Hitzewellen, Hitzetote und kein Plan: Sowohl der Marburger Bund als auch die Bundesärztekammer (BÄK) fordern einen bundesweiten Hitzeschutzplan für Deutschland. Doch ob es dazu kommen wird, ist nun mehr als fraglich: Hitzeschutz sei eine „Querschnittsaufgabe“, für die Bund, Länder, Kommunen sowie Träger von Einrichtungen für Selbstverwaltung und auch Fachgesellschaften zuständig seien, stellte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) klar und fügte hinzu, dass die Bundesregierung eng mit allen Akteuren zusammen arbeite. Einen nationalen HItzeschutzplan gäbe es vorerst nicht.
Überlegungen dazu scheinen aber nicht ganz vom Tisch zu sein. Während der Vorstellung einer Regierungsstudie zu immer häufigeren Wetterextremen sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums, die Ergebnisse zeigten, dass man wahrscheinlich die Situation überdenken müsse. „Deshalb haben wir ein Forschungsvorhaben angestoßen, das sich die Zuständigkeitsproblematik anschaut.“ Dabei gehe es auch darum, ob es einen Bedarf an einem zusätzlichen nationalen Hitzeaktionsplan gebe.
„Hitzewellen werden immer häufiger und extremer. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir brauchen dringend einen nationalen Hitzeschutzplan auf Bundesebene“, betonte Dr. Klaus Reinhardt. Auf Landes- und kommunaler Ebene sollten die unterschiedlichen Hitzeschutzpläne koordiniert und umgesetzt werden mit besonderem Augenmerk auf schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, fügte der Präsident der Bundesärztekammer hinzu.
Reinhardt machte auch deutlich, dass Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis bei der Ausarbeitung der Hitzeschutzpläne einbezogen werden sollten und erinnerte an Maßnahmenpläne für Kliniken, Not- und Rettungsdienste sowie Pflegeeinrichtungen zur Vorbereitung auf Extremwetterereignisse.
Klimatisierte Patientenzimmer? Eher die Ausnahme denn die Regel
„Die Politik muss ihre Anstrengungen für Schutzmaßnahmen in Hitzephasen deutlich ausbauen“, sagte Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Städte und Kommunen brauchen Hitzeschutzpläne, damit sich Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens besser auf Hitzewellen vorbereiten können, am besten geregelt durch einen nationalen Hitzeschutzplan, so Johna.
„Die gesundheitlichen Gefahren, die von Hitzewellen ausgehen, dürfen nicht unterschätzt werden. Berechnungen des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV) haben gezeigt, dass Hitzewellen besonders viele Todesopfer fordern können“, so Johna.
Wie groß der Handlungsbedarf in den Kliniken ist, wurde auf der Pressekonferenz der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DGK) deutlich, auf der das Gutachten „Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern“ vorgestellt wurde [1].
Wie Studienautorin Dr. Anna Levsen berichtete, nutzen zwar 80% der Krankenhäuser, die an der Umfrage teilgenommen hatten, den Einsatz von Verschattung zur Verhinderung von Hitze bzw. Sonneneinstrahlung (z.B. durch Gebäudeteile, Bäume oder Jalousien), und 74% der Krankenhäuser haben weitestgehend wärmedämmende Fenster installiert.
Klimaanlagen aber sind selten, bestätigte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DGK. Einzelne Bereiche wie Intensivstation und Diagnostik seien häufig klimatisiert, „aber dass ein ganzes Haus klimatisiert ist, ist die Ausnahme. Und dass alle Patientenzimmer klimatisiert sind, ist die absolute Ausnahme. Die Regel in den Häusern ist, dass die Patientenzimmer nicht klimatisiert sind“, betonte Gaß. Er rechnet mit einem mittleren zweistelligen Milliardenbereich, um alle Kliniken in Deutschland klimaneutral zu machen.
„Wir brauchen dringend ein Krisenkonzept für Hitzeereignisse, die gerade Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäusern besonders belasten. Ein Hitzeaktionsplan muss her, mit umfassenden Vorgaben für Pflegeanbieter: von der Medikamentenlagerung bis hin zu baulichen Maßnahmen wie Thermofenstereinbau und Verschattungssysteme. Aber auch zu Hause Gepflegte dürfen nicht vergessen werden“, betonte auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK.
Angesichts der Hitzewelle hat Patientenschützer Eugen Brysch den Kommunen und Ländern Untätigkeit vorgeworfen und fordert milliardenschwere Investitionen in Alten- und Pflegeheime. „Mit den aktuell steigenden Temperaturen überbieten sich Politik und Verbände mit Vorschlägen. Doch es ist zu befürchten, dass am Donnerstag bei Erreichen sommerlicher Normaltemperaturen wieder alles vorbei ist“, so der Vorstand der Stiftung Patientenschutz gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung .
Entscheidend, so Brysch, sei die Finanzierung – und daran hapere es: „Denn weder Kommunen noch Bund und Länder sind bereit, mit Milliarden-Investitionen ein Hitzeschutzschild wenigstens für Pflegeheimbewohner, Krankenhauspatienten und besonders gefährdete Menschen bereitzustellen“, kritisierte Brysch. Dabei gehe es um wichtige Investitionen, Bau- und Sanierungsmaßnahmen.
Dimension der Hitzegefahr in Deutschland noch immer nicht erfasst?
Wie Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann in ihrem Sachbuch „Überhitzt“ schreibt, haben die Verantwortlichen in der Politik die Dimension der Hitzegefahr nach Einschätzung von Dr. Martin Herrmann, Vorstand der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), „noch immer nicht erfasst“ [2].
KLUG fordert seit 2017 mehr Engagement für Klima- und Gesundheitsschutz. „Wir haben hier in Deutschland kein für alle verbindliches Alarmsystem, keine Identifizierung von Gefahrenzonen und Risikogruppen, keine Hitzeleitstellen, keine Kühlzonen und – mit ganz wenigen Ausnahmen – keine Fortbildung für niedergelassene Mediziner, Krankenhaus- und Pflegeheimangestellte. Viele Nachbarländer sind uns da Jahre voraus“, so Herrmann.
Anders als in Deutschland regierten die Gesundheitsministerien in Frankreich, der Schweiz, in Österreich, den Niederlanden und in Luxemburg schnell auf die Erfahrungen im Hitzesommer 2003 und entwickelten Hitzenotfallpläne für die Bevölkerung. So gilt der „Plan Canicule“ in Frankreich als vorbildlich. Sehen die staatlichen Wetterdienste dort eine Hitzewelle kommen, warnen sie Behörden, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime usw. – die dann ihrerseits obligatorische Maßnahmen ergreifen.
Das Ziel ist, Risikopatienten zu schützen. So werden z.B. alleinstehende Senioren kontaktiert und auf Wunsch aus ihren überhitzten Räumen in klimatisierte Räume – Museen oder Bibliotheken – gebracht.
Mit Hilfe des „Plan Canicule“ hat Frankreich die Hitze-Übersterblichkeit seiner Bevölkerung massiv senken können. Ältere alleinstehende oder chronisch kranke Personen, Wohnungslose, Menschen in prekären Wohnsituationen, Krippen- und Schulkinder, Alten- und Pflegeheimbewohner und Krankenhauspatienten: Für jede dieser Gruppen sieht der Plan spezielle Schutzmaßnahmen vor.
In parlamentarischen Debatten war Hitze bis 2020 kaum Thema
Auf dem Internetportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stehen Informationen und Verhaltenstipps für Hitze zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich mit gesundheitlicher Anpassung an die Klimawandelfolgen beschäftige. Sie hat bereits 2017 Empfehlungen zur Erstellung von Hitzeaktionenplänen für Städte und Gemeinden entwickelt. Passiert ist seither eher wenig.
Berlin ist mit dem „Aktionsbündnis und Hitzeschutz Berlin“ die erste Großstadt in Deutschland und das erste Bundesland, das seit März 2022 über einen Hitzeschutzplan verfügt.
In den parlamentarischen Debatten der Bundesländer jedenfalls kam das Thema Hitze und Hitzeschutz zwischen 2003 und 2020 kaum vor, wie das Ergebnis einer Recherche von Prof. Dr. Beate Blättner und ihren Kollegen von der Hochschule Fulda zeigt. In Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen hatte die Opposition 2019 Anträge gestellt, Hitzeaktionspläne zu finanzieren und zu koordinieren – alle 3 wurden von den Regierungen abgelehnt.
Ein gutes Dutzend Städte hat sich entschieden, Konzepte zu entwickeln. Doch der Stand der Umsetzung ist sehr unterschiedlich.
Köln, Worms oder Mannheim konnten Projektmittel einwerben und sind auf einem guten Weg.
Offenbach hat als erste Stadt einen Hitzeaktionsplan verabschiedet, verzichtet aber zunächst auf eine Zusammenarbeit mit externen Akteuren.
In anderen Städten entwickeln sich einzelne Initiativen wie das Hitzetelefon Sonnenschirm, andere Städte listen auf ihrer Homepage Hitzeschutz-Tipps auf.
Aktuell, bestätigt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums, sei keine Stadt oder Gemeinde bekannt, die einen Hitzeaktionsplan mit allen 8 Elementen der Empfehlungen umsetze.
Mit dem 2021 gegründeten Zentrum KlimaAnpassung will das Umweltministerium die Klimaanpassung in den Städten und verbessern. Das Zentrum bietet Beratung für Kommunen an, die sich auf die Folgen der Erderhitzung vorbereiten wollen.
Hin und her zwischen verschiedenen Ressorts und politischen Ebenen
Nach Einschätzung von Herrmann war in Deutschland – anders als in Frankreich – „der Schockmoment noch nicht stark genug, dass endlich gehandelt wird.“ Und Dr. Luzie Verbeek, Beauftragte für „One Health – Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit“ am Robert Koch-Institut (RKI) sagt: „Zum Schutz vor klimagünstigen Infektionen, etwa durch Mücken oder Zecken, gibt es ein Infektionsschutzgesetz. Eine vergleichbare gesetzliche Grundlage gibt es beim Thema Hitzeschutz nicht.“
In Deutschland fehlt schon ein bundesweites Monitoring der hitzebedingten Mortalität. Bislang stehen in Deutschland eher Umweltbehörden für das Thema Hitze und menschliche Gesundheit, weniger Gesundheitsbehörden oder der Bevölkerungsschutz. „Weder Bund noch Länder fühlen sich wirklich zuständig, die Kommunen können die Aufgabe allein aber nicht lösen“, sagt Blättner.
Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt hat die deutschen Handlungsempfehlungen für Hitzeaktionspläne maßgeblich erarbeitet und sagt: „Das Thema gesundheitsbezogener Hitzeschutz sitzt seit jeher zwischen Baum und Borke der verschiedenen Ressorts und politischen Ebenen. Wir Fachbehörden versuchen die Entscheider bestmöglich mit Input zu beliefern. Aber über die Umsetzung entscheiden wir nicht.“
Fanden Sie unsere Informationen interessant? Dann melden Sie sich doch für einen Newsletter aus unserer Redaktion Medscape Deutschland an, damit Sie keine Nachrichten, Meinungen und andere spannende Wissensformate aus der Medizin verpassen. Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Angeboten.
Credits:
Photographer: © Hel080808
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Planlos schwitzen: Ärzte fordern dringend Hitzeschutzpläne auch für Deutschland – aber wer bezahlt was? - Medscape - 20. Jul 2022.
Kommentar