Robert Habeck hat Ende Juni die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Inzwischen ist außerdem unklar, ob Putin nach der Wartung von Nord Stream 1 den Gashahn wieder aufdreht. Wodurch lässt sich kurzfristig der Erdgas-Verbrauch in Haushalten und Betrieben senken? Energie-Experten geben Antworten.
In seiner Begründung für die Alarmstufe führte der Wirtschaftsminister aus, die Gasspeicher würden zwar gefüllt, aber die Marktsimulationen der Bundesnetzagentur zeigten, dass bei der derzeitigen Gasmenge, die Deutschland aus Russland geliefert bekommt, und den Gasmengen, die Deutschland bis zum Winter üblicherweise an die europäischen Nachbarländer exportiert, die Speicher ohne zusätzliche Einsparungen die gesetzlich vorgeschriebenen Füllmengen wohl nicht erreichen werden.
Das scheint viel zu kurz, um den Erdgasbedarf etwa durch neue Wärmedämmungen oder Fenster für die Häuser, mechanische Lüftungen oder neue Heizungen zu senken. Die schiere Menge der notwendigen Materialen ist am Markt so kurzfristig nicht zu bekommen. Und selbst wenn: Es gäbe nicht ausreichend Handwerker, um genügend Häuser bis zum Winter zu sanieren.
Die Frage ist also: Wodurch lässt sich kurzfristig Erdgas in Haushalten und Industrie einsparen, was kann jede Bürgerin und jeder Bürger zu Hause oder in den Betrieben tun, welche Techniken lassen sich womöglich noch selbst einbauen, um den Gasverbrauch deutlich zu senken – und damit ja auch Geld zu sparen? Hier finden Sie die Statements der Experten, die das Science Media Center zur Verfügung gestellt hat [1].
Dr. Immanuel Stieß, Leiter Forschungsschwerpunkt Energie und Klimaschutz im Alltag, Institut für Sozialökologische Forschung GmbH (ISOE), Frankfurt am Main:
„68% des Energieverbrauchs privater Haushalte entfallen auf das Heizen von Gebäuden, weitere 16% werden für die Bereitstellung von Warmwasser benötigt. Etwa die Hälfte der Gebäude wird mit Gas beheizt. Nach einer Schätzung der Agora Energiewende könnte der Gasverbrauch für Heizung und Warmwasser in Wohngebäuden durch kurzfristige Maßnahmen um circa 15 bis 20% reduziert werden.“
„Die größten Einsparpotenziale entstehen durch das Absenken der Raumtemperatur. Die Innenraumtemperatur in Wohnungen in Europa beträgt durchschnittlich 22 Grad: Ein Grad weniger spart 6% Energie. Würde jeweils die Hälfte der Haushalte in Deutschland die Temperatur in ihrer Wohnung um ein halbes beziehungsweise ein Grad absenken, könnten knapp 5% Heizenergie eingespart werden.“
„Viele Heizungen sind nicht optimal eingestellt und verbrauchen unnötig viel Energie. Ein hydraulischer Abgleich des Heizsystems sorgt für eine optimale Verteilung der Wärme im Gebäude. Je nach Typ und Zustand der Heizung können so bis zu 5 bis 10% Energie eingespart werden.“
„Durch einfache Dämmmaßnahmen zum Selbermachen, wie zum Beispiel die Isolierung von Heizungsrohren, -nischen, Fenstern und Rollladenkästen, können weitere 1 bis 2% Energie eingespart werden.“
„25 bis 40% des Warmwasserverbrauchs in Gebäuden entfallen auf das Duschen. Durch kürzere Duschzeiten und geringere Duschtemperaturen kann der Verbrauch an Warmwasser um bis zu 15% reduziert werden. Durch den Einbau eines Sparduschkopfs können weitere 5% Warmwasser gespart werden. Insgesamt können so kurzfristig 10 bis 20% der Energie für die Warmwasserbereitung eingespart werden.“
„Auch in Bürogebäuden, Läden oder Schulen kann durch eine verringerte Raumtemperatur und eine optimale Einstellung des Heizsystems kurzfristig Gas eingespart werden. Durch ein verbessertes Energiemanagement, zum Beispiel eine Absenkung der Raumtemperatur bei Nacht oder an Wochenenden, sind weitere Einsparungen möglich. Wichtig ist dabei eine Schulung der Mitarbeiter*innen und das Festlegen klarer Zuständigkeiten, wer für das Energiemanagement verantwortlich ist.“
„Und schließlich sollte nicht vergessen werden, dass der sparsame Umgang mit Strom ebenfalls dazu beiträgt, den Gasverbrauch zu senken. Denn Gas spielt eine wichtige Rolle bei der Stromerzeugung. Jede eingesparte Kilowattstunde muss nicht durch Gas oder andere klimaschädigende Energieträger erzeugt werden.“
„Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 912 Terrawattstunden Gas verbraucht. Auf das Beheizen von Gebäuden einschließlich Warmwasserbereitung entfielen 340 Terrawattstunden. Geht man davon aus, dass etwa 15 bis 20% des Energieverbrauchs von Gebäuden durch kurzfristige Maßnahmen eingespart werden können, entspricht dies einem Einsparpotenzial von 51 beziehungsweise 68 Terrawattstunden pro Jahr. Pro Tag wären dies 0,14 bis 0,19 Terrawattstunden. Dies entspricht einem Volumen von etwa 14 bis 19 Millionen Kubikmetern Erdgas pro Tag.“
„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einsparung von Heizenergie nicht gleichmäßig über das Jahr erfolgt, sondern nur in der Heizperiode anfällt. Die tatsächlichen täglichen Einsparungen schwanken daher erheblich. Anders ist es beim Warmwasser. Da der Verbrauch von Warmwasser sich über das Jahr kaum verändert, fallen hier die Einsparungen auch im Sommer an. Priorität sollten daher aktuell Maßnahmen zur Einsparung von Warmwasser haben.
Dennoch sollte bereits jetzt damit begonnen werden, Maßnahmen zur Senkung des Heizwärmbedarfs (zum Beispiel technische Optimierung von Heizungen, Anbringen einfacher Dämmungen, Beratung zum richtigen Heizen und Lüften und so weiter) durchzuführen, da sie im Winter den Gasbedarf verringern können. Denkbar wäre auch, den Beginn der Heizperiode zum 1. Oktober um 1 oder 2 Wochen hinauszuschieben, um so Heizenergie zu sparen.“
Prof. Dr. Stefan Büttner, Leiter Globale Strategie & Wirkung, Institute for Energy Efficiency in Production, Universität Stuttgart:
„Die aktuelle Lage gibt aus vielerlei Hinsicht Anlass zur Sorge. Wir haben es die vergangenen Monate versäumt, Energiesparmaßnahmen zu ergreifen, mit denen die Einlagermengen an Gas bereits ein paar Prozentpunkte weiter oben hätten sein können. Der Aussage‚ wir müssen ‚Energie sparen‘, ist nach der Ankündigung direkt zu Beginn der Krise leider kaum Greifbares zum ‚wie‘ gefolgt, dagegen schon bei der Suche nach anderen Öl-, Gas- oder Kohlelieferanten und Preispuffermechanismen.
Diese Verzögerung erweist sich angesichts der näher rückenden Heizperiode als fatal. Es wäre gut gewesen, mit Einsparmaßnahmen ‚Schwung‘ für den Winter zu holen, also genug einzusparen, um es ohne wirklich schmerzhafte und für Deutschland folgenreiche Einschnitte über den Winter zu schaffen.“
„Daher gilt es jetzt umso mehr, gesellschaftsübergreifend Energie zu sparen – und zwar alle. Manch eine/r mag sich zwar fragen, was einen dies kümmern soll, wo man doch einen fixen Energiepreis hat oder selbst kaum was bewirken kann. Dennoch ist es aus vielerlei Gründen für jede/n von hohem Interesse Energie zu sparen, oder besser, zuerst einmal effizienter zu nutzen.“
„So spart man selbst Geld, wenn man unnötigen Verbrauch kleiner Alltäglichkeiten, die einem sonst kaum auffallen, abstellt – beispielsweise elektronische Geräte auf Standby, unnötig viele Anwendungen, die am PC oder Handy im Hintergrund laufen, Belüftung, Kühlschranktemperatur, Ballast, den man im Auto mittransportiert, vorausschauendes Fahren, an Ampeln einer Kreuzung Motor abstellen.“
„Wenn dann auch jene, die bereits einen Grünstromtarif haben, weniger verbrauchen, dann bleibt mehr Grünstrom, um insgesamt weniger fossilen Strom erzeugen oder ersetzen zu müssen. Das heißt, man spart Geld und man schafft Sicherheit, sich vor unliebsamen Überraschungen so gut wie möglich zu schützen, weil man gemacht hat, was man selbst vermag. Hier finden sich über 100 einfache Wege, Energie und damit Sorgen und Geld zu sparen.“
„Seit Jahren wird von der Sektorkopplung gesprochen, bei der wir versuchen, möglichst viel unseres Energieverbrauches von anderen Energieträgern auf Strom umzustellen – beziehungsweise in die Variabilität zu investieren, um das tun zu können. Leider hat das den Blick davon weggelenkt, dass Strom nur etwa ein Drittel des Energieverbrauches von Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und Industrie darstellt, ja sogar nur ein Fünftel bei den Haushalten – dafür aber Öl-/Gas-/Kohle mehr als die Hälfte bei Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, und deutlich mehr als 60% bei Industrie und Haushalten. Das ist insofern tragisch, als dass wir bei Wärme oder Kälte sowie bei der Industrie zusätzlich bei einigen Prozessen nicht ohne weiteres den Energieträger wechseln können, wie das bei Strom der Fall wäre, solange das Angebot groß genug ist.“
„Es ist extrem wichtig, sofort zu prüfen, was man einsparen kann – entweder durch Verringerung des unnötigen Verbrauchs (Leerlaufzeiten, Standby und so weiter) oder durch Nutzbarmachung der Abwärmeverluste. Plakatives Beispiel, dass Abwärmenutzung wirklich überall funktioniert, ist wenn man eine Mütze aufsetzt – schnell wird man merken, wie viel Hitze ein Körper emittiert (100 Watt). Übertragen heißt das, anstatt Serverräume zu kühlen, die Abwärme der Serverschränke für andere Anwendungen nutzen. Beispiele gibt es hunderte – auch offen zugänglich.“
„Es geht nicht darum – weder für mich, die Regierung noch sonst jemanden – zu sagen, ihr müsst alle Energie sparen. Es geht darum, aufzuzeigen, was wir davon haben, wenn wir uns darauf einlassen, danach zu suchen, wo wir im Privaten, in Unternehmen oder anderswo Energie verschwenden, das Unmittelbare sparen, das Risiko einer dicken Nachzahlung zu reduzieren und zu vermeiden, dass unserer Industrie der Hahn abgedreht wird. Das würde nämlich nicht nur zigtausende Jobs substanziell gefährden, sondern auch zu fehlenden Steuergeldern und der Kettenreaktion bei schwindenden Staatsfinanzen etc. führen.“
„Alles, was wir einsparen, hilft auch direkt, den Preisanstieg dessen, was wir nicht schaffen zu reduzieren, da der Nachfrageüberschuss dann weniger hoch ist als zuvor.“
Dr. Martin Pehnt, Wissenschaftlicher Geschäftsführer und Fachbereichsleiter Energie, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu):
„Wir müssen Gas sparen – schnell und dauerhaft. Bundesminister Robert Habeck warnt vor weiteren Preisanstiegen. Das Ziel muss sein, dass jedes Unternehmen, jeder Gebäudeeigentümer, jede Heizkesselbetreiberin im nächsten Winter 25% Gas einspart.“
„Am besten ist es, grundlegend zu handeln: Durch eine Dämmung des Gebäudes oder andere Effizienzmaßnahmen wird nachhaltig Energie gespart. Dann die Gasheizung austauschen und stattdessen eine Wärmepumpe, einen Anschluss an ein Wärmenetz und – wo möglich – eine Solaranlage installieren. Doch das sind Maßnahmen, die Zeit benötigen. Es geht aber jetzt darum, sehr kurzfristig Gas zu sparen.“
„In Deutschland gibt es knapp 7 Millionen Gasheizungen. Alle Betreiberinnen und Betreiber von Gaskesseln müssen einen kostenlosen Gasspar-Check bekommen, bei dem Energieberaterinnen, Heizungsinstallateure oder Schornsteinfegerinnen Hinweise geben, wie sie kurzfristig und mit Blick auf die nächsten Jahre ihren Gasverbrauch reduzieren können. Dazu sollte jede Heizungswartung, jeder Schornsteinfegerbesuch, jede Energieberatung genutzt werden. Der Gassparcheck könnte aus einer Überprüfung der Heizungsanlage, einem Check des Heizungsverhaltens und der Einsparmöglichkeiten und einigen kostenlos mitgebrachten beispielhaften Hilfsmitteln – Thermostatventilen, Thermometer, Hocheffizienzpumpen oder Dämmmaterial oder einem Baumarktgutschein für solche Komponenten bestehen. Auch Inhaber von Ölheizungen sollten in den Genuss dieses Sparchecks kommen können.“
„Kurzfristig können allein durch ein Gassparpaket 10% Gas eingespart werden, in Verbindung mit kleinen Investitionen noch mehr. Da geht es um die Einstellung der Heizkurve, den Einbau programmierbarer Thermostatventile, die Absenkung der Vorlauftemperatur, wo immer möglich. Aber auch das Verhalten zählt: die Absenkung der Raumtemperaturen – müssen wirklich alle Räume geheizt werden, kann die Temperatur tagsüber abgesenkt werden – die Identifikation überheizter Räume, die Nachtabsenkung verlängern, Stoßlüften statt Kipplüften sind da einige Beispiele.“
„Die Absenkung der Vorlauftemperatur hat einen weiteren positiven Nebeneffekt: Gebäudeeigentümer:innen können ausprobieren, ob ihr Gebäude schon geeignet ist für Wärmepumpen (‚Niedertemperatur-ready‘).“
„Auch beim Warmwasser ist viel zu holen: Duschsparköpfe, Durchflussbegrenzer für Wasser, Reduktion der Zirkulationszeiten, Temperaturabsenkung beim Heißwasser unter Beachtung der hygienischen Anforderungen, das Abklemmen von Zapfstellen vom Warmwasser, Warmwasserbereitung mit Zeitsteuerung, aber auch eine Sensibilisierung für wassersparende Körperreinigung (nur kurz Duschen).“
„Dazu kommen kurzfristig realisierbare investive Maßnahmen. Der Einsatz von Reflexionsfolien und Dämmung der Heizkörpernischen, der Treppenläufe, Bodentreppen und Rollladenkästen, aber auch der obersten Geschossdecke, des Kellers, der Kehlbalkendecke oder anderer Hohlräume. Abdichtung von Türen und Fenstern, die Dämmung von Rohrleitungen, der Austausch einzelner Heizkörper, der Einbau einer Duschwanne mit Wärmerückgewinnung und andere kleinere investive Maßnahmen. Auch intelligente, von der Wetterprognose gesteuerte Heizungen sparen Energie.“
„Auch Stromsparen ist Gassparen, weil Strom auch durch Gaskraftwerke erzeugt wird. Deswegen: alle verbliebenen Glühlampen austauschen gegen LED-Lampen. Abschaltbare Steckerleisten verwenden und alte Kühlschränke außer Betrieb nehmen; eine Solaranlage installieren – selbst eine kleine Balkon-PV-Anlage spart 5 bis 10% Strom. Außerdem kann man die Wäsche an der Luft trocknen. Denn: Jede eingesparte Kilowattstunde zählt!“
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Wie lässt sich in der Praxis und zuhause Energie sparen? Was Forscher empfehlen - Medscape - 28. Apr 2023.
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