Das Affenpockenvirus mutiert einer neuen Studie zufolge 6- bis 12-mal schneller als erwartet. Nach Analyse seines Genoms hat das Virus scheinbar einen einzigen Ursprung, der wahrscheinlich auf den Stamm zurückgeht, der am Affenpockenausbruch 2017/2018 in Nigeria beteiligt war. Es ist nicht klar, ob diese Mutationen die Übertragbarkeit des Virus unter Menschen begünstigen oder andere klinische Auswirkungen haben, erklärte Dr. João Paulo Gomes vom portugiesischen Nationalen Institut für Gesundheit in Lissabon in einer E-Mail an Medscape.
Seit Beginn des Affenpockenausbruchs im Mai dieses Jahres meldete die WHO über 16.000 Fälle in 75 Ländern und Territorien und 5 Todesfälle (Stand: 1. Januar bis 22. Juli 2022). Bis zum 22. Juli gab es in Deutschland 2.268 laborbestätigte Affenpocken-Erkrankungen und bislang keine Toten.
Das Affenpockenvirus (auch Monkeypox virus, MPXV) gehört zur Gattung der Orthopoxviren. Dabei handelt es sich um große DNA-Viren, die in der Regel nur 1 oder 2 Mutationen pro Jahr hervorbringen. SARS-CoV-2 erzeugt zum Vergleich monatlich etwa 2 Mutationen. Im Vergleich zum Stamm von 2017 würde man also 5 bis 10 Mutationen im Affenpockenvirus von heute erwarten, so Gomes.
Gomes und seine Kollegen analysierten für die Studie 15 Affenpocken-DNA-Sequenzen aus Portugal und vom National Center for Biotechnology Information in Bethesda, Maryland, die vom 20. und 27. Mai 2022 stammten. Dieser jüngste Stamm unterschied sich dabei um 50 Einzelnukleotid-Polymorphismen von den früheren Virusstämmen aus den Jahren 2017/2018.
Besseres Zurechtkommen mit neuer Wirtsart?
„Das geht weit über das hinaus, was wir speziell von den Orthopoxviren erwartet hatten“, sagte der Epidemiologe Dr. Andrew Lover von der Amherst School of Public Health & Health Sciences der University of Massachusetts gegenüber Medscape, der nicht in die Studie involviert war. „Es sieht so aus, als versuche das Virus herauszufinden, wie es am besten mit einer neuen Wirtsart zurechtkommt.“
Vermutlich sind bestimmte Nagetiere der natürliche Wirt des Affenpockenvirus, so Lover weiter, und im Jahr 2022 erfolgte dann die Übertragung auf den Menschen. „Der Wechsel auf eine neue Spezies kann Mutationen beschleunigen, da sich das Virus an eine neue biologische Umgebung anpassen muss“, erklärte er. Allerdings ist unklar, ob die neuen Mutationen, die das Team von Gomes entdeckte, aktuell zu einer leichteren Verbreitung des Virus unter Menschen beitragen.
Die Forschenden fanden auch heraus, dass das 2022er-Virus zu dem als Klade 3 bezeichneten Zweig des Virus gehört, der Teil der weniger tödlichen westafrikanischen Klade ist. Während diese eine Sterblichkeitsrate von unter 1% aufweist, beträgt die Sterblichkeitsrate der zentralafrikanischen Klade über 10%.
Die schnellen Veränderungen im Virusgenom könnten durch eine Proteinfamilie angetrieben werden, die eine mutmaßliche Rolle für die antiretrovirale Immunität spielt: das sog. APOBEC3 (Apolipoprotein B mRNA editing enzyme, catalytic polypeptide-like 3). Affenpockenviren sind zwar keine Retroviren, doch man vermutet, dass der besagte Mechanismus aufgrund gewisser genetischer Ähnlichkeiten trotzdem ein Stück weit greift und zumindest Schäden am Virusgenom verursachen kann, erklärte Gomes, „aber manchmal ist das System nicht gut reguliert und die Veränderungen im Genom schädigen das Virus gar nicht.“
Diese APOBEC3-gesteuerten Mutationen weisen ein charakteristisches Muster auf, das auch bei den meisten der 50 neuen Mutationen, die Gomes und sein Team identifiziert haben, zu finden war. Ob diese Mutationen aber überhaupt klinische Auswirkungen haben, ist bisher nicht bekannt, sagte Lover.
Anderes Verhalten des Affenpockenvirus von 2022?
Das Affenpockenvirus von 2022 scheint sich anders zu verhalten als frühere Virusstämme, stellte Lover fest. Beim aktuellen Ausbruch scheint der sexuelle Übertragungsweg eine große Rolle zu spielen, was anders ist als bei früheren Ausbrüchen, sagte er. Während die Affenpocken normalerweise zu einem Ausschlag am gesamten Körper führen, gab es mehrere Fälle, in denen Patienten nur einige wenige, „sehr harmlose Läsionen“ aufwiesen, fügte er hinzu.
Gomes hofft, dass spezialisierte Laborgruppen feststellen können, ob ein Zusammenhang zwischen diesen identifizierten Mutationen und Veränderungen im Verhalten des Virus einschließlich der Übertragbarkeit besteht.
Obwohl keiner der Befunde in der Analyse Anlass zu größeren Sorgen bietet, zeigt die Studie für Lover doch, dass „das Wissen über die Affenpocken definitiv noch sehr lückenhaft ist. Wahrscheinlich sind wir aber gut beraten, wenn wir Vorsicht walten lassen … Es gibt hier ganz klar einige Dinge, die wir absolut nicht verstehen, und dazu gehört auch das Tempo der Mutationen.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Affenpocken-Virus mutiert deutlich schneller als erwartet – was das für Probleme mit sich bringt - Medscape - 26. Jul 2022.
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