Apotheker erhalten Geld für pharmazeutische Dienstleistungen: „Fundamentaler Angriff auf hausärztliche Versorgung“

Presseagentur Gesundheit (pag)

Interessenkonflikte

6. Juli 2022

Erst dürfen Apotheker impfen und jetzt auch noch Patienten beraten. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen bringen die niedergelassenen Ärzte auf die Palme. Künftig dürfen Apotheker auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Patienten in 5 Bereichen der Arzneimitteltherapie betreuen. Es gibt kaum einen Verband oder Funktionär aus der Ärzteschaft, der diese Maßnahmen nicht kritisiert.

Für folgende Dienstleistungen bekommen die Apotheker künftig GKV-Geld: 

  • Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation ab 5 Arzneimitteln (90 Euro netto)

  • pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten und bei oraler Antitumortherapie (jeweils 90 Euro, plus 17,55 Euro für Folgeberatung),

  • Risikoerfassung bei hohem Blutdruck (11,20 Euro)

  • Einweisung in die Arzneimittelanwendung

  • Üben der Inhalationstechnik (20 Euro). 

Die ersten 3 Dienstleistungen dürfen nur Apotheker mit Fortbildung anbieten, die übrigen auch pharmazeutisches Personal. 

Die neuen Dienstleistungen gehen auf das 2020 verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken zurück. Danach lagen sich Apotheker und der GKV-Spitzenverband in den Haaren, weil man sich zunächst nicht auf die Leistungen und die Vergütung einigen konnte. Deswegen war ein Schiedsverfahren unter der Leitung des ehemaligen unabhängigen Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses, Dr. Rainer Hess, notwendig, dessen Ergebnis nun veröffentlicht worden ist. 

„Fundamentaler Angriff auf hausärztliche Versorgung“

„Jetzt gibt es ein gutes Leistungsportfolio, das die Apotheken auch im Interesse der Patienten umsetzen können, ohne dass es dazu einer ärztlichen Verordnung bedarf“, betont Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands. 

Der Deutsche Hausärzteverband ist alles andere als begeistert: Die Versorgung werde weiter zerstückelt, hausärztliche Aufgaben würden ausgelagert. „Was gar nicht geht ist, wenn Apothekerinnen und Apotheker durch Änderung der Dosierungen in die Therapie eingreifen“, kritisiert Verbandschef Ulrich Weigeldt

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), spricht gar von einem „fundamentalen Angriff auf die hausärztliche Versorgung“. „Nur die Ärztinnen und Ärzte weisen eine qualifizierte Heilkundeerlaubnis auf, die unter anderem die Anamnese, Untersuchung, Diagnostik und Differenzialdiagnosen sowie Pharmakotherapie umfasst. Die Apotheker haben dieses Wissen nun einmal nicht“. 

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, sieht sich zu einer Stellungnahme veranlasst. „Patienten sind keine Kunden und Apotheken keine Arztpraxen-to-go. Die Beratung in der Apotheke kann die ärztliche Diagnose und Therapieempfehlung nicht ersetzen, auch nicht ansatzweise“, kritisiert er.

 
Patienten sind keine Kunden und Apotheken keine Arztpraxen-to-go. Dr. Klaus Reinhardt  
 

Faktor Geld

Der Aufschrei der Ärzteschaft war so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch geht es  hier wirklich um die Aushöhlung ureigener ärztlicher Tätigkeiten und einen Angriff auf die medizinische Versorgung? Mindestens genauso dürfte den Behandlern auch der monetäre Aspekt wurmen. 

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen fordert nun, dass Ärzte bei der Erbringung der gleichen Leistungen mindestens genauso hoch honoriert werden wie die Apotheker. Das ist ganz im Sinne Weigeldts: „Alles andere würde wirklich kein Mensch mehr verstehen. Hier braucht es dann im Zweifel eine Anpassung der Bewertungen.“ 

Und Reinhardt merkt an, dass Ärzte für Beratungsleistungen „nicht einmal ansatzweise so viel“ erhalten, wie nun Apotheker pro Beratungsgespräch bekommen sollen. „Dieses Missverhältnis muss bei den kommenden Honorarverhandlungen ausgeglichen werden.“ Dr. Susanne Johna, Chefin des Marburger Bunds, fragt sich auf Twitter: „Gibt es für die Medikationsberatung in den Apotheken eigentlich auch einen Budgetdeckel – oder bleibt dieses ,Privileg‘ uns Ärztinnen und Ärzten?“

AOK gibt Ärzten Korb

In der Tat kann man sich angesichts der prekären Finanzlage der GKV fragen, ob für die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen denn wirklich Geld da ist. Der AOK-Bundesverband äußert dann auch Verständnis für die wütenden Behandler. „Die Honorare, zum Beispiel für eine simple Leistung wie die Blutdruckmessung, sind viel zu hoch angesetzt. Das steht in keinem Verhältnis zu den Vergütungen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für die entsprechenden Leistungen“, meint seine Chefin Dr. Carola Reimann

Das war es dann aber auch mit dem Verständnis. Dass Ärzte nun mehr Geld bekommen sollen, lehnt sie ab. „Angesichts der dramatischen Finanzlage der GKV gibt es aktuell keinen Spielraum für finanzielle Wohltaten, weder in Richtung der Apotheken noch in Richtung der Arztpraxen.“

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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