Die Diskussion um die Isolationspflicht von Corona-Infizierten geht weiter. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dringt darauf, die Pflicht 5-tägige Isolationspflicht nach einer bestätigten Infektion abzuschaffen – in erster Linie, um damit die Personalnot an den Kliniken zu lindern. Auch mehrere FDP-Politiker setzen sich für den Wegfall der Pflicht ein.
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach stellte zwar gestern eine baldige Verständigung in der Koalition auf ein Konzept zu Corona-Schutzregelungen für den Herbst in Aussicht. Er betonte allerdings erneut, es gebe derzeit „keinerlei Anlass, die Isolationsregeln zu verändern“.
Andere Länder, andere Regeln
Das sieht man in anderen Ländern offenbar anders: Dänemark hat die Isolation verkürzt, Schweden und Großbritannien haben sie bereits abgeschafft und Österreich geht diesen Schritt ab dem 1. August. In der Alpenrepublik dürfen sich Infizierte dann weitgehend frei bewegen, müssen allerdings eine FFP2-Maske tragen. Ein Betretungsverbot gilt für sie nur für Krankenhäuser und für Pflege-, Behinderten- sowie Kureinrichtungen.
„Wir machen jetzt Verkehrsbeschränkungen statt verpflichtender Quarantäne“, sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Die Entscheidung sei gerade auch mit Blick auf die psychischen und sozialen Folgen der Coronakrise gefallen: „Wir können die Pandemie nicht wegtesten, nicht wegimpfen und nicht wegabsondern.“
Ziel einer Isolation ist es, den Kontakt von Infizierten zu Nichtinfizierten und vor allem vulnerablen Gruppen einzuschränken. Aktuelle Studien zeigen, dass bei einer Omikron-Infektion bis 9 Tage nach Symptombeginn vermehrungsfähiges Virus ausgeschieden werden kann, beziehungsweise bis 11 Tage nach dem ersten positiven PCR-Test. Die Viruslast gegenüber der Delta-Variante scheint leicht verringert.
Wie viel Virusmaterial aber letzten Endes eine Infektion auslöst, ist pauschal nicht zu sagen. Die aktuell dominierende Omikron-Variante verbreitet sich im Vergleich zu älteren Varianten zwar schneller, führt aber zu weniger schweren Krankheitsverläufen – auch weil ein Großteil der Menschen durch Impfung und/oder Infektion bereits einen breiten Immunschutz aufgebaut hat.
Das Science Media Center Germany (SMC) bat angesichts dieser sich ändernden Krankheitslast hat nochmals Experten um ihre medizinische und juristische Einschätzung der Isolationspflicht.
Zu früh für Aufhebung der Isolationspflicht
Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) betont, dass es eine Frage der Risikoabwägung sei. „Wer außerhalb des Gesundheitssystems beispielsweise im Freien arbeitet und kaum engen Kontakt zu anderen Menschen hat, der könnte theoretisch auch mit einem positiven Test arbeiten, wenn er sich gut fühlt. Das Infektionsrisiko gegenüber anderen wäre hier sehr gering. Das gilt aber natürlich nicht für den Pflegenden in der Onkologie oder die Ärztin in der Geriatrie.“
Für Menschen auf der Intensivstation, aber auch in der Onkologie sei Omikron schon ein Problem, auch wenn es in der Regel eine weniger schwere Erkrankung auslöse als Delta. Aber auch für Menschen, die im Großraumbüro arbeiteten und enge Kontakte hätten sieht er den Wegfall der Isolationspflicht als problematisch an. „Es wäre also eine Überlegung, die Isolationspflicht berufsspezifisch anzupassen.“
Angesichts der noch sehr hohe Infektionszahlen hält er es aber für zu früh, über ein Ende der Isolationspflicht zu diskutieren. „Wenn wir jetzt sagen, dass jeder wiederkommen kann, wenn er sich gut fühlt, werden wir auch mehr Infektionen bei Patienten oder Mitarbeitenden in den Kliniken sehen. Womöglich könnte man dadurch zwar wieder einige geplante Operationen mehr durchführen und dadurch den ,normalen‘ Patienten wieder besser helfen, aber ob man die Infektionen letztlich in Kauf nehmen will, ist sehr schwer abzuwägen.“
Er sieht einen praktikablen Kompromiss für Kliniken darin, die Rückkehr an den Arbeitsplatz nur noch von einem negativen Antigengentest abhängig zu machen, wie es in vielen Kliniken inzwischen schon praktiziert wird.
„Wenn der Antigentest negativ ist, kann man im Regelfall davon ausgehen, dass man keine relevanten Mengen an Virusmaterial mehr ausatmet, auch wenn ein PCR-Test womöglich noch anschlagen würde“, so der Intensivmediziner.
Isolationspflicht weg, dafür Maskenpflicht für alle
Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie, Universität Augsburg hält dagegen die Aussetzung der Isolationspflicht für gerechtfertigt. „Die Rechtsgrundlage für eine Isolationspflicht ist im Kern noch vorhanden, allerdings muss man doch deutliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Isolationspflicht äußern. Bei symptomlosen Infizierten ist eine Isolationspflicht eigentlich nicht haltbar.“ Eine Isolationspflicht sei nur bei schwerwiegenden Viruserkrankungen vorgesehen. Und diese Schwere sei bei der derzeitigen Virusvariante nicht gegeben.
Statt Isolationspflicht dessen hält Lindner ein anderes Konzept für denkbar. Es könnte eine allgemeine Maskenpflicht für Innenräume eingeführt werden, die Menschen alltäglich unweigerlich betreten müssen, also ÖPNV, Kliniken, Teile des Einzelhandels. Im Kino beispielsweise müsste dann keine Maskenpflicht herrschen. „Das wäre verhältnismäßig und der Staat würde so auch seiner Pflicht nachkommen, die Vulnerablen an Orten, an denen sie sich aufhalten müssen, zu schützen.“
Die Isolationspflicht könne als Ermessensentscheidung bestehen bleiben und bei Bedarf aktiviert werden, wenn im Herbst oder Winter eine neue gefährlichere Virusvariante auftauche, so der Jurist.
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Diesen Artikel so zitieren: Allgemeine Maskenpflicht statt Corona-Hausarest? Was ein Mediziner und ein Jurist zur Isolationspflicht meinen - Medscape - 29. Jul 2022.
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