Die Stechmücken profitieren vom Klimawandel: Mehr und mehr invasive exotische Stechmückenarten werden in Deutschland heimisch. Altbekannte Plagegeister wie die „Schnake“ wiederum übertragen zunehmend exotische Erreger. Medscape sprach mit Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg, darüber, wie sich Zika, Chikungunya, Dengue und das West-Nil-Fieber in Deutschland ausbreiten, ob wir damit rechnen müssen, dass die Malaria zurückkehrt und was Impfungen ausrichten können.

Prof. Dr. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
Medscape: 2020 gab es laut Robert Koch-Institut (RKI) 20 registrierte Infektionen mit dem West-Nil-Virus (WNV), darunter war auch ein Todesfall. Das war aber nicht das erste Auftauchen des West-Nil-Virus in Deutschland, oder?
Schmidt-Chanasit: Nein, wir hatten bereits 2019 die ersten Fälle, allerdings lag die Anzahl im einstelligen Bereich. 2020 kam es dann zu diesem Anstieg. Aber insgesamt sind die Fallzahlen doch eher niedrig.
Medscape: Durch Zugvögel eingeschleppt wird das Virus inzwischen von heimischen Stechmücken auf den Menschen übertragen. 20 Fälle klingt nach nicht viel. Die Zahl der Infizierten dürfte deutlich höher sein, oder?
Schmidt-Chanasit: Ja. Man muss bedenken, dass es sich bei den dokumentierten Fällen nur um die Spitze des Eisbergs handelt. 1% der Infizierten erkrankt schwer, an der sogenannten West-Nil-Virus-Neuroinvasiven Erkrankung (WNND), die mit einer Meningoenzephalitis einhergeht. 20% der Infizierten entwickeln das West-Nil-Fieber (WNF); diese Erkrankung geht mit Exanthemen, Fieber und Muskelschmerzen einher.
Der Großteil der Infizierten – knapp 80% – bleibt asymptomatisch. Legt man die registrierten Fallzahlen zugrunde, muss man das ungefähr mit 100 multiplizieren. Und dann sieht man schon eine deutlich höhere Anzahl von Infizierten.
Medscape: Exantheme, Fieber und Muskelschmerzen klingen ja nicht sehr spezifisch …
Schmidt-Chanasit: Aus diesem Grund werden manche Fälle von West-Nil-Fieber von den Hausärzten auch nicht als West-Nil-Virus-Infektion erkannt, sondern als banale Erkältung oder als bakterielle Infektion diagnostiziert. Hinzu kommt: Das West-Nil-Fieber ist selbstlimitierend, d.h. den meisten Erkrankten geht es nach einer Woche auch wieder gut. Und deshalb wird oftmals auch keine Diagnostik angefordert.
Wobei wir in den Gebieten, in denen das West-Nil-Virus auftritt, zusammen mit dem RKI und den Kollegen vor Ort intensiv aufklären, so dass die Ärzteschaft schon informiert sein könnte.
Wobei man das sicher nicht von jeder Hausarztpraxis erwarten kann. Wir hatten aber auch schon Hausärztinnen, die regelrechte Detektivarbeit geleistet haben und die bei uns z.B. auch den Diplomkurs Tropenmedizin besucht haben und dann bei einer solchen, eigentlich nicht sehr spezifischen Symptomatik eine West-Nil-Virus-Diagnostik angefordert haben. Und damit wirklich einen kleinen Ausbruch aufdecken konnten, z.B. den in der Nähe von Leipzig. Da gibt es positive Überraschungen.
Doch die Fälle, auf die sich das Augenmerk richtet, sind meist schwere Fälle mit einer West-Nil-Virus-Neuroinvasiven Erkrankung, die dann in den Unikliniken auf der Intensivstation liegen. Aber wie gesagt, das sind 1% der Fälle.
Medscape: Wie viele Fälle waren es 2021? Und mit welcher Entwicklung rechnen Sie für 2022?
Schmidt-Chanasit: 2021 lagen die Fallzahlen deutlich unter 10. Wir müssen ein bisschen abwarten, die Meldungen in Deutschland – und das ist beim West-Nil-Virus nicht anders – kommen ja zum Teil sehr stark verzögert beim RKI an. Ich denke nicht, dass wir die Fallzahlen von 2021 erreichen. Eine einfache Erklärung dafür sind die klimatischen Verhältnisse, die sind entscheidend für diese WNV-Epidemie.
Wenn es sehr sehr heiß ist – gerade auch im Frühsommer – führt das dazu, dass sich das West-Nil-Virus viel schneller in den Stechmücken replizieren kann. Hitzesommer sind also stärker mit WNV-Epidemien assoziiert. Man kann also schon relativ gut aufgrund der klimatischen Verhältnisse prognostizieren, was passieren wird. Und 2021 war es – für das Virus – klimatisch nicht so optimal wie 2020. Ob es dieses Jahr zu einer West-Nil-Virus-Epidemie kommt, muss man abwarten. Bisher haben wir aber noch keine Infektion diagnostiziert.
Typisch ist, dass wir mit den humanen Infektionen immer erst im Spätsommer rechnen können. Die ersten Fälle treten frühestens im Juli auf, und dann kommen die meisten Fälle im August und September hinzu. Das ist so, weil das West-Nil-Virus eine gewisse Zeit braucht, um sich in einer größeren Anzahl von Hausmücken, die das West-Nil-Virus übertragen, zu vermehren. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bereits im April, Mai oder Juni WNV-Infektionen auftreten.
Medscape: Der Zusammenhang mit Hitzewellen, also mit dem menschengemachten Klimawandel, ist beim West-Nil-Virus eindeutig, oder? Das heißt wir müssen damit rechnen, dass sich das West-Nil-Virus ausbreitet?
Schmidt-Chanasit: Ja. Das West-Nil-Virus kann sich schneller replizieren, wenn es mehrere heiße Tage und Tropennächte gibt. Dabei hilft aber auch, dass Mücken bei Hitze Blutmahlzeiten schneller verdauen, schneller Eier produzieren und auch dadurch auch häufiger stechen können. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass mit der zunehmenden Erwärmung die WNV-Ausbreitung zunehmen wird.
Medscape: Ist dieser eindeutige Zusammenhang in der Politik ausreichend angekommen? Frankreich hat nach der extremen Hitzewelle 2003 umfangreiche Hitzenotfallpläne entwickelt ...
Schmidt-Chanasit: In Zusammenarbeit mit dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium aktualisieren wir gerade den Sachstandsbericht „Klimawandel und Gesundheit“. Darin geht es um die Folgen von starken Hitzesommern, was man machen kann und wie man sich darauf vorbereiten sollte. Eine Folge davon – und das ist ein großer Abschnitt in dem Bericht – beschäftigt sich mit Ausbrüchen von Erkrankungen, die durch Arthropoden übertragen werden können.
Das zeigt schon, dass das Thema angekommen ist und man sich damit beschäftigt. Wir sehen auch in den Landesgesundheitsämtern zunehmende Aktivität, sich den invasiven Mückenarten, die sich aufgrund des Klimawandels bei uns ausbreiten, verstärkt anzunehmen. Gerade im Hinblick auf die Bekämpfung.
Während die Bekämpfung von Stechmücken in Frankreich, Griechenland oder Italien zum Teil seit Jahrzehnten professionell etabliert ist, spielt sie bei uns – Ausnahme ist der Südwesten – bislang noch kaum eine Rolle. Im Südwesten, im Bereich der Oberrheinebene, bekämpft die KABS (Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage) seit Jahrzehnten professionell die Ausbreitung von Stechmücken.
Medscape: Welche exotischen Mückenarten sind inzwischen bei uns heimisch, und welche Krankheiten übertragen sie?
Schmidt-Chanasit: Da ist einmal die Tigermücke, die eine sehr breite Vektor-Kompetenz besitzt: Sie kann sehr viele verschiedene Viren übertragen – angefangen vom Dengue-Virus über das Zika-Virus und das Chikungunya-Virus. Das sind auch die relevantesten Viren, die bislang in Europa schon autochthone Infektionen oder sogar Epidemien hervorgerufen haben. Beispielsweise die Chikungunya-Virus Epidemien in Italien 2007 und 2017.

Asiatische Tigermücke sticht in menschliche Haut: Typisch sind die gestreiften Beine © Michael Pettigrew | Dreamstime.com
Die 2. invasive Art ist der Japanische Buschmoskito, der z.B. Vektor-Kompetenz für das Zika-Virus besitzt, aber auch für das West-Nil-Virus. Mittlerweile kommt der Japanische Buschmoskito in fast ganz Deutschland vor. Die Tigermücke hat sich langsam von Süden nach Norden vorgearbeitet, sie kommt mittlerweile auch in Berlin vor. Diese beiden Arten sind heimisch geworden.

Die Japanische Buschmücke sieht der Tigermücke sehr ähnlich, ist aber in der Regel noch größer und hat nur 3 statt 5 weiße Ringe an den Beinen. © Astrid Gast | Dreamstime.com
Dann gibt es noch Aedes koreicus – der Koreanische Buschmoskito –, der sich ebenfalls immer mehr ausbreitet – auch in Europa. (Anm. d. Red.: Vom Aussehen der Japanischen Buschmücke sehr ähnlich)
Das sind die 3 wichtigsten invasiven Arten. Möglich ist derzeit nur, durch entsprechende Maßnahmen die Ausbreitung zu verlangsamen. Vielleicht haben wir in der Zukunft Methoden, die es uns ermöglichen, die Ausbreitung dieser invasiven Mückenarten zu stoppen – wer weiß.
Medscape: Wie hoch müssen denn die Durchschnittstemperaturen für eine Mücken-Mensch-Infektion bei Dengue, Zika und Chikungunya sein?
Schmidt-Chanasit: Für Dengue und Zika müssen die Durchschnittstemperaturen deutlich höher liegen, als das für eine Chikungunya-Übertragung notwendig ist – um die 27 Grad Celsius. Chikungunya hingegen repliziert sich bei deutlich niedrigeren Temperaturen – da reichen schon Durchschnittstemperaturen von 18 Grad Celsius. Die Fälle von Chikungunya-Infektionen in Deutschland wurden bisher nur über Reiserückkehrer, die sich in ihrem Urlaubsland infiziert hatten, nach Deutschland gebracht.
Medscape: Müssen wir in Deutschland mit Malaria rechnen?
Schmidt-Chanasit: Die Sorge, dass die Malaria nach Deutschland zurückkommt, habe ich nicht. Obwohl die Anopheles-Stechmücke bei uns heimisch ist. Es gibt aber eben keine unbehandelten Malaria-Patienten bei uns in Deutschland, an denen sich die Stechmücken infizieren könnten. Im Gegensatz zum West-Nil-Virus findet beim Malaria-Parasiten auch keine transovariale Transmission bei den Stechmücken statt.
Und selbst wenn es doch zu vereinzelten Malaria-Fällen käme, würde das deutsche Gesundheitssystem eine größere Epidemie verhindern: Sobald ein Patient mit Malaria auffällt, wird er behandelt – damit ist der Übertragungszyklus unterbrochen.
Für eine echte Malaria-Epidemie müssten viele infizierte Menschen und die heimischen Anopheles-Mücken zusammenkommen und eine Infektionsdynamik entwickeln. Das scheint, nach heutigem Stand, in Deutschland, Österreich oder der Schweiz als sehr unwahrscheinlich.
Medscape: Was können Impfungen gegen Dengue, Zika, West-Nil-Fieber und Co. ausrichten?
Schmidt-Chanasit:
Dengvaxia, der Impfstoff gegen Dengue von Sanofi-Pasteur, ist in der EU für die Anwendung in den endemischen Gebieten zugelassen. Das betrifft also nur die französischen Überseegebiete. Die Herausforderung mit diesem Vakzin ist: Man benötigt 3 Impfungen, und die Impflinge müssen schon eine Dengue-Virus-Infektion durchgemacht haben.
Der Impfstoff hat kaum schwere Nebenwirkungen. Impft man jedoch Menschen, die bislang noch keine Dengue-Virus-Infektionen gehabt haben, kann es zu schweren hämorrhagischen Durchbruchsinfektionen kommen.
Genau das ist 2016 bei einer Impfkampagne in philippinischen Schulen, bei dem über 800.000 Schulkinder geimpft wurden, passiert. Vor Beginn der Impfkampagne wurde nicht geprüft, ob alle Kinder schon eine Infektion durchgemacht hatten. Bei ca. 10% der Kinder war das nicht der Fall, einige sind infolge einer Durchbruchsinfektion nach der Impfung gestorben.
Das war ein großer Skandal, der zeigt, wie wichtig eine gute Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen einer Impfung ist. Infolge dieses Skandals ging auch die Bereitschaft zurück, sich gegen Masern und gegen COVID-19 impfen zu lassen.
Gegen das Dengue-Virus ist ein weiterer tetravalenter Impfstoff in der Zulassungsphase, TAK-003 von Takeda. Der Impfstoff hat den Vorteil, dass nur zweimal geimpft werden muss. Das Vakzin kommt eventuell auch für Reisende infrage.
Gegen Chikungunya und Zika gibt es bisher keine zugelassenen Impfstoffe. Für Chikungunya hat ein Kandidat in Phase 2 durchlaufen, die Impfung basiert auf dem Masernimpfvirus, das bestimmte Proteine des Chikungunyavirus enthält. In den nächsten Jahren erwarten wir aber keine Zulassung.
Auch für das West-Nil-Virus gibt es bislang nur einen Impfstoff für Pferde.
Gerade weil es noch keine Impfungen gibt, haben die professionelle Kontrolle von Stechmücken und der Schutz vor Stechmückenstichen – entsprechende Kleidung, Mückenschutzmittel, Netze etc. – den allergrößten Stellenwert.
Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.
Dengue, Zika und Chikungunya
Dengue-Symptome ähneln denen des West-Nil-Fiebers: abruptes hohes Fieber, Schmerzen und akut auftretender Hautausschlag (Exanthem). Bei schweren Verläufen können innere Blutungen auftreten. Dengue wird in Südfrankreich seit 2010 regelmäßig vereinzelt lokal übertragen, 2020 kam es zu 12 Erkrankungen.
Zika ist vor allem deswegen gefürchtet, weil es bei infizierten Schwangeren das Hirn des Fötus schwer schädigen kann – 2015 kam es in Lateinamerika zu einer schweren Epidemie. 2019 erkrankte erstmals eine Frau an der Côte d´Azur an Zika.
Chikungunya verursacht starke Gelenkschmerzen und eine hohe Berührungsempfindlichkeit. Infizierte können sich vor Schmerzen kaum aufrecht halten. Im Jahr 2005 erreichte die Tigermücke die französische Insel La Réunion im Indischen Ozean – 200.000 Insulaner erkrankten, 200 starben. 2007 trat Chikungunya erstmals in Europa auf: Rund um das italienische Ravenna erkrankten über 200 Menschen, als Überträger wurden Tigermücken ausgemacht. Auch in Südfrankreich kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu lokalen Chikungunya-Virus-Übertragungen.
Wenn Stechmücken rot sehen…
Hungrige Stechmücken stützen sich auf mehrere Faktoren, um zu erkennen, wen sie stechen. Und sie werden besonders von der Farbe Rot angezogen, fanden Forscher der Universität Washington heraus.
Was man wissen sollte:
Es gibt 4 Auslöser, die Mücken auf Menschen anziehen: ihr Atem, ihr Schweiß, die Temperatur ihrer Haut und die Farbe Rot.
Riecht eine Stechmücke bestimmte Verbindungen wie CO2 aus unserem Atem, suchen ihre Augen nach bestimmten Farben, die ihnen helfen können, eine potenziellen Blutquelle zu finden.
Die weit verbreitete Mückenart Aedes aegypti ignoriert Farben wie Grün, Lila, Blau und Weiß, sucht aber nach Rot, Orange, Schwarz oder Cyan.
Unabhängig von der Gesamtpigmentierung gibt die menschliche Haut Licht mit einer langen Wellenlänge ab, das ein rot-oranges „Signal“ an die Augen der Stechmücke sendet.
Das Herausfiltern von Rottönen in unserer Haut oder das Tragen von Kleidung, die diese Farben vermeidet, kann dazu beitragen, nicht zur Zielscheibe von Stechmücken zu werden.
Bei allen Stechmücken trinken nur die Weibchen Blut.
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Credits:
Photographer: © Michael Pettigrew
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Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Schnakenalarm durch Hitze – kommen jetzt Tropenkrankheiten nach Deutschland? Auf diese Biester und Symptome sollten Sie achten - Medscape - 14. Jul 2022.
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