Warum Männer früher sterben? Sie verlieren im Alter ihr Y-Chromosom – das führt zu Herzinsuffizienz und mehr, zeigen Maus-Studien

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

4. August 2022

Der Verlust des Y-Chromosoms in Blutstammzellen von männlichen Mäusen, der auch bei Männern im höheren Alter vorkommt, führt offenbar zu einer verstärkten Fibrosierung des Herzens. Diese wiederum gehe mit einem erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz und kardiovaskuläre Mortalität einher, berichtet eine internationale Forschungsgruppe in Science  [1].

Der mosaikartige Verlust des Y-Chromosoms (mosaic loss of chromosome Y, mLOY) ist die häufigste Chromosomenveränderung in den Blutzellen erwachsener Männer. Hierbei kommt es im Blut zu einer mosaikartigen Mischung aus Blutzellen, bei denen einige das Y-Chromosom besitzen und andere nicht. Bei etwa 40% der 70-jährigen Männer ist mLOY nachweisbar. Der Anteil steigt mit zunehmendem Alter und durch Rauchen.

Verlust des Y-Chromosoms ist mit einer Reihe von Krankheiten assoziiert

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass mLOY in engem Zusammenhang mit zahlreichen Erkrankungen steht, wie zum Beispiel klonaler Hämatopoese, Leukämie, soliden Krebserkrankungen, Alzheimer, kardiovaskulären Ereignissen sowie einem erhöhten Risiko, zu sterben. Der Verlust des Y-Chromosoms und das damit erhöhte Risiko zu erkranken und zu sterben, könnte erklären, weshalb Männer im Schnitt nicht so alt werden wie Frauen.

 
Neben Lebensgewohnheiten und steigendem Alter ist das männliche Geschlecht per se ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg
 

„Neben Lebensgewohnheiten und steigendem Alter ist das männliche Geschlecht per se ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Männer erkranken deutlich häufiger an den häufigsten Herzkrankheiten als Frauen, und die Sterblichkeit nimmt mit dem Alter überproportional zu“, erklärt Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg, Leiterin der Arbeitsgruppe Kardiales Stroma an der Universitätsmedizin Göttingen, auf Nachfrage.

Genschere ermöglicht die Generierung von mLOY-Mäusen

Erstautor Soichi Sano vom Hematovascular Biology Center an der University of Virginia School of Medicine in Charlottesville, VA, USA und seine Kollegen generierten mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 Mäuse mit hämatopoetischem mLOY. Die Mäuse wiesen einen Y-Chromosomen-Verlust in durchschnittlich 64,9% der Blutstammzellen auf.

Die Autoren berichten, dass bei den mLOY-Mäusen eine Zunahme fibrotischer Bereiche im Herzen zu beobachten gewesen sei. Bestimmte Makrophagen, die sich aus den Blutstammzellen bildeten und denen das Y-Chromosom fehlte, begünstigten den Forschenden zufolge die Fibrose, indem sie im Herzgewebe den Wachstumsfaktor TGFβ1 aktivierten.

Veränderte Makrophagen begünstigen bindegewebigen Umbau des Herzens

„Mechanistisch liegt dem bindegewebigen Umbau des Herzens zugrunde, dass die zirkulierenden Makrophagen, die aus den mutierten Stammzellen im Knochenmark stammen, sich im Herzgewebe festsetzen und dort Gene ankurbeln, die zum einen für die Fibrose in den Zellen selbst verantwortlich sind, zum anderen aber auch Fibroblasten aktivieren, die für die Bildung von Bindegewebe verantwortlich sind“, erklärt Prof. Dr. Andreas Zeiher, außerordentlicher Professor für Kardiologie am Universitätsklinikum Frankfurt und Autor einer „Perspective“ zu der in Science erschienen Studie [2].

 
Unsere Experimente zeigten, dass ein neutralisierender TGFb1-Antikörper den von mLOY verursachten pathologischen kardialen Phänotyp umkehren könnte. Soichi Sano
 

Wurde der Wachstumsfaktor TGFβ1durch einen monoklonalen Antikörper neutralisiert, konnte dies den Prozess der Fibrose reduzieren. Die Autoren spekulieren deshalb, dass man mithilfe dieses Antikörpers auch bei Männern mit mLOY eine Fibrose des Herzens abwenden könnte. „Unsere Experimente zeigten, dass ein neutralisierender TGFb1-Antikörper den von mLOY verursachten pathologischen kardialen Phänotyp umkehren könnte“, schreiben Sano und seine Kollegen.

Anti-fibrotische Medikamente könnten ein möglicher Therapieansatz sein

„Anti-fibrotische Medikamente sind derzeit umfangreich in der klinischen Testung, sodass sich hier ein möglicher therapeutischer Ansatz hinsichtlich der Konsequenzen des Y-Chromosomenverlustes ergibt“, kommentiert Zeiher und ergänzt: „Sinnvoll wäre es natürlich, den Verlust des Y-Chromosoms selbst in den Knochenmarkstammzellen zu beeinflussen oder die daraus resultierenden zirkulierenden weißen Blutkörperchen therapeutisch anzugehen. Dies ist allerdings derzeit noch weit von einem klinischen Einsatz entfernt, jedoch umfangreicher Gegenstand der Forschung.“

Ältere mLOY-Mäuse zeigen auch Veränderungen in Lunge, Nieren und Kognition

Die mLOY-Mäuse lebten außerdem weniger lange als Kontrollmäuse ohne mLOY. „In der Echokardiografie zeigte sich bei den mLOY-Mäusen eine beschleunigte, altersassoziierte Kardiomyopathie, wobei die kardiale Dysfunktion bei älteren Tieren stärker ausgeprägt war“, schreiben die Studienautoren.

 
Anti-fibrotische Medikamente sind derzeit umfangreich in der klinischen Testung, sodass sich hier ein möglicher therapeutischer Ansatz … ergibt. Prof. Dr. Andreas Zeiher
 

15 Monate nach der Stammzelltransplantation zeigten die mLOY-Mäuse darüber hinaus Fibrose in der Lunge und den Nieren sowie kognitive Einschränkungen, die bei den jungen mLOY-Mäusen noch nicht zu beobachten gewesen waren.

Analyse der UK Biobank bestätigt pathologischen Effekt von mLOY bei Männern

Zusätzlich zu den Experimenten mit Mäusen führten die Forscher eine Analyse von Überlebensdaten der UK Biobank durch. Diese bestätigte, dass mLOY bei Männern mit der kardiovaskulären Mortalität sowie Herzinsuffizienz assoziiert ist.

„Mehrere Studien haben bei Männern bereits eine Assoziation von mLOY mit einer erhöhten Sterblichkeit gezeigt. Nun ließ sich in einer Population von 223.338 über 50-jährigen Männern in der UK Biobank zudem eine Assoziation von mLOY mit kardiovaskulären Erkrankungen nachweisen. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die neuen Daten, die in der Maus erhoben wurden, auch auf den Menschen übertragbar sind“, sagt Zeisberg.

„Zusammengenommen zeigen unsere Ergebnisse, dass mLOY-Mäuse Aspekte des mLOY-Phänotyps bei Männern rekapitulieren können. Dies deutet darauf hin, dass eine beschleunigte Gewebefibrose ein dieser Erkrankung zugrunde liegender Mechanismus sein könnte“, schreiben Sano und seine Kollegen.

„Was ist mit Frauen?“

Die größte offene Frage laute aber, so Zeisberg: „Was ist mit Frauen?“ Wenn nur der Verlust, nicht aber das primäre Fehlen des Y-Chromosoms einen Krankheitswert habe, dann würde dies bedeuten, dass der Entzug des Y-Chromosoms ein Problem darstelle, das primäre Fehlen eines Y-Chromosoms aber nicht. „Zu verstehen, warum das so ist, wird zukünftig relevant sein, um therapeutische Konsequenzen aus der Studie abzuleiten, betont sie.

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