Die Strategie, allen Kleinkindern schon frühzeitig Erdnüsse zu essen zu geben, um der Entstehung von Erdnussallergien vorzubeugen, ist in Australien offenbar nicht aufgegangen. Mehrere Jahre nachdem die Empfehlung, schon vor dem 12. Lebensmonat Erdnussprodukte einzuführen, herausgegeben wurde, hat sich an der Prävalenz von Erdnussallergien in dem Land nichts geändert – zumindest nicht in der Gesamtbevölkerung.
Mit einer Prävalenz von Erdnussallergien von 2,6% in 2018/2019 verglichen mit 3,1% im Zeitraum von 2007 bis 2011 sei kein Unterschied bei der Häufigkeit von Erdnussallergien zu beobachten gewesen, berichten Erstautorin Dr. Victoria X. Soriano vom Murdoch Children’s Research Institute in Parkville, Australien, und ihre Kollegen in JAMA [1].
LEAP und EAT veränderten weltweit die Empfehlungen
Aktualisiert wurde die australische Empfehlung – ebenso wie Leitlinien weltweit – im Jahr 2016 als Reaktion auf die Ergebnisse der in England durchgeführten LEAP-Studie. Darin hatten Kinder mit Ekzem (atopische Dermatitis, Neurodermitis) und/oder Hühnereiallergie ab dem Alter von 4 bis 11 Monaten wöchentlich 6 Gramm Erdnussprotein erhalten. Im Vergleich zu Kleinkindern, bei denen Erdnussprodukte komplett vermieden wurden, war dies mit einem drastischen Rückgang von Erdnussallergien von 16,8% auf 4,7% assoziiert.
Eine weitere Studie, die die Leitlinienempfehlungen damals beeinflusste, war die ebenfalls in England durchgeführte EAT-Studie: In dieser Arbeit wurden 6 allergene Lebensmittel sequenziell eingeführt, darunter auch Erdnussprodukte. Hier zeigte sich in der Intention-to-treat-Analyse zwar kein signifikanter Effekt auf das Risiko für Erdnussallergien, in der Per-Protocol-Analyse aber durchaus.
Empfehlungen in Europa fallen zurückhaltender aus
Prof. Dr. Kirsten Beyer leitet an der Charité-Universitätsmedizin Berlin das Kinderallergologische Studienzentrum und war sowohl an der Erstellung der europäischen als auch der deutschen Leitlinie beteiligt. Im Gespräch mit Medscape erklärt sie: „Die Prävalenz von Erdnussallergien im frühen Kindesalter ist in Europa sehr unterschiedlich. England hat die weitaus höchste Prävalenz, dagegen kommen Erdnussallergien zum Beispiel in Griechenland kaum vor. Deutschland liegt mit 0,4 bis 0,5% im Mittelfeld.“
Deshalb empfiehlt die europäische Leitlinie eine Früheinführung von Erdnussprodukten nur in Ländern mit hoher Prävalenz. In der aktuellen S3-Leitlinie Allergieprävention für Deutschland heißt es: „Zur Prävention der Erdnussallergie kann bei Säuglingen mit atopischer Dermatitis in Familien mit regelmäßigem Erdnusskonsum im Zuge der Beikost-Einführung erwogen werden, Erdnussprodukte in altersgerechter Form (zum Beispiel Erdnussbutter) einzuführen und regelmäßig weiter zu geben.“
„Wichtig ist, dass insbesondere bei Kindern mit moderater bis schwerer Neurodermitis vor der Einführung von Erdnussprodukten eine Erdnussallergie ausgeschlossen wird“, so Beyer.
Einmalige Möglichkeit zum Vorher-Nachher-Vergleich
In Australien dagegen lautet die Empfehlung, allen Kindern schon vor dem 12. Lebensmonat kindgerechte Erdnussprodukte wie Erdnussbutter zu essen zu geben. Die Forschungsgruppe um Soriano hatte schon vor der Änderung der Leitlinie in Australien detaillierte Untersuchungen zur Prävalenz von Erdnussallergien im 1. Lebensjahr durchgeführt (2007 bis 2011). Daraus ergab sich die einmalige Möglichkeit, die Prävalenz von damals mit der Prävalenz nach der Leitlinienänderung zu vergleichen (2018 bis 2019).
Für beide Untersuchungswellen wurden Kleinkinder im Alter von 12 Monaten an Impfzentren in der Region um Melbourne rekrutiert. Demografische Daten sowie Daten zu Risikofaktoren für Nahrungsmittelallergien, zur Einführung von Erdnüssen und den Reaktionen darauf wurden mithilfe von Fragebögen erhoben. Außerdem wurde bei allen Kindern ein Prick-Test auf Erdnussallergie durchgeführt, bei positivem Ergebnis gefolgt von einem oralen Provokationstest.
Zunahme des Anteils an Kindern mit ostasiatischen Wurzeln
In der Untersuchungswelle von 2018 bis 2019 wurden 1.933 Kleinkinder in die Studie aufgenommen, in der Untersuchungswelle von 2007 bis 2011 waren es 5.276. Soriano und ihre Kollegen merken an, dass der Anteil an Kindern mit ostasiatischen Wurzeln mit der Zeit zugenommen habe. Machten sie von 2007 bis 2011 noch 10,5% der Kohorte aus, waren es 2018 bis 2019 bereits 16,5%. Der ostasiatische Ursprung stelle einen Risikofaktor für Nahrungsmittelallergien dar.
Die Auswertung der Befragungen zeigte, dass in der Kohorte von 2018 bis 2019 Erdnüsse tatsächlich sehr viel häufiger früh eingeführt worden waren als in der Kohorte von 2007 bis 2011 – bei 85,6% versus 21,6% der Kinder.
Aber einen Einfluss auf die Häufigkeit von Erdnussallergien in der Gesamtbevölkerung hatte dies nicht: Nach Standardisierung um Abstammung und andere demografische Veränderungen betrug die Prävalenz von Erdnussallergien von 2018-2019 2,6% - verglichen mit 3,1% in 2007-2011. Die Differenz von 0,5% war statistisch nicht signifikant.
Bei Kleinkindern mit australischen Eltern war ein Effekt zu beobachten
Allerdings zeigten sich Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen: Bei Kleinkindern australischer Abstammung war die frühe Einführung von Erdnüssen in 2018 bis 2019 mit einem signifikant geringeren Risiko für eine Erdnussallergie assoziiert.
Bei der Einführung von Erdnussprodukten vor dem Ende des 6. Lebensmonats versus mit 12 Monaten betrug die adjustierte Odds Ratio für Erdnussallergien 0,08. Erhielten die Kleinkinder im Alter von 7 bis 10 Monaten Erdnüsse – wieder versus mit 12 Monaten -, betrug die Odds Ratio 0,09. Bei Kleinkindern ostasiatischer Abstammung war die Assoziation dagegen nicht signifikant.
Möglicherwiese reichte die Dosierung der Erdnüsse nicht aus
In einem begleitenden Editorial schreiben Dr. Jennifer Dantzer und Dr. Robert A. Wood von der Division of Allergy, Immunology, and Rheumatology am Department of Pediatrics der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore [2]: „Ein möglicher Grund für diese Befunde ist, dass die Ergebnisse der LEAP-Studie sich nicht auf die Gesamtbevölkerung übertragen lassen, entweder weil die Früheinführung nur bei Kindern mit hohem Risiko von Vorteil ist oder weil für einen Nutzen die konsistente Aufnahme von hohen Dosen an Erdnüssen nötig ist.“
„Wenn man sich für eine Prävention von Erdnussallergien durch die Früheinführung von Erdnüssen entscheidet, muss mit den Eltern auch klar besprochen werden, wie eine solche Prävention funktioniert“, bestätigt Beyer. „Es reicht nicht, sporadisch etwas Erdnussbutter zu geben. Die kindgerechten Erdnussprodukte müssen regelmäßig, also mehrmals pro Woche gefüttert werden, so wie es auch in der LEAP-Studie geschehen ist. Wie gut sich die Eltern in Australien daran gehalten haben, darüber gibt die Studie leider keine Auskunft.“
Demografische Veränderungen schränken Aussagekraft der Studie ein
Eine weitere Einschränkung der Studie ist, dass es zwischen den beiden Untersuchungswellen zu signifikanten demografischen Veränderungen gekommen ist. Zwar wurde beide Male an Impfzentren in der Region um Melbourne rekrutiert. Aber in der 2. Untersuchungswelle war der Anteil an Kindern mit Nahrungsmittelallergien in der Familienanamnese, Ekzemen bei den Eltern sowie ostasiatischer Herkunft deutlich angestiegen – all dies Faktoren gehen mit einem höheren Risiko für Nahrungsmittelallergien einher.
Die in den USA angesiedelten Editorialisten Dantzer und Wood schlussfolgern, dass weitere Studien notwendig seien, um herauszufinden, ob andere Ansätze, etwa die Einführung von Erdnussprodukten in Dosierung und Häufigkeit, wie sie in der LEAP-Studie verwendet wurden, zu einer Reduktion von Erdnussallergien führen würden.
„Angesichts des potenziellen Nutzens und dem geringen Risiko für einen Schaden sollten sich Ärzte in der Zwischenzeit von den Ergebnissen dieser wichtigen Studie nicht davon abhalten lassen, den aktuellen Konsensus-Leitlinien zu folgen, die eine frühe Einführung von Erdnussprodukten bei Kleinkindern empfehlen“, ergänzen sie.
Sinnhaftigkeit der Früheinführung hängt von der Prävalenz ab
Für die USA und Australien, Länder mit einer hohen Prävalenz an Erdnussallergien, sei dieses Fazit durchaus zutreffend, so Beyer. Die Studie zeige schließlich nicht, dass der Weg komplett falsch ist, denn bei den Kindern mit australischen Eltern sei ein Effekt zu sehen gewesen.
Für Länder mit niedrigerer Prävalenz wie Deutschland sieht Beyer dagegen die hierzulande geltenden Empfehlungen als bestätigt an. „Bei uns ändert diese Studie gar nichts, sie zeigt nur wieder einmal, wie schwierig es ist, auch gut gemachte Interventionsstudien in allgemeine Leitlinien umzumünzen.“
Credits:
Lead Image: Stepan Popov/Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Prävention von Erdnuss-Allergien bei Kleinkindern in Australien gescheitert – müssen jetzt Leitlinien wieder umgeschrieben werden - Medscape - 18. Jul 2022.
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