Lebererkrankungen sind eine stille Epidemie: Mehr als 20 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter einer Fettleber, 10 Millionen zeigen erhöhte Leberwerte, eine halbe Million ist mit Hepatitis-Viren infiziert, von anderen Lebererkrankungen sind ebenfalls mehrere 100.000 Menschen betroffen. Zwischen 800.000 und einer Million dieser Menschen entwickeln eine Leberzirrhose.
„Die Herausforderung ist, die Menschen herauszufinden, die zu diesen 800.000 bis einer Million gehören und die ein erhöhtes Risiko für eine Leberzirrhose, ein Leberkarzinom, für eine langandauernde Erkrankung haben“, sagte Prof. Dr. Heiner Wedemeyer, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Wedemeyer warb auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) nachdrücklich für ein Hepatitis-Screening [1]. Denn frühe Zirrhosen und Lebervernarbungen sind – rechtzeitig behandelt – rückbildungsfähig.
Wedemeyer verwies auf die vor Kurzem aktualisierte 2Sk-Leitlinie Fettleber. Ein Algorithmus zeigt dort auf, wie Hausärzte mit ganz einfachen Laborwerten – die ohnehin bestimmt werden – herausfinden können, ob ihr Patient zu einer Risikogruppe gehört oder nicht. „Unser Problem ist ja: Die Leber leidet stumm, die Patienten haben keine Symptome. Es lohnt sich deshalb grundsätzlich, nach diesen erhöhten Leberwerten zu suchen“, betonte Wedemeyer.
SEAL: Praktikables Screening auf Leberzirrhose
Die kürzlich im Journal of Hepatology publizierte SEAL-Studie (Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose) zeigt, wie ein einfaches Screening im Rahmen des Gesundheits-Check-ups funktionieren kann.
SEAL war zwischen 2018 und 2021 in 201 allgemeinmedizinischen Praxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland durchgeführt worden. Im Zuge des medizinischen Check-ups 35 beim Hausarzt wurde den Patienten angeboten, auch ihren persönlichen Leber-Risikowert ermitteln zu lassen. Ein bestimmtes Muster erhöhter Blutwerte deutet auf ein erhöhtes Leberzirrhose-Risiko hin. Ist das der Fall, untersucht ein Facharzt die Leber. Bestätigt sich der Verdacht, übernimmt ein Leberzentrum die Absicherung der Diagnose und leitet die frühzeitige Behandlung ein.
In das Screening-Programm aufgenommen waren 11.859 Teilnehmer. Die Kontrollgruppe umfasste 349.570 Teilnehmer des regulären Check-ups 35. In der Screening-Gruppe wurde bei 1.581 Patienten (13,1%) ein erhöhter AST- und/oder ALT-Wert gemessen. 4,12% (488 Personen) wiesen einen erhöhten APRI-Score für eine Leberzirrhose auf, 45 Patienten litten an fortgeschrittener Zirrhose.
Die Ergebnisse zeigen, dass ein strukturiertes Screening-Programms die Früherkennungsrate von Zirrhose in der Allgemeinbevölkerung erhöhen kann. Die Studienautoren um Prof. Dr. Peter Galle vom Universitätsklinikum Mainz bewerten den SEAL-Pfad als „praktikables und potenziell kosteneffizientes Screening-Programm“.
Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hatte hat die SEAL-Studie über 5 Jahre gefördert, derzeit werden die Ergebnisse durch den G-BA ausgewertet. „Durch ein solches strukturiertes Programm kann man mit ganz einfachen Leberwerten – die jeder Hausarzt ohnehin bestimmt – die Früherkennung von Leberzirrhosen wirklich steigern“, betonte Wedemeyer. Ziel müsse es nun sein, ein solches Screening langfristig in den Gesundheits-Check-up zu implementieren.
Screening auf Hepatitis B und Hepatitis C
„Virusinfektionen der Leber können wir bei jedem Patienten optimal behandeln“, betonte Wedemeyer, und erinnerte an den Check-up auf Hepatitis B und Hepatitis C: Seit 1. Oktober 2021 haben Versicherte ab 35 Jahren einmalig den Anspruch, sich beim Gesundheits-Check-up auf HBV und HCV testen zu lassen. Ziel ist es, durch das Screening unentdeckte, weil zunächst symptomlos oder schleichend verlaufende Infektionen, zu erkennen und frühzeitig zu behandeln, um teils gravierende Spätfolgen zu verhindern.
Die Hepatitis-B-Virusinfektion kann mit nebenwirkungsfreien, generischen Medikamenten in allen Fällen unterdrückt werden. Eine Hepatitis-C-Virusinfektion kann innerhalb von 8 bis 12 Wochen sogar geheilt werden.
Die Hepatitis D ist in Deutschland seltener, stellt aber die schwerwiegendste chronische Virusinfektion in der Leber dar. Doch auch für diese Infektion gibt es eine maßgeblich in Deutschland entwickelte neue Standardtherapie: den Eintrittshemmer Bulevirtid. Die für die Zulassung entscheidende Studie ist aktuell im Druck (Wedemeyer et al., Lancet Infectious Disease 2022, in press).
„Damit haben wir für die Hepatitis D erstmals eine Therapie zur Verfügung“, sagte Wedemeyer und fügte hinzu: „Deshalb ist es meiner Meinung nach komplett unethisch, diese Patienten nicht aufzuspüren und einer Therapie zuzuführen. In Deutschland laufen wahrscheinlich mehrere 100.000 Menschen mit einer Virusinfektion der Leber herum, ohne dass sie es wissen.“
Auch auf dem Gebiet seltener Lebererkrankungen gibt es zahlreiche neue Entwicklungen. So gibt es für die Behandlung des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels mit Leberbeteiligung ganz neue Therapieansätze: Eine siRNA (small interfering RNA), die die Bildung von pathologischen Eiweißen hemmt, konnte in einer ersten klinischen Studie beeindruckende Ergebnisse zeigen.
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Leber-Screening für alle? Früherkennung von Hepatitis und Zirrhose: Einfache Check-up-Tests beim Hausarzt haben große Wirkung - Medscape - 18. Jul 2022.
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