

Das Krankheitsbild wird dominiert durch multiple Entzündungen, die am ehesten an rheumatologische und hämatologische, aber auch dermatologische Krankheitsbilder erinnern. An der Haut imponieren laut Vogt vor allem „eindrucksvolle Exantheme“ (88%), Vaskulitis, Polychondritis (64%) und Panniculitis (siehe Abbildungen in Beck DB, et al. 2020 und Alhomida F, et al. 2021).

Hier eine Symptomübersicht des VEXAS-Syndroms mit Häufigkeitsangaben [2]:

Kopf/Gesicht:

  • Fieber: 65%–94%

  • Aurikuläre Chondritis: 32–67%

  • Entzündliche Augenbeteiligung: 18–41%

  • Nasale Chondritis: 16–56%

  • Periorbitales Ödem: 6-9%

  • Lymphadenopathie: 35%

  • Periphere Nervenbeteiligung 15%

Thorax:

  • Perimyokarditis: 1–5%

  • Pleuraerguss: 1–10%

  • Alveolitis: 41–49%

Abdomen:

  • Abdominelle Schmerzen: 1–16%

  • Hepatosplenomegalie: 5–14%

Knochenmark:

  • Multiples Myelom: 1%

  • MDS: 31–50%

  • Vakuolen in erythrozytären und myelozytären Vorläuferzellen

Muskuloskeletal:

  • Arthritis: 28–39%

Urogenital:

  • Orchitis/Epididymitis: 6%

Untere Extremität:

  • Thrombose: 35–41%

Haut:

  • Neutrophile Dermatitis: 15–40%

  • Erythema nodosum: 13%

  • Erythematöse Papeln: 22%

  • Vaskulitis: 4–26%

Mäßige Therapieansprache mit schlechter Prognose

Die Erkrankung hat einen oft schwerwiegenden und komplikationsreichen Verlauf – in der Kohorte der Erstpublikation (n=25) starben 40% der Patienten (n=10) an krankheitsbedingten Ursachen (respiratorisches Versagen oder fortschreitender Anämie) oder an Komplikationen im Zusammenhang mit der Behandlung.

In Einzelfällen wurde bei den Patienten vermehrt über thromboembolische Ereignisse, Alveolitis und Intensivaufenthalte berichtet. Darüber hinaus wurde in Einzelfallberichten das Auftreten eines Makrophagen-Aktivierungssyndroms und einer AA-Amyloidose mit dialysepflichtigem Nierenversagen geschildert.

„Es ist wichtig, diese Diagnose zu stellen“, betonte Vogt. „Da kann der Dermatologe durchaus mithelfen, wenn er das denn kennt.“ Denn ein Großteil der Patienten bedürften einer intensiven immunsuppressiven Therapie.

VEXAS-Patienten sprechen grundsätzlich allerdings eher schlecht auf eine Therapie an. Neben verschiedenen antiinflammatorischen Therapiekonzepten (z. B. Interleukin‑1-, Interleukin‑6- oder JAK-Blockade) werden meist hohe Glukokortikoid-Dosen (>20 mg/d) zur Krankheitskontrolle benötigt. Weiterhin gibt es erste kleine Fallserien, die bei einem Teil der VEXAS-Patienten mit myelodysplastischem Syndrom den Nutzen von Azacitidin nahelegen.

Ultima Ratio sei die allogene Knochenmarktransplantation eine Option, ergänzte Vogt. Vor wenigen Wochen wurde eine Phase-2-Studie zur allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation bei Patienten im Alter von 18 bis 75 Jahren mit VEXAS-Syndrom gestartet.

Vermutlich große Dunkelziffer

In den USA versuche man derzeit, das VEXAS-Syndrom bekannter zu machen, da man mit einer großen Dunkelziffer rechne, berichtete Vogt.

Seinem Auditorium gab der Dermatologe mit auf den Weg: Bei Männern, die ein Exanthem, Gelenk- oder Knorpelentzündungen, Vaskulitis, neutrophile Dermatosen oder andere der oben genannten Symptome haben, auch mal an so etwas Rares wie das VEXAS-Syndrom zu denken – und gemeinsam mit dem Genetiker mittels humangenetischer Diagnostik auf die somatische Mutation des UBA1-Gens auf dem X‑Chromosom testen.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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