Gesunde Snacks: Mit der Ernährung lässt sich positiv auf das Darmmikrobiom einwirken – aber in wieweit lassen sich daraus Empfehlungen ableiten?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

25. Juli 2022

Ballaststoffreiche Snacks mit Erbsen- und Orangenfasern wirken sich offenbar positiv auf das Darmmikrobiom aus. Darauf deuten die Ergebnisse einer kleinen Interventionsstudie mit 12 Zwillingspaaren hin, die unlängst in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienen ist [1].

 
Diese Pilotstudien waren nicht designt, um zu testen, ob die Ballaststoff-Snacks signifikante langfristige Veränderungen des Körpergewichts … bewirken können. Prof. Dr. Michael J. Barratt
 

Die Studienteilnehmer verzehrten über 10 Wochen zusätzlich zu ihrer normalen Ernährung Snacks mit Ballaststoffen aus Erbsen oder Orangen. Der Verzehr der Ballaststoffe sei mit einer Zunahme der Häufigkeit von Genen verbunden gewesen, die für bestimmte kohlenhydratabbauende Enzyme im fäkalen Mikrobiom kodieren, berichtet die Forschungsgruppe um Dr. Omar Delannoy-Bruno vom Edison Family Center for Genome Sciences and Systems Biology der Washington University School of Medicine in St. Louis, USA.

Snacks gewinnen weltweit an Bedeutung für die Ernährung

Ihre Analyse zeigte darüber hinaus, dass sich durch die Ballaststoffe die Konzentration von 1.305 Plasmaproteinen verändert hatte. „Der Verzehr von Snacks wird weltweit zu einem immer wichtigeren Bestandteil des täglichen Lebens”, schreiben die Autoren. Mit Ballaststoffen angereicherte Snacks böten somit „die Möglichkeit, nährstoffreiche Zutaten in die Ernährung zu integrieren”, schreiben sie.

 
Bisher sehe ich nicht, wie man mit einer bestimmten Ernährung das Mikrobiom in eine klar definierte Richtung beeinflussen kann. Prof. Dr. Dirk Haller
 

Delannoy-Bruno und seine Kollegen hatten die mit Erbsen- oder Orangenfasern angereicherten Snacks bereits in 2 Pilotstudien bei übergewichtigen Teilnehmern getestet: Sie konnten zeigen, dass die Snacks Teile des Mikrobioms beeinflussen, die an der Metabolisierung von Ballaststoffkomponenten beteiligt sind.

Noch keine praktische Relevanz ableitbar

Eine direkte praktische Relevanz lasse sich daraus noch nicht ableiten, sagt Prof. Dr. Michael J. Barratt, Koautor und Direktor des Center for Gut Microbiome and Nutrition Research an der Washington University in St. Louis, USA: „Diese Pilotstudien waren nicht designt, um zu testen, ob die Ballaststoff-Snacks signifikante langfristige Veränderungen des Körpergewichts oder häufig gemessene Biomarker der kardiometabolischen Gesundheit bewirken können. Daher müssen die Vorteile dieser Interventionen in größeren und längeren klinischen Studien untersucht werden.“

Das Darmmikrobiom ist ein fruchtbares Forschungsfeld

Die Studien von Delannoy-Bruno und seinen Kollegen sind nur einige in einer langen Reihe verschiedenster Arbeiten zum Darmmikrobiom. Beobachtungen weisen zum Beispiel darauf hin, dass Störungen des Mikrobioms in der frühen Kindheit das Risiko für Allergien erhöhen könnten.

Und die Autoren einer Metaanalyse von Kohortenstudien kommen zu dem Schluss, dass das beobachtete höhere Risiko für Adipositas bei Kaiserschnittkindern Folge ihres gestörten frühen Mikrobioms sein könnte. Die Darmbesiedlung beginnt möglicherweise bereits vor der Geburt und wird durch mütterliche Faktoren wie Adipositas, Rauchen und die Einnahme von Antibiotika negativ beeinflusst.

Eine große Studie unterstreicht außerdem den Einfluss von Medikamenten auf das Mikrobiom. Placebokontrollierte Studien mit Fäkaltransplantationen gibt es bisher für den Typ-2-Diabetes, für die Clostridium-Infektion und für die Colitis ulcerosa.

Beim Typ-2-Diabetes fehlen natürliche Schwankungen des Mikrobioms 

Doch trotz der stetig steigenden Zahl an Publikationen steht die  Mikrobiomforschung noch ziemlich am Anfang. Prof. Dr. Dirk Haller, der den Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie an der TU München inne hat, weist darauf hin, dass viele Faktoren die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussten: die Ernährungsweise, auch die regionale Herkunft von Personen, selbst Tages- und Nachtzeiten.

So fanden Haller und seine Kollegen heraus, dass sich Anzahl und Zusammensetzung des Darmmikrobioms im Tagesverlauf verändern. Und dass diese Schwankungen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes im Tagesverlauf verloren gehen. Haller erklärt, dass die arrhythmische Signatur bestimmter Bakterienarten epidemiologisch zur Diagnose eines Typ-2-Diabetes beitrage und zeige, dass es zwischen dem zirkadianen Rhythmus und dem Mikrobiom bei Stoffwechselerkrankungen Zusammenhänge gebe.

Er sagt aber auch, dass jeder Mensch eine individuelle Mikrobiota aufweise und gibt zu bedenken: „Bisher sehe ich nicht, wie man mit einer bestimmten Ernährung das Mikrobiom in eine klar definierte Richtung beeinflussen kann“.

Viele Erkenntnisse stammen noch aus der Grundlagenwissenschaft

„Wir wissen aus der Grundlagenforschung, dass das Mikrobiom eine enorme Bedeutung hat. Die normale Entwicklung wird durch das Mikrobiom beeinflusst und es spielt wahrscheinlich bei vielen Erkrankungen eine Rolle”, sagt Prof. Dr. Thomas Frieling, Chefarzt der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie am Helios Klinikum Krefeld.

„Ich glaube auch, dass viele Erkrankungen aus unserem Bereich durch das Mikrobiom beeinflusst werden. Man muss allerdings auch sagen, dass viele dieser Ergebnisse aus grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten stammen, die sich nicht immer 1 zu 1 auf die menschliche Situation übertragen lassen”, erklärte er jüngst auf der Online-Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).

 
Man muss allerdings auch sagen, dass viele dieser Ergebnisse aus grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten stammen. Prof. Dr. Thomas Frieling
 

Hinzu kommt: Es gibt noch große Wissenslücken. „Man liest immer wieder, dass das Mikrobiom eine Masse von 1 bis 2 Kilogramm hat – das stimmt nicht, es sind 200 bis 300 Gramm. Man liest auch immer, die Anzahl der Bakterien im Körper übersteigt die der Körperzellen um das 10-Fache – das stimmt auch nicht, das ist etwa eine 1 zu 1-Relation. Das soll jetzt nicht die Bedeutung des Mikrobioms schmälern, aber es zeigt, dass eben viele grundlegende Dinge nicht klar sind”, betonte Frieling. Viele Dinge, so seine Einschätzung, „werden in ihrer Bedeutung im Moment für die klinische Situation überschätzt”.

Mikrobiomforschung steckt noch in den Kinderschuhen

So groß das Potenzial auch ist: Vergleichbar mit dem Stand der Erforschung des Humangenoms vor 20 Jahren stecke die Mikrobiomforschung noch in den Kinderschuhen, sagt Haller in einem Interview mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. „Man wird jetzt erst anfangen, langsam größere Studien in kontrollierten Humankohorten zu machen.“

 
Man wird jetzt erst anfangen, langsam größere Studien in kontrollierten Humankohorten zu machen. Prof. Dr. Dirk Haller
 

Er bekomme immer wieder Anfragen, individuelle Stuhlanalysen zu interpretieren“, berichtet er. In den meisten Fällen sei es aber unmöglich, einen Krankheitsbezug aus Stuhlanalysen herzustellen. „Nichtsdestotrotz gibt es natürlich Marker für ein Mikrobiom beim Gesunden, z. B. die Reichhaltigkeit der Bakterien. Wenn ein Gesunder durchschnittlich 300-500 Bakterienspezies hat und ein Morbus-Crohn-Patient hat nur noch 30, dann ist das dramatisch weniger.“

Beurteilung des mikrobiellen Ökosystems heute noch nicht möglich

Neben der Reichhaltigkeit sind auch Stoffwechselprozesse wie die Fermentation von Ballaststoffen ein Merkmal eines gesunden mikrobiellen Ökosystems im Darm. Bisher sei es aber nicht möglich zu sagen ob das mikrobielle Ökosystem des einen Menschen besser sei als das eines anderen.

„Wenn wir die 4.500 Menschen aus unseren Kohorten anschauen, zeichnen sich keine offensichtlichen Muster ab. Wenn man sich nur die Verteilung ansieht, kann man auch nicht einfach sagen, der ist gesund, der ist krank“, so Haller weiter. Für eine sinnvolle Stratifizierung brauche es mehr Informationen. „Wir haben gerade erst angefangen, Bakterienstämme durch Sequenzierung zu identifizieren. Das erfordert allerdings einen deutlichen Mehraufwand und ist auch teurer“, sagt der Ernährungsforscher.

Therapeutische Nutzbarkeit muss sich erst noch zeigen

Hallers Einschätzung nach wird man noch einen weiten Weg gehen müssen, um Kausalität sauber herauszuarbeiten, gute Korrelationen herzustellen und Veränderungen des Mikrobioms bewerten zu können. Ob Veränderungen dann als diagnostisches Merkmal verwendet, eventuell auch therapeutisch genutzt werden können, werde sich zeigen.

Für manche Erkrankungen werde  Ernüchterung einkehren, weil es sich um eine reine Korrelation handele. Für andere Erkrankungen wiederum werde sich herausstellen, dass man tatsächlich eingreifen und womöglich einen klinischen Nutzen generieren könne.
 

Kommentar

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