Smartphones, Tablets und ähnliche Geräte scheinen von vielen Menschen in zwanghafter oder sogar süchtiger Form genutzt zu werden, was negative gesundheitliche Folgen haben kann. Derartige Folgen können vermutlich nur durch oft schwierige Verhaltensänderung eingedämmt werden, wie die Kinderendokrinologin Dr. Nidhi Gupta von der KAP Pediatric Endocrinology in Nashville, Tennessee, meint.
Guptas Einschätzung stützt sich zum Teil auf die Analyse von 234 medizinischen Fachartikeln zu dem Thema, aber die Daten bestätigten auch ihre eigenen klinischen Erfahrungen, erklärte sie auf dem Jahreskongress der Endocrine Society in Atlanta [1]. „Als Kinderendokrinologin beunruhigt mich der Trend zu Smartphone-assoziierten Gesundheitsstörungen wie Adipositas, Schlaf- und Verhaltensstörungen.“

Dr. Nidhi Gupta
Nach ihrer Literaturrecherche geben die verfügbaren Daten Anlass zur Sorge. In einer von ihr zitierten Studie wurde etwa festgestellt, dass jede Stunde Bildschirmzeit pro Tag zu einem Anstieg des Body-Mass-Index (BMI) von 0,5 bis 0,7 kg/m2 führt (p<0,001). Ein solcher progressiver Anstieg des BMI führt zu Prädiabetes, Dyslipidämie und anderen Stoffwechselstörungen, die mit großen, nicht zuletzt kardiovaskulären Gesundheitsrisiken verbunden sind.
Laut Gupta deuten die Daten auch darauf hin, dass die spätabendliche Bildschirmzeit den Schlaf stört, was wiederum eine Reihe weiterer Gesundheitsrisiken mit sich bringt. „Wenn ich von Gesundheit spreche, meine ich nicht nur körperliche, sondern auch geistige und emotionale Gesundheit“, sagte Gupta.
In den von der Adipositas-Epidemie betroffenen Staaten gelten Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung als Hauptursachen. Eine übermäßige Bildschirmzeit trägt zu beidem bei. „Wenn wir mit unseren Geräten beschäftigt sind, naschen wir unbewusst oft mehr und sind uns unserer ungesunden Verhaltensweisen nicht bewusst“, so Gupta.
Ein Teufelskreis
Das Problem ist, dass es sich um einen Teufelskreis handelt. Die zwanghafte Nutzung von Geräten zeigt dieselben Merkmale wie andere Arten eines Suchtverhaltens, so Gupta. Die übermäßige Nutzung solcher Geräte führt sie auf das dopaminerge System zurück, das einen starken neuroendokrin vermittelten Prozess von Verlangen (craving), konditionierter Reaktion und Belohnung darstellt.
Wie etwa Fett, Zucker und Salz ein neuroendokrines Belohnungssignal auslösen, führt auch das Klingeln und Summen eines Mobiltelefons zu einem eigenen Belohnungssignal in Form eines Dopaminschubs. Dadurch „entwickelt sich ein unwiderstehlicher und irrationaler Drang, das Gerät zu überprüfen, was den Dopaminspiegel im Gehirn in die Höhe treibt“, erklärt Gupta.
Obwohl dieser Teufelskreis durch das Ausschalten des Geräts unterbrochen werden kann, betrachtet Gupta dies auch als „unpraktisch“, da Smartphones für die tägliche Kommunikation so wichtig geworden sind. Stattdessen plädiert Gupta für ein Mäßigungsprogramm, bei dem das Smartphone für nützliche Aufgaben reserviert bleibt, ohne dem Reiz der Benachrichtigungstöne von zeitraubenden Apps, den sie mit dem Gesang der Sirenen vergleicht, zu erliegen.
Soziale Medien als zentraler Treiber der Handysucht
Als Hauptschuldigen hat Gupta die sozialen Medien ausgemacht, die sie als zentralen Treiber der Handysucht ansieht. Sie räumt jedoch ein, dass die sozialen Medien durchaus auch ihre guten Seiten hätten. „Ich nutze selbst die sozialen Medien für mein eigenes Profil und zur Werbung“, sagte Gupta.
Das Problem der Nutzer sei, zwischen sinnvoller und nicht sinnvoller Bildschirmzeit zu unterscheiden. Gupta wies darauf hin, dass viele derjenigen, die ihre smarten Geräte übermäßig nutzen, vom dopaminergen Belohnungssystem angetrieben werden, das im Allgemeinen von den wirklichen Zielen des Lebens – wie der persönlichen Zufriedenheit und Aktivitäten, die sich finanziell oder in anderer Form lohnen – abgekoppelt sind. „Ich sage nicht, schmeißt alle smarten Geräte aus dem Fenster, aber ich plädiere für Mäßigung und Ausgewogenheit und mehr Engagement im realen Leben.“
Tipps zur moderaten Nutzung
Gupta präsentierte eine lange Liste von praktischen Vorschlägen, wie dem Ausschalten von Alarmen, Klingeln und Benachrichtigungen, die den Nutzer nur in die bösartige Schlinge des dopaminergen Belohnungssystems hineinmanövriere. Stattdessen plädierte sie für eine höhere Achtsamkeit, damit der Anwender zu unterscheiden lerne, ob es sich bei der Nutzung des Geräts um eine nützliche Tätigkeit oder nur um Prokrastination handele.
„Die Geräte sind so angelegt, dass sie ein Suchtverhalten unterstützen. Sie wurden entwickelt, um unser Gehirn zu manipulieren“, sagte sie. „Die Belohnungen sollten abgeschafft werden. Die Geräte werden am besten so gestaltet, dass sie langweilig, unattraktiv und wenig verlockend sind, sodass ihr Charakter sich hin zu einem reinen Werkzeug wandelt.“
Veränderungen leichter gesagt als getan
Die medizinische Fachliteratur sei voll von Daten über die potenziellen Schäden durch übermäßige Bildschirmnutzung, was viele zu denselben Schlussfolgerungen brachte. Im Jahr 2017 untersuchte Prof. Dr. Thomas N. Robinson, Professor für Pädiatrie an der kalifornischen Stanford Universität, Daten, die einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Bildschirmmedien und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen aufzeigten.
„Dieses Gebiet schreit förmlich nach eingehenderen Forschungsanstrengungen“, sagte Robinson in einem Interview. Das kombinierte Problem aus Bildschirmzeit, sitzender Tätigkeit und Gewichtszunahme bestehe seit der Erfindung des Fernsehers, wie er in seiner Arbeit von 2017 schrieb. Er stimmte aber der Einschätzung zu, dass das Problem größer statt kleiner werde.
„Die Digitalisierung ist allgegenwärtig geworden und berührt praktisch jeden Aspekt des Lebens der Menschen“, sagte er. Doch während sich die Evidenzen dafür mehrten, dass eine übermäßige Nutzung dieser Technologien auch schädlich sein könne, schaffe sie ein Problem, ohne dafür eine klare Lösung anzubieten.
„Es gibt nur wenige Daten über die Wirksamkeit spezifischer Strategien, mit denen sich die schädlichen Auswirkungen einer intensiven Bildschirmnutzung verringern ließen“, sagte Robinson.
Einige der von Gupta beschriebenen Lösungen erschienen zwar sinnvoll, doch seien diese Dinge oftmals leichter gesagt als getan. Das dopaminerge Belohnungssystem sei stark und werde weitgehend unbewusst erlebt. Es sei bereits eine spezielle Aufgabe, die Patienten zu der Erkenntnis zu bewegen, dass dopaminerge Belohnungen keine Belohnungen im eigentlichen Sinne seien. Sie dann dazu zu bringen, die schwierigen Schritte zu unternehmen, die erforderlich sind, um die Verhaltensanreize zu verändern und zu vermeiden, könnte noch schwieriger werden.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Wie uns Smartphones sowie Social Media süchtig, schlaflos und dick machen. Ärztin gibt Tipps für eine gesunde Nutzung - Medscape - 28. Jul 2022.
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