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Fall: Eine vermeintlich gesunde 23-Jährige stirbt nach nächtlichem Bettnässen – nur was ist die Todesursache?

Autorin: Maria Weiß, redaktionelle Bearbeitung: Alisa Ort

Interessenkonflikte

14. Juli 2022

Episoden von nächtlichem Bettnässen bei erwachsenen, vorher kontinenten Menschen sollten immer ernst genommen werden. Zahlreiche Differenzialdiagnosen müssen bedacht werden – darunter auch potenziell lebensbedrohliche Probleme. Dies zeigt der Fall einer jungen Frau, die nach zwei Enuresis-Episoden wenige Jahre zuvor plötzlich mit 23 Jahren im Schlaf gestorben ist [1]

Die Frau und ihre Vorgeschichte

Die vermeintlich gesunde junge Frau hatte sich jeweils im Alter von 18 und 20 Jahren mit einer Enuresis-Episode vorgestellt, berichten Ehud Chorin et al. vom Sourasky Tel Aviv Medical Center in Israel. Bei beiden Episoden fühlte sie sich nach dem Aufstehen gut. Sie war nur durch das nasse Laken aufgewacht, hatte ansonsten keine Symptome, nahm weder Medikamente noch Drogen und trank keinen Alkohol. 

Urin-Tests und ein abdominaler Ultraschall waren unauffällig. Die Ärzte vermuteten damals einen (nicht bestätigten) Harnwegsinfekt, der empirisch mit Antibiotika behandelt wurde. 3 Jahre nach der letzten Episode wurde sie tot im Bett aufgefunden.

Umfrage unter Hausärzten und Internisten

Aufgrund des tragischen Ausgangs startete das Team um Chorin nach Bekanntwerden des Todes der Patientin eine anonyme Online-Umfrage. Insgesamt 346 Ärztinnen und Ärzte aus den Bereichen Pädiatrie, Allgemeinmedizin und Innere Medizin gaben an, welche diagnostischen Schritte sie bei einer 20-Jährigen mit zwei Enuresis-Episoden unternehmen würden.

Am häufigsten nannten die Befragten folgende diagnostischen Optionen:

  • Urinuntersuchung (Analyse und Kultur; > 50%)

  • Blutanalyse (vollständiges Blutbild, Stoffwechseluntersuchung, HbA1c) (jeweils ca. 40-50%)

  • Ultraschalluntersuchungen (ca. 40%)

  • Überweisung an Urologen (knapp 25%)

  • EEG zum Ausschluss einer Epilepsie (ca. 20%)

Ein zusätzlich befragter Enuresis-Experte wies darauf hin, dass „idiopathisches Bettnässen“ aufgrund des Alters und der sporadischen Natur in diesem Fall eher unwahrscheinlich sei.

Mögliche Differenzialdiagnosen umfassen vor allem Medikamente – einschließlich Diuretika zum Abnehmen oder heimlich in den Drink geschüttete Sedativa. Auch eine nächtliche Polyurie kann in Erwägung gezogen werden. 

Als weitere Untersuchungen schlug der Experte eine Zystometrie, eine Polysomnographie zur Diagnose von Schlafstörungen sowie ein Kopf-MRT zum Ausschluss neurologischer Erkrankungen wie MS vor.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, hätte jedoch nur eine einzige Untersuchungsmethode, die 1,1% der Befragten nannten, der jungen Frau möglicherweise das Leben retten können: ein EKG.

Familienanamnese bringt den entscheidenden Hinweis

Denn nach dem Tod der jungen Frau erwähnte die Mutter, dass 2 Verwandte schon zuvor aufgrund eines plötzlichen Herztodes in jungen Jahren gestorben seien. 

Im EKG der Mutter zeigte sich ein verlängertes QT-Intervall. Die Morphologie sprach für ein Long-QT-Syndrom Typ II. Provokationstests und genetische Untersuchungen bestätigten dann die Diagnose eines kongenitalen Long-QT-Syndroms Typ II auf Basis einer Mutation im KCNH2-Gen.

Vermutet wird, dass es bei der jungen Frau im Rahmen des Long-QT-Syndroms zu selbstlimitierenden ventrikulären Tachyarrhythmien mit zerebraler Hypoperfusion und dadurch bedingter Urininkontinenz gekommen ist.

Fazit: Kardiale Erkrankung als Ursache in Betracht ziehen

Bettnässen kann eine kardiale Erkrankung als Ursache haben. Daher rät das Autorenteam, diese Möglichkeit bei der Diagnostik in Betracht zu ziehen. Nur mit einem EKG lassen sich die potenziell lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen rechtzeitig erkennen und verhindern. Die Familienanamnese kann dabei entscheidende Hinweise geben. 

Dieser Artikel ist im Original erschiene auf Coliqio.de.

 

Kommentar

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