Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.
Corona-Newsblog, Update vom 11. Juli 2021
Die Corona-Sommerwelle hat Deutschland weiter im Griff. Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, 661,4 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 8. Juli lag der Wert bei 699,5.
„Der höchste Anstieg der 7-Tage-Inzidenz betrifft vor allem die ältesten und jüngsten Altersgruppen, während die höchsten 7-Tage-Inzidenzwerte in den Altersgruppen der jungen Erwachsenen verzeichnet werden“, schreibt das RKI im aktuellen Wochenbericht. „Die Zahl der Ausbrüche von COVID-19 in Alten- und Pflegeheimen sowie in medizinischen Behandlungseinrichtungen steigt ebenfalls vor dem Hintergrund des anhaltend hohen Infektionsdrucks in der Allgemeinbevölkerung im Vergleich zur Vorwoche weiter an.“
Der Anteil der Omikron-Sublinie BA.5 lag in KW 25 bei 77%, während BA.4 und BA.2 immer seltener nachgewiesen werden. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die nun dominierende Omikronlinie BA.5 an sich schwerere Verläufe oder eine höhere Letalität verursacht als vorherige Virusvarianten“, heißt es weiter.
EMA empfiehlt 2. Booster ab 60 jetzt sofort
Mehr akute Atemwegsinfektionen in Deutschland
Immer noch viele Menschen mit Impflücke – Hausärzte fordern neue Kampagne
USA: Paxlovid® ohne ärztliche Verordnung in Apotheken erhältlich
Deutschland: Lauterbach setzt auf Paxlovid®
Viertimpfung: Bewohner von Pflegeheimen scheinen davon zu profitieren
Sabizabulin: Onkologischer Wirkstoff als Game Changer bei COVID-19?
EMA empfiehlt 2. Booster ab 60 sofort
Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC sowie die europäische Arzneimittelagentur EMA empfehlen eine 2. Auffrischungsdosis des mRNA-COVID-19-Impfstoffs für Menschen ab 60 Jahren sowie für jene mit Vorerkrankungen. Das teilten beide Behörden in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.
Zuvor war ein 2. Booster bereits ab 80 Jahren empfohlen. Die Booster könnten mindestens 4 Monate nach der ersten Auffrischung erfolgen, wobei der Schwerpunkt auf Personen liegen sollte, deren letzte Auffrischung mehr als 6 Monate zurückliegt. Die derzeit zugelassenen Impfstoffe seien nach wie vor hochwirksam bei der Reduzierung von Klinikeinweisungen, schweren Erkrankungen und Todesfällen, hieß es.
Angesichts der aktuellen epidemiologischen Situation und der Prognosen sei es jedoch wichtig, die derzeit verfügbaren Impfstoffe jetzt einzusetzen und nicht zu warten, bis auf die Omikron-Variante angepasste Vakzine verfügbar sind.
Wenn die angepassten Impfstoffe eine erhöhte Neutralisierung gegen die Omikron-Varianten zeigten, was auf einen möglichen höheren Schutz vor Infektion und Übertragung hindeutet, sollte für die Einführung im Herbst/Winter auch die Impfung von Beschäftigten im Gesundheitswesen und in Langzeitpflegeeinrichtungen in Betracht gezogen werden.
Eine mögliche Zulassung für derlei Impfstoffe ist für den europäischen Raum für September geplant. Die Impfstoffhersteller Moderna sowie Pfizer/Biontech haben bereits Daten für ihre modifizierten mRNA-Vakzine vorgelegt, die aber weitgehend auf der BA.1-Variante beruhen. Umfassende klinische Untersuchungen zu BA.4/5-Impfstoffen gibt es bislang nicht.
Mehr akute Atemwegsinfektionen in Deutschland
Das RKI berichtet noch von einer weiteren Besonderheit in der aktuellen Situation: Laut Datenauswertung haben Patienten in Woche 26/2022 ca. 1,2 Millionen Arztkonsultationen wegen akuter Atemwegserkrankungen (ARE) in Anspruch genommen. Rund 4,5 Millionen Patienten leiden derzeit an ARE.
„Diese Werte liegen deutlich über den Werten im Sommer vorpandemischer Jahre, und deuten auf ein stärkeres Infektionsgeschehen durch akute Atemwegsinfektionen hin“, schreibt das RKI. Bei Erwachsenen handele es sich hauptsächlich um SARS-CoV-2-Infektionen, während bei Kindern meist Parainfluenza-und Rhinoviren nachgewiesen würden.
Immer noch viele Menschen mit Impflücke – Hausärzte fordern neue Kampagne
Gleichzeitig warnt das RKI vor Impflücken in der Bevölkerung. Offiziellen Zahlen zufolge sind mindestens 63,4 Millionen Personen (76,2% der Bevölkerung) grundimmunisiert. Mindestens 1 Auffrischungsimpfung wurde 51,3 Millionen Menschen (61,7%) verabreicht, und 6,0 Millionen (7,2%) erhielten bereits ihren 2. Booster Shot.
Unter dem Strich sind 18,4 Millionen Menschen (22,2 %) nicht geimpft. Für 4,0 Millionen im Alter von 0 bis 4 Jahren (4,8%) gibt es bislang kein Vakzin. Das RKI empfiehlt allen Menschen derzeit 3 und Risikopatienten 4 Impfungen.
Man dürfe nicht vergessen, dass „die wichtigste und wirkungsvollste Maßnahme die Impfung ist und bleibt“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt. Er fordert eine neue Impfkampagne: „nicht nur für die 4. Impfung, sondern auch um die Impflücken ... zu schließen“.
„Es gab in Deutschland in der Vergangenheit sehr erfolgreiche Gesundheitskampagnen, beispielsweise zur Impfung gegen Kinderlähmung oder auch die AIDS-Aufklärungskampagne“, so Weigeldt. „Etwas vergleichbares vermisse ich bei Corona bisher.“
USA: Paxlovid® ohne ärztliche Verordnung in Apotheken erhältlich
Die US Food and Drug Administration (FDA) hat ihre Notfallzulassung für Paxlovid® überarbeitet. Künftig dürfen Apotheker Paxlovid® (Nirmatrelvir und Ritonavir) ohne ärztliche Verordnung abgeben, falls bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
„Da Paxlovid® innerhalb von 5 Tagen nach Auftreten der Symptome eingenommen werden muss, könnte die Erlaubnis für staatlich zugelassene Apotheker, Paxlovid® zu verschreiben, den Zugang zu einer rechtzeitigen Behandlung für einige Patienten erweitern, die für dieses Medikament zur Behandlung von COVID-19 in Frage kommen“, sagt Dr. Patrizia Cavazzoni, Direktorin des Center for Drug Evaluation and Research der FDA.
Apotheker benötigen dazu folgende Informationen:
elektronische oder gedruckte Gesundheitsakten, die nicht älter als 12 Monate sind, einschließlich neuerer Blutwerte, um Nieren- oder Leberprobleme auszuschließen;
eine Liste aller Medikamente, die der Patient einnimmt, einschließlich rezeptfreier Medikamente, um potenziell schwerwiegende Wechselwirkungen mit Paxlovid® zu vermeiden.
Fehlen solche Angaben oder haben Apotheker Zweifel an der Abgabe des Medikaments, sollten sie Patienten zur Beurteilung an Ärzte oder sonstige medizinische Fachkräfte verweisen.
Kritik kommt von Dr. Jack Resneck, Präsident der American Medical Association. Er sagt: „Um die bestmögliche Versorgung von COVID-19-Patienten zu gewährleisten, fordern wir Menschen mit positivem Testergebnis dringend auf, Behandlungsoptionen mit ihrem Arzt zu besprechen.“
Deutschland: Lauterbach setzt auf Paxlovid®
Auch Prof. Dr. Karl Lauterbach setzt auf Paxlovid®. Der Bundesgesundheitsminister hatte kritisiert, Ärzte würden das Präparat zu selten verordnen. Mittlerweile greift eine Allgemeinverfügung, um die Versorgung zu verbessern: Apotheken dürfen das Präparat ohne Einschränkung bevorraten. Zuvor waren es 2 Packungen für öffentliche Apotheken und 5 für Krankenhausapotheken. Es bleibt – wie gehabt – bei der Abgabe auf ärztliches Rezept. Die Allgemeinverfügung gilt bis 25. November 2022.
Viertimpfung: Bewohner von Pflegeheimen scheinen davon zu profitieren
Bewohner von Altenheimen sind besonders gefährdet, nach SARS-CoV-2-Infektionen schwer an COVID-19 zu erkranken. Doch profitieren sie von einer Viertimpfung im Vergleich zur Drittimpfung? Neue Daten zu dieser Frage haben kanadische Forscher jetzt im BMJ veröffentlicht.
Erfasst wurden 61.344 Bewohner im Alter von mindestens 60 Jahren aus 626 Langzeitpflegeeinrichtungen in Ontario. Die Studie lief vom 30. Dezember 2021 bis 27. April 2022.
Den Forschern lagen Daten zu 13.654 Bewohner mit SARS-CoV-2-Infektion (Omikron) und zu 205.862 testnegativen Kontrollen vor. 95% der Geimpften hatten ein mRNA-Vakzin erhalten.
Als Verbesserung der Wirksamkeit einer 4. Dosis 7 oder mehr Tage nach der Impfung im Vergleich zu einer 3. Dosis, die 84 oder mehr Tage zuvor verabreicht worden war, geben die Autoren an:
Personen mit 4 Impfungen erlebten – verglichen mit Personen, die nur 3 Impfungen hatten
19% weniger Infektionen (95%-Konfidenzintervall 12% bis 26%),
31% weniger symptomatische Infektionen (95%-KI 20% bis 41%),
40% weniger häufig einen schweren Verlauf, etwa Hospitalisierung oder Tod (95%-KI 24% bis 52%).
Die Wirksamkeit des Impfstoffs bei Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften nahm mit jeder weiteren Dosis zu. Sie betrug bei der 4. Dosis:
49% (95%-KI 43% bis 54%) gegen Infektionen,
69% (95%-KI: 61% bis 76%) gegen symptomatische Infektionen und
86% (95%-KI: 81% bis 90%) gegen schwere Folgen.
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Vergleich zu einer 3. Dosis des mRNA-Covid-19-Impfstoffs eine 4. Dosis den Schutz vor Infektionen, symptomatischen Infektionen und schwerwiegenden Folgen bei Bewohnern von Langzeitpflegeeinrichtungen während einer Omikron-dominanten Periode verbesserte“, so das Fazit der Wissenschaftler.
Sabizabulin: Onkologischer Wirkstoff als Game Changer bei COVID-19?
Das US-amerikanische Pharmaunternehmen Veru Inc. untersucht Sabizabulin (VERU-111) als Therapie für Hochrisikopatienten mit COVID-19. Das Molekül wirkt als Mitosehemmer; es wurde ursprünglich zur Behandlung von Prostatakarzinomen entwickelt. Sabizabulin wird oral verabreicht. In NEJM Evidence hat der Hersteller jetzt erste Resultate veröffentlicht.
Daten kommen aus einer randomisierten, multizentrischen, placebokontrollierten klinischen Phase-3-Studie mit hospitalisierten Patienten, die an mittelschwerem bis schwerem COVID-19 erkrankt waren. Bei ihnen bestand ein hohes Risiko für das akute Atemnotsyndrom (ARDS) oder Tod.
Die Patienten erhielten nach dem Zufallsprinzip (2:1) 9 mg orales Sabizabulin oder Placebo täglich (bis zu 21 Tage). Der primäre Endpunkt war die Gesamtmortalität bis zum Tag 60. Die wichtigsten sekundären Endpunkte waren die Tage auf der Intensivstation, die Tage mit mechanischer Beatmung und die Tage im Krankenhaus.
Insgesamt wurden 204 Patienten aufgenommen. 134 erhielten Sabizabulin und 70 ein Placebo. Die Veröffentlichung bezieht sich auf eine geplanten Zwischenanalyse für die ersten 150 randomisierten Patienten.
Sabizabulin führte zu einer absoluten Verringerung der Mortalität um 24,9 Prozentpunkte und einer relativen Verringerung um 55,2% im Vergleich zu Placebo (Odds Ratio 3,23; 95%-KI 1,45 bis 7,22; p=0,0042). Die Mortalitätsrate betrug 20,2% (19 von 94 Patienten) für Sabizabulin gegenüber 45,1% (23 von 51) für Placebo.
Die Behandlung mit Sabizabulin führte im Vergleich zu Placebo zu einer relativen Verringerung der Tage auf der Intensivstation um 43% (p=0,0013), zu einer relativen Verringerung der Tage mit mechanischer Beatmung um 49% (p=0,0013) und zu einer relativen Verringerung der Tage im Krankenhaus um 26% (p=0,0277).
Unerwünschte und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse waren in der Sabizabulin-Gruppe seltener als in der Placebo-Gruppe.
Laut Pressemeldung hat Veru am 7. Juni 2022 einen Antrag auf Notfallzulassung bei der FDA eingereicht. „Das Unternehmen führt Gespräche mit Regierungsbehörden, um den Kauf und die Erstattung von Sabizabulin in den USA und anderen Ländern auf der ganzen Welt zu besprechen“, heißt es weiter.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA empfiehlt 2. Booster ab 60 jetzt sofort; Krebspille Sabizabulin als Game Changer bei COVID-19?; Pflegeheim-Daten für 4. Impfung - Medscape - 11. Jul 2022.
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