Hitze kann die Qualität einer Pharmakotherapie beeinflussen: Darauf sollten Sie achten

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

20. Juli 2022

Hitze kann die Wirksamkeit und die Sicherheit einer Arzneimitteltherapie mindern. Ein Team um Dr. Alina Herrmann vom Universitätsklinikum Heidelberg erläutert, wie Hitze die Qualität einer Pharmakotherapie beeinflussen kann und worauf besonders zu achten ist. 

Ein Kind mit Ketoazidose 

Eine Pharmakotherapie kann unter anderem dadurch beeinträchtigt werden, dass Arzneimittel, wie die Autoren erklären, durch Hitze physikalischen Schaden nehmen. Welche Folgen das zum Beispiel haben kann, wurde vor einigen Jahren im British Medical Journal  geschildert: Ein 11-jähriges Mädchen mit Typ-1-Diabetes entwickelte ein diabetische Ketoazidose, nachdem ihre Insulinpumpe infolge starker Hitze und Sonneneinstrahlung nicht mehr korrekt funktionierte.

Wie Hermann und ihre Kollegen berichten, enthalten die Fachinformation und die Packungsbeilage zugelassener Arzneimittel Hinweise zu den (untersuchten) Lagerungsbedingungen. Wenn keine besonderen Lagerungsbedingungen zu beachten seien, bedeute dies, dass auch eine Lagerung bei 40°C/75%iger Luftfeuchtigkeit getestet worden sei.

Werde eine Temperaturgrenze genannt, bedeute dies, dass bis zu diesem Wert eine Langzeittestung die erforderliche Stabilität gezeigt habe. Es müsse aber nicht bedeuten, dass bei höheren Temperaturen keine Stabilität bestehe und kurzzeitige Überschreitungen einen Qualitätsverlust zur Folge hätten.

Tatsächlich seien viele feste orale Formen in tropischem Klima über zwei Jahre ziemlich stabil, wie z.B. in einer  Übersichtsarbeit  beschrieben wird.

Eine mögliche Folge: Ein malignes Neuroleptikasyndrom

Hitzebelastungen können den Heidelberger Autoren zufolge zur Dekompensation bestehender Krankheiten führen (z.B. Herzinsuffizienz) oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen begünstigen (z.B. ein malignes Neuroleptikasyndrom bei Parkinson-Patienten. Einschränkungen der Organfunktion durch ungenügende Hydrierung könnten zudem die Ausscheidung von Arzneistoffen vermindern und so Dosisreduktionen notwendig machen.

So gehöre die Nierenfunktionsstörung zu den häufigsten Hospitalisierungs-Ursachen während Hitzewellen, weshalb eine Kreatininmessung mit Abschätzung der Nierenfunktion wichtig sei und ggf. eine Dosisanpassung der Arzneimittel an die veränderten Clearance-Verhältnisse erforderlich werde.

Zudem sollte laut Hermann und ihren Kollegen die Dosis von Diuretika in solchen Situationen kritisch überdacht werden, da sie eine Dehydrierung fördern könnten und da die Vorbehandlung mit Diuretika zu den wichtigen Risikofaktoren für hitzschlag-assoziierte Todesfälle gehöre.

Zu beachten ist laut Hermann und ihren Kollegen auch,  dass Arzneistoffe mit mindestens 5 Schutzmechanismen   interferieren, mit denen der Organismus auf eine Zunahme der Körpertemperatur reagiere. Dazu zählten: 

  • Durst: Mit vermindertem Durstgefühl wurden ACE-Hemmer und Sartane in Zusammenhang gebracht, wobei deren Einfluss umstritten ist. 

  • Zentrale Temperaturregulation: Der Mechanismus ist den Heidelberger Autoren zufolge noch immer nicht vollständig aufgeklärt, scheint aber abhängig von Monoaminen zu sein und so durch neurologische und psychiatrische Erkrankungen sowie psychotrope Arzneimittel (z.B. Opioide, Serotonin-Re-uptake-Inhibitoren, Carbamazepin, Anticholinergika und Trizyklika) ungünstig beeinflusst zu werden. 

  • Schwitzen: Eine Hypohidrose könne durch antimuskarinische Stoffe (etwa Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva, Zentralnervensystem(ZNS)-gängige H1-Antagonisten oder Antipsychotika) ausgelöst werden. 

  • Kutane Vasodilatation: Über eine kutane Vasokonstriktion könnten Sympathikomimetika die Regulation der Hautdurchblutung beeinflussen. 

Risikoreich seien viele psychotrope Substanzen, insbesondere anticholinerg oder sedierend wirkende Substanzen. Sofern die Therapie mit solchen Substanzen nicht vermeidbar sei, sollten sie möglichst niedrig dosiert werden. 

Einfluss auf die Pharmakokinetik

Hitze könne zudem über verschiedene Mechanismen die Pharmakokinetik und dadurch die Exposition des Patienten mit der Aktivsubstanz beeinflussen. Wärme und starke Zunahme des kutanen Blutflusses führten dazu, dass die systemische Verfügbarkeit von trans- oder subkutan verabreichten Arzneistoffen sich verstärken könne (z.B. Opioidpflaster).

Außerdem führten die erheblichen Kreislaufveränderungen unter extremer Hitze dazu, dass die Perfusion der Nieren- und der Leber um etwa ein Drittel abnehme. Letzteres beeinflusse die Bioverfügbarkeit von oral verabreichten Substanzen mit hoher hepatischer Extraktionsrate (Substanzen mit hohem First-Pass-Effekt), wie trizyklische Antidepressiva oder β-Rezeptoren- Blocker. So steige bei großer Hitze beispielsweise die Plasma-Konzentration von Propranolol um 67 % an, was mit verstärkter Pulsverlangsamung einhergeht. 

 Risiko-Patienten solventen während Hitzewellen besonders sorgsam überwacht werden, raten die Autoren. Ziele seien, Ausscheidungsstörungen zu erkennen und kritische Arzneimittel ggf. rechtzeitig abzusetzen, zu pausieren oder in der Dosis zu reduzieren. Hierzu zählten insbesondere Wirkstoffe, die erheblich in die Temperatur- und Kreislaufregulation eingreifen (in erster Linie Diuretika, anticholinerge Stoffe) oder die Vigilanz und damit die Selbstsorge des Patienteneinschränken können (Sedativa, Opioide). 

Informationen zur korrekten und sicheren Arzneimittel-Anwendung bei Hitzewellen bieten Klinische Pharmakologen der Universität Heidelberg im Internet an. Dort findet sich zudem eine stets aktualisierte Tabelle, die die Stoffklassen, die erwartete Risiken und mögliche Maßnahmen zur Risikominimierung zusammenfasst.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Univadis.de .

 

Kommentar

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