Mehr ist nicht besser: Neue Analyse rückt Rivaroxaban-Monotherapie gegenüber Kombi in noch günstigeres Licht bei Vorhofflimmern

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

7. Juli 2022

Weniger ist mehr – nämlich in der antithrombotischen Therapie bei Patienten, die gleichzeitig an Vorhofflimmern und koronarer Herzkrankheit (KHK) leiden. Das hat schon die erste Auswertung der AFIRE-Studie gezeigt. Eine Post-hoc-Analyse kehrt nun den Nutzen des Minimalismus noch deutlicher hervor: Denn im Vergleich zum Doppelpack aus oralem Antikoagulans und Plättchenhemmer kommt es mit Rivaroxaban allein nicht nur seltener zu ersten Ereignissen, sondern damit treten auch anschließend weniger Thrombosen, Blutungen und Todesfälle auf. 

Beim chronischen Koronarsyndrom hat Acetylsalicylsäure (ASS) eine gesicherte Indikation zur Vorbeugung thrombotischer Ereignisse. Dasselbe gilt für direkte orale Antikoagulanzien (DOAK), um Patienten mit Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz vor Schlaganfällen zu schützen.

Doch welche antithrombotische Therapie eignet sich langfristig für Patienten, die sowohl an Vorhofflimmern als auch an KHK erkrankt sind? Das wollten Dr. Ryo Naito von der Juntendo Universität Tokio und seine Kollegen in einer Post-hoc-Sekundäranalyse überprüfen. Deren „Mutter“ trägt das Kürzel „AFIRE“ für Atrial Fibrillation and Ischemic Events With Rivaroxaban in Patients With Stable Coronary Artery Disease. 

AFIRE wurde gestoppt – Nachteile der Kombi zu groß

Schon aus der primären Analyse ging klar hervor, dass die Rivaroxaban-Monotherapie einer Kombination aus Rivaroxaban plus Thrombozytenaggregationshemmer überlegen ist, vor allem schwere Blutungen und Todesfälle passieren so auffällig seltener, dass die Studie schließlich abgebrochen wurde.

Die Besonderheit der jetzigen Post-hoc-Analyse: Anstatt wie herkömmlich nur die ersten Ereignisse zu ermitteln, Rezidive also nicht zu berücksichtigen, registrierte das Team um Naito sämtliche Vorkommnisse über median 2 Jahre hinweg.

Zu ihrer Motivation erläutern die Autoren: „Die Analyse von ersten und wiederholten Ereignissen spiegelt die wirkliche Krankheitslast von KHK-Patienten mit Vorhofflimmern wider. Unser Ansatz repräsentiert möglicherweise die klinische Praxis besser, da im Verlauf einer antithrombotischen Behandlung immer wieder mit Komplikationen zu rechnen ist.“ Tatsächlich fördere die US Food and Drug Administration solche Studien, indem sie auch die Zahl der Rezidive im Zeitverlauf als primäres Ergebnis akzeptiert.

PCI sollte mindestens ein Jahr zurückliegen

Die AFIRE-Teilnehmer waren an Vorhofflimmern und stabiler KHK erkrankt, teils ohne, teils mit Revaskularisierung wie perkutane Koronarintervention (PCI) oder Bypass-Operation. Der Eingriff sollte länger als ein Jahr zurückliegen und der CHADS2-Score mindestens 1 betragen. Das heißt, auf die Patienten traf mindestens eines der folgenden Kriterien zu: Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Alter über 75 Jahre, Diabetes, Schlaganfall oder vorübergehende ischämische Attacke in der Vorgeschichte.

Ausgewertet wurden die Daten von 2.215 Personen, zu fast 80% Männer. Sie waren im Mittel 74 Jahre alt und stammten aus rund 300 Kliniken. Nach dem Zufallsprinzip in 2 gleich große Gruppen eingeteilt, erhielten sie entweder ausschließlich Rivaroxaban (täglich 10 mg bei einer Kreatinin-Clearance bis 50 mL/min, 15 mg bei besserer Nierenfunktion) oder Rivaroxaban plus entweder ASS oder ein P2Y12-Antagonist wie Clopidogrel oder Ticagrelor.

Der Solist braucht keinen Partner, im Gegenteil

Die Gesamtzahl der Ereignisse im Verlauf der 24 Monate betrug 348 – zu 4 Fünftel erste, zu einem Fünftel zweite Ereignisse. Die Liste umfasste einerseits hämorrhagische Schlaganfälle oder sonstige schwere Blutungen und andererseits thrombotische Ereignisse, also ischämischer Schlaganfall, systemische Embolie, Myokardinfarkt, instabile Angina mit Revaskularisierung oder Tod jeglicher Ursache.

Die Monotherapie erwies sich in jeder Hinsicht als überlegen. Damit kam es bei 12% der Patienten zu Ereignissen jedweder Art, mit der Kombination bei 19%. 

So traten mit Rivaroxaban als Solo-Medikament nicht nur (um 31%) seltener erste Ereignisse auf, sondern auch (um 54%) weniger zweite. Kommentar der Autoren: „Unsere Analyse erweitert die Erkenntnisse der AFIRE-Studie, weil sie mit Rivaroxaban allein eine Verringerung nicht nur der ersten Ereignisse, sondern auch der Gesamtereignisse feststellt.“ Die frühere Auswertung habe den Nutzen der Monotherapie wahrscheinlich noch unterschätzt.

 
Unsere Analyse erweitert die Erkenntnisse der AFIRE-Studie, weil sie mit Rivaroxaban allein eine Verringerung nicht nur der ersten Ereignisse, sondern auch der Gesamtereignisse feststellt. Dr. Ryo Naito und Kollegen
 

Rezidive sind besonders gefährlich

Die niedrigere Rate von Folgeereignissen bedeutet deshalb einen bemerkenswerten Pluspunkt für die Monotherapie, weil sie fast doppelt so häufig (49% zu 28%) tödlich endeten wie die ersten.

Punkten kann die Monotherapie zudem deshalb, weil im Vergleich zur Kombination speziell Blutungen seltener vorkamen (3% zu 6% der Erstereignisse). Denn diese haben schwerwiegendere Folgen als thrombotische Komplikationen: Wenn Patienten Blutungen erlitten, starben zum Beispiel in der Monotherapie-Gruppe drei Viertel von ihnen daran, bei Thrombosen jedoch „nur“ ein Viertel. Ein ähnliches Bild zeigte sich in der Kombi-Gruppe. 

„Die Reduzierung von Blutungen ist ein Schlüsselfaktor für eine bessere Prognose bei Patienten mit Vorhofflimmern und stabiler kardiovaskulärer Störung“, schreiben die Autoren.  

 
Die Reduzierung von Blutungen ist ein Schlüsselfaktor für eine bessere Prognose bei Patienten mit Vorhofflimmern und stabiler kardiovaskulärer Störung. Dr. Ryo Naito und Kollegen
 

So ist es einleuchtend, dass die Sterblichkeit insgesamt mit Monotherapie ebenfalls geringer war als mit der Kombi, und zwar mit 3,7% zu 6,6%.

Japanische Menschen sind anfälliger für Blutungen

Einschränkend verweisen Naito und Kollegen darauf, dass die Studienteilnehmer nicht die weltweit zugelassene Rivaroxaban-Dosis von 20 mg täglich erhielten, sondern lediglich die in Japan zugelassenen 10 mg oder 15 mg. Allerdings habe sich gezeigt, dass die verschiedenen Dosierungen trotzdem zu ähnlichen Blutspiegeln führen.

Dr. Ying X. Gue von der Universität Liverpool und seine Kollegen machen in ihrem Editorial noch auf einen weiteren regionalen Aspekt aufmerksam [2]. Patienten aus dem ostasiatischen Raum haben sowohl mit oralen Antikoagulanzien als auch mit Plättchenhemmern ein höheres Blutungsrisiko als westliche Menschen. Daher seien die Ergebnisse eventuell nur mit gewissen Abstrichen übertragbar.

Krankheit und Therapie verlaufen dynamisch

Darüber hinaus könnte eine Ausnahme vom Weniger-ist-mehr-Prinzip bei sehr hohem Thromboserisiko vorliegen, d.h. nach Stentthrombose, bei schwerer diffuser KHK oder ausgedehntem Koronarstenting.

Da das Ausmaß der Risiken ständig schwankt, raten Gue und Kollegen zur regelmäßigen Neubewertung klinischer und biologischer Marker, gefolgt von Anpassungen der Therapie. Zur Vorhersage von Blutungen gebe es Risikoscores, vor allem den PRECISE-DAPT-Score oder den Score „Academic Research Consortium for High Bleeding Risk“ (ARC-HBR). Allerdings seien sie noch nicht für Patienten mit Vorhofflimmern und KHK validiert, was dringend nachgeholt werden sollte.

Was Fachgesellschaften empfehlen

Naito und Kollegen zitieren eine Aktualisierung der Nordamerikanischen Perspektive 2021 zur antithrombotischen Therapie bei Patienten mit Vorhofflimmern, die sich einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterziehen:

1. Die Thrombozytenaggregationshemmung sollte in der Regel 1 Jahr nach der PCI abgesetzt werden.

2. Ein früheres Absetzen (z.B. nach 6 Monaten) kann bei geringem Ischämie- oder hohem Blutungsrisiko in Betracht gezogen werden.

3. Die Thrombozytenaggregationshemmung sollte nur bei ausgewählten Patienten mit hohem Risiko für ischämische Rezidive und geringer Blutungsgefahr über 1 Jahr hinaus fortgeführt werden.

Ähnlich empfiehlt eine Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie eine duale Therapie mit oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern für die ersten 12 Monate nach PCI bei akutem Koronarsyndrom oder 6 Monate nach der PCI bei chronischem Koronarsyndrom.

 

Kommentar

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