Die Zahl der Fälle von Affenpocken steigt weiter. In Deutschland sind 2.724 Affenpockenfälle aus allen 16 Bundesländern ans Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt worden (Stand 2.8.2022). Erstmals sind auch 2 Jugendliche nachweislich erkrankt. 5 aller gemeldete Fälle betreffen Frauen.
Das European Center for Disease Control (ECDC) und die WHO Regional Europe Surveillance berichten von 12.689 laborbestätigten Fällen in 37 Ländern und Regionen Europas (Stand 26. Juli 2022).
In den USA melden die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 5.289 bestätigte Fälle von Affenpocken in 48 Bundesstaaten, Washington DC und Puerto Rico (Stand 29. Juli 2022). Nach den Bundesstaaten New York und Illinois hat jetzt auch Kalifornien den Ausnahmezustand wegen des Affenpocken-Ausbruchs erklärt, wie CNBC berichtet.
Die aktuellen internationalen Falldefinitionen reichen möglicherweise nicht aus, um das Spektrum der klinischen Erscheinungsformen von Infektionen mit dem Affenpockenvirus widerzuspiegeln, eine frühzeitige Identifizierung zu ermöglichen und die Übertragungswege zu klären. Eine internationale Fallserie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, bringt nun mehr Licht ins Dunkel [1].
Fallserie mit 528 bestätigten Fälle
Forschende der in London ansässigen Sexual Health and HIV All East Research (SHARE) Collaborative bildeten mit Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Ländern eine globale Kooperationsgruppe (SHARE-net). Bestätigte Fälle waren in der Fallserie definiert gemäß der Definition der britischen Gesundheitsbehörde (UKHSA).
Die Fallserie umfasste 528 bestätigte Fälle von Affenpockeninfektionen bei Menschen aus 5 Kontinenten, 16 Ländern und 43 klinischen Einrichtungen. Insgesamt waren 98% der infizierten Personen homo- oder bisexuelle Männer, 75% waren hellhäutig.
Der Altersmedian lag bei 38 Jahren. 41% der Personen lebten mit einer HIV-Infektion, 96% davon erhielten eine antiretrovirale Therapie. Bei 95% lag die HIV‑Viruslast bei unter 50 Kopien/ml.
Haut- und Schleimhautläsionen, systemische Symptome
Hautläsionen wurden bei 95% der Personen festgestellt, und zwar am häufigsten in folgenden Bereichen:
Anogenitalbereich (73%)
Rumpf, Arme oder Beine (55%)
Gesicht (25%)
Handflächen und Fußsohlen (10%)
Das Spektrum an Hauterscheinungen umfasste makulöse, pustulöse, vesikuläre und verkrustete Läsionen. Es traten gleichzeitig Läsionen in mehreren Phasen auf. 58% der Personen mit Hautläsionen wiesen als vesikulopustulär beschriebene Läsionen auf.
Die Anzahl der Läsionen war sehr unterschiedlich, meist jedoch weniger als 10 Läsionen. 54 Personen wiesen lediglich ein einziges Genitalulkus auf, was die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose als andere sexuell übertragbare Krankheit (sexually transmitted infection, STI) erhöht.
Schleimhautläsionen wurden bei 41% der Personen festgestellt. Bei 61 Personen wurde eine Beteiligung der anorektalen Schleimhaut als Symptom angegeben, welche einherging mit anorektalen Schmerzen, Proktitis, Tenesmus oder Diarrhö (oder einer Kombination).
Oropharyngeale Symptome wurden bei 26 Personen als erste Symptome angegeben. Diese umfassten Pharyngitis, Odynophagie, Epiglottitis und orale oder tonsilläre Läsionen. Bei 3 Personen zählten Läsionen der Bindehaut zu den ersten Symptomen.
Häufige systemische Symptome während des Krankheitsverlaufs umfassten
Fieber (62%),
Lethargie (41%),
Myalgie (31%),
Kopfschmerzen (27%),
Lymphadenopathie (56%).
Das anfängliche Erscheinungsbild und die Abfolge der nachfolgenden kutanen und systemischen Symptomen wiesen erhebliche Unterschiede auf.
7 Tage von Exposition bis Symptomentwicklung
Eine klare Chronologie der potenziellen Exposition und der Symptome stand für 30 Personen zur Verfügung. Davon hatten 23 ein klar definiertes Expositionsereignis mit einer mittleren Zeitspanne von 7 Tagen zwischen der Exposition und der Entwicklung von Symptomen (Spanne 3–20).
Im Median betrug die Zeit vom Auftreten der Symptome bis zum 1. positiven PCR-Befund 5 Tage (Spanne 2–20). Der Median von der 1. bis zur weiteren Hautläsion belief sich ebenfalls auf 5 Tage (Spanne 2–11). Bei Personen für die Daten über PCR-Folgetests zur Verfügung standen, war der späteste Zeitpunkt, an dem eine Läsion positiv blieb, 21 Tage nach Auftreten der Symptome.
Das klinische Erscheinungsbild war ähnlich bei Personen mit HIV-Infektion und Personen ohne HIV-Infektion. Bei 109 der getesteten Personen (29%) wurden begleitende STIs festgestellt, mit Tripper, Chlamydien und Syphilis bei 8%, 5% bzw. 9% der untersuchten Personen.
Übertragung
Im Durchschnitt hatten die 406 Personen, bei denen eine Sexualanamnese erhoben wurde 5 Sexualpartner in den vergangenen 3 Monaten. 147 (28%) gaben an, im Monat vor der Diagnose ins Ausland gereist zu sein, und 103 (20%) hatten an großen Zusammenkünften (> 30 Personen) wie Pride-Veranstaltungen teilgenommen. 106 (20%) gaben an, im Vormonat „Chemsex" (Sex in Verbindung mit Drogen) praktiziert zu haben.
Insgesamt 70 Personen (13%) wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, häufig aufgrund von:
Schmerzbehandlung (21 Personen), meist wegen starker anorektaler Schmerzen
Behandlung einer Superinfektion der Weichteile (18).
Weitere Gründe:
schwere Pharyngitis, welche die orale Aufnahme einschränkte (5 Personen)
Behandlung von Augenverletzungen (2)
akute Nierenverletzung (2)
Myokarditis (2)
Infektionskontrolle (13)
Es gab keinen Unterschied in der Häufigkeit der Einweisungen je nach HIV Status.
Schwere Komplikationen: Epiglottitis und Myokarditis
Es wurden 2 Arten schwerer Komplikationen gemeldet: ein Fall von Epiglottitis, 2 Fälle von Myokarditis. Die Kehldeckelentzündung trat bei eine mit HIV infizierten Person mit einer CD4-Zellzahl von < 200/µl auf. Sie wurde mit Tecovirimat behandelt und erholte sich vollständig.
Die Myokarditis-Fälle waren selbstlimitierend (< 7 Tage) und klangen ohne antivirale Therapie ab. Ein Fall trat bei einer Person mit HIV-Infektion mit einer CD4-Zellzahl von 780/µl auf, und ein Weiterer trat bei einer Person ohne HIV-Infektion auf. Todesfälle wurden keine gemeldet.
Therapie: Cidofovir, Tecovirimat, Vaccinia-Immunglobulin
Insgesamt erhielten 5% der 528 Personen eine Affenpocken-spezifische Behandlung. Zu den verabreichten Medikamenten gehörten
intravenöses oder topisches Cidofovir (bei 2%),
Tecovirimat (2%) und
Vaccinia-Immunglobulin (< 1%).
Diagnose
Die Patienten stellten sich meist als erstes in Kliniken für sexuelle Gesundheit oder HIV, Notaufnahmen und dermatologischen Kliniken vor, seltener in der Primärversorgung.
Ein positives PCR-Ergebnis wurde am häufigsten bei Haut- oder Anogenital-Läsionen erzielt (97%); andere Stellen wurden weniger häufig beprobt. Die gemeldeten Prozentsätze positiver PCR-Ergebnisse betrugen
26% bei nasopharyngealen Proben,
3% bei Urinproben und
7% bei Blutproben
Sperma wurde bei 32 Personen aus 5 klinischen Einrichtungen getestet und war bei 29 Personen PCR-positiv
Einschränkungen dr Studie
Die Personen in dieser Fallserie hatten Symptome, die sie veranlassten, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, was bedeutet, dass Personen, die asymptomatisch waren, mildere Symptome hatten oder paucisymptomatisch waren, übersehen worden sein könnten.
Die Symptome wurden ab dem Zeitpunkt der Präsentation erfasst, daher wurden frühe Symptome möglicherweise nicht gemeldet, was die Informationen über die Inkubationszeit einschränkt.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: Update Affenpocken: Fallserie erweitert Wissen zu klinischen Merkmalen, Übertragung und Diagnose - Medscape - 2. Aug 2022.
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