Es gibt immer mehr Argumente für den vorrangigen Einsatz eines SGLT2-Hemmers (eines Natrium-Glukose-Transporter-2-Hemmers) in der Therapie des Typ-2-Diabetes. Daten aus randomisierten Studien, welche diese Wirkstoffklasse als tragende Säule der Therapie etabliert haben, werden jetzt durch Real-World-Evidenz zu Nutzen und Sicherheit ergänzt.
Ein weiterer wichtiger Effekt dieser Substanzen, die sich zunehmender Verbreitung erfreuen, besteht darin, dass sie nicht nur bei Typ-2-Diabetikern zur Vorbeugung einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz beitragen und den Fortgang der diabetischen Nephropathie bremsen, sondern auch dass sie die Inzidenz eines neu auftretenden Vorhofflimmerns senken. Dieser Effekt sei nach Analyse von aktuellen Medicare-Daten zu 300.000 US-Patienten nachgewiesen worden, sagte Dr. Elisabetta Patorno anlässlich des 82. Jahreskongresses der American Diabetes Association (ADA).

Dr. Elisabetta Patorno
Doch trotz dieses Wissensstandes zeigt sich, dass SGLT2-Hemmer in den USA auch in der Praxis bei Typ-2-Diabetikern nur in begrenztem Umfang verordnet werden. Bei über 1,3 Millionen Patienten mit Typ-2-Diabetes, die zwischen 2019 und 2022 über das Veterans Affairs Healthcare System behandelt wurden, haben lediglich 10% aller dafür infrage kommenden Patienten einen solchen Wirkstoff erhalten. Das ist das Ergebnis eines auf dem Kongress veröffentlichten Berichts.
Zur Analyse des Vorhofflimmerns wurden 2 Gruppen von mindestens 65-jährigen Medicare-Patienten mit Typ-2-Diabetes und ohne anamnestisch bekanntes Vorhofflimmern zwischen 2013 und 2018 mittels Propensity Score Matching betrachtet. Eine Analysearm konzentrierte sich auf 80.475 gematchte Patienten, die eine Behandlung mit einem SGLT2-Hemmer oder einem GLP-1-Agonisten begannen, und eine zweite auf 74.868 gematchte Patienten, die entweder mit einem SGTL2-Hemmer oder einem Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer (DPP4) anfingen. In beiden Analysen umfasste das Matching mehr als 130 Variablen. In beiden Armen waren die Patienten zu Studienbeginn im Mittel etwa 72 Jahre alt, fast 2 Drittel waren Frauen, etwa 8% bis 9% hatten eine Herzinsuffizienz, 77% bis 80% erhielten Metformin und 20% bis 25% Insulin.
Der primäre Endpunkt der Studie waren stationäre Klinikaufenthalte aufgrund eines Vorhofflimmerns. Dies betraf Patienten, die mit einem SGLT2-Hemmer begonnen hatten, signifikante 18% seltener als wenn mit einem DPP4-Hemmer begonnen wurde. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 6,7 Monate. Dies entspricht 3,7 Klinikaufenthalten wegen Vorhofflimmerns weniger pro 1.000 Patientenjahre Nachbeobachtungszeit im Vergleich zu Beginn mit DPP4-Hemmern und 1,8 Klinikaufenthalte weniger im Vergleich zum Beginn mit GLP-1-Agonisten.
2 sekundäre Outcomes zeigten, dass es unter SGLT2-Hemmern gegenüber den Vergleichsgruppen zu signifikant weniger Episoden eines neu diagnostizierten Vorhofflimmerns kam und signifikant weniger Patienten eine neue Therapie wegen eines Vorhofflimmerns beginnen mussten. Diese Zusammenhänge waren auch in Untergruppenanalysen, bei denen die Patienten nach Alter, Geschlecht, Grad der Herzinsuffizienz und atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterteilt wurden, konsistent.
Prophylaxe gegen Vorhofflimmern als weiterer Benefit
„Nach diesen Ergebnissen könnte die Einführung eines SGLT2-Hemmers bei älteren Typ-2-Diabetikern mit einem erhöhten Risiko für ein Vorhofflimmern vorteilhaft sein“, sagte Patorno, Pharmakoepidemiologin und Pharmakoökonomin am Brigham and Women's Hospital in Boston. „Diese neuen Befunde zum Vorhofflimmern können dabei helfen, die potenziellen Risiken und Vorteile verschiedener Antidiabetika bei älteren Typ-2-Diabetikern abzuwägen.“
Diese neuen Erkenntnisse ergänzen mehrere frühere Berichte von anderen Forschenden, die einen Nutzen von SGLT2-Hemmern bei Vorhofflimmern aufgezeigt haben. Darunter waren eine Post-hoc-Analyse von mehr als 17.000 Patienten aus der kardiovaskulären DECLARE-TIMI-58-Studie mit Dapagliflozin (Farxiga), bei denen während eines Nachbeobachtungszeitraums von im Mittel 4,2 Jahren ein relativer Rückgang bei der Häufigkeit des Vorhofflimmerns oder -flatterns um 19% registriert wurde.
Unter anderem wurde in einer Metaanalyse aus dem Jahr 2020 ein Rückgang bei der Inzidenz des Vorhofflimmerns unter einer Behandlung mit SGLT2-Hemmern festgestellt. Darin wurden die Daten von über 38.000 Typ-2-Diabetikern ausgewertet, die insgesamt an 16 randomisierten, kontrollierten Studien teilgenommen hatten. Und ein bislang unveröffentlichter Bericht von Forschenden der University of Rochester in New York, der im November 2021 auf dem Jahreskongress der American Heart Association vorgestellt worden war, belegte eine signifikante relative Risikoreduktion für ein Vorhofflimmern im Zusammenhang mit einer SGLT2-Hemmer-Therapie um 24%. Die Ergebnisse stammten aus einer prospektiven Studie mit 13.890 Patienten in mehreren Krankenhäusern in Israel und den USA.
Insgesamt überzeugende Evidenzen
Die gesammelten Evidenzen für selteneres Vorhofflimmern unter einer Behandlung mit SGLT2-Hemmern sind für Dr. Silvio E. Inzucchi „überzeugend, da es sich um Real-World-Daten handelt, welche sich zu dem fügen, was wir aus klinischen Studien wissen“. Inzucchi ist Professor an der Yale University und Direktor des Yale Medicine Diabetes Center in New Haven und war nicht an der Studie beteiligt.
„Wenn diese Wirkstoffe die Herzinsuffizienz reduzieren, können sie auch das Vorhofflimmern verringern. Herzinsuffizienz-Patienten rutschen leicht in ein Vorhofflimmern“, bemerkte er in einem Interview. Er fügte jedoch hinzu, dass dies nicht alle Fälle erklärt, in denen ein Vorhofflimmern seltener auftritt.

Dr. Silvio E. Inzucchi
Patorno brachte weitere mögliche Mechanismen für die beobachtete Wirkung ins Spiel. Die Wirkstoffe dieser Klasse könnten den Blutdruck, das Gewicht, Entzündungen und oxidativen Stress, mitochondriale Dysfunktionen, Vorhofumbau (Remodeling) und die Anfälligkeit für ein Vorhofflimmern verringern. Es ist auch bekannt, dass diese Wirkstoffe die Natriurese und Diurese befördern, was die Vorhofdilatation senkt. Über diesen Mechanismus könnte wiederum die Wirkung gegen ein Vorhofflimmern mit dem besser dokumentierten Rückgang von Exazerbationen einer der akuten Herzinsuffizienz in Verbindung stehen.
„Der harntreibende Effekt würde die Belastung des Vorhofs reduzieren und zu einer geringeren Dilatation führen. Über den gleichen Mechanismus würde die Herzinsuffizienz verringert“, sagte sie in einem Interview.
„Wenn man die Vor- und Nachlast senkt, lassen sich die Belastung der Herzkammer und die Dehnung des Vorhofs verringern, und das könnte einen erheblichen Einfluss auf eine Vorhofarrhythmie haben“, stimmte Inzucchi zu.
Mehr Real-World-Evidenzen durch EMPRISE
2 weitere Berichte unter Mitwirkung von Patorno, die während des Kongresses vorgestellt wurden, lieferten Real-World-Evidenzen für einen klaren Benefit durch den SGLT2-Hemmer Empagliflozin (Jardiance) bei einem Typ-2-Diabetes mit Herzinsuffizienz im Vergleich zu anderen Arzneimittelklassen. Für die EMPRISE-Studie wurden die US-Datenbanken von Medicare, Optum Clinformatics und MarketScan zwischen August 2014, als Empagliflozin verfügbar wurde, bis September 2019 genutzt. Die Studie setzte über 140 Variablen ein, um Patienten miteinander zu vergleichen, die entweder mit Empagliflozin oder mit einem Vergleichspräparat behandelt wurden.
In einer Analyse an über 130.000 gematchten Paaren gingen die insuffizienzbedingten Klinikaufenthalte unter Empagliflozin um signifikante 30% gegenüber einer Therapie mit einem GLP-1-Agonisten zurück. Beim Vergleich mit einem DPP4-Inhibitor an über 116.000 gematchten Patientenpaaren sank dieser Endpunkt um 29% bis 50%.
Diese Ergebnisse „lehren uns noch mehr Dinge“ über die Wirksamkeit der SGLT2-Hemmer, sagte Patorno in einem Interview. „Wir wollten das gesamte Spektrum der Typ-2-Diabetiker abdecken, dem wir in der Praxis begegnen“, und nicht nur die ausgewählten Patientengruppen, die an randomisierten Studien teilnehmen würde.
Zögern bei SGLT2-Hemmern unabhängig von Kosten
Trotz aller gesammelten Evidenzen zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Substanzklasse wird sie nach wie vor wenig eingesetzt. Das beschreibt Dr. Julio A. Lamprea-Montealegre, Kardiologe an der University of California in San Francisco, in einem separaten Vortrag auf dem Kongress. In der von ihm vorgestellten Studie wurden die Aufzeichnungen von 1.319.500 Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes untersucht, die in den Jahren 2019 und 2020 über das VA Healthcare System behandelt wurden. Trotz der Tatsache, dass sie sich in einem System befinden, das „den Kosteneinfluss eliminiert“, erhielten nur 10% dieser Patienten eine Behandlung mit einem SGLT2-Hemmer und nur 7% einen GLP-1-Agonisten.
Seine Analyse zeigte außerdem, dass die Behandlung mit einem SGLT2-Hemmer vor allem bei Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 30 bis 44 ml/min pro 1,73 m2 unterdurchschnittlich war. In dieser Untergruppe wurden Medikamente dieser Substanzklasse deutlich seltener verordnet (2/3) als bei Patienten mit einer eGFR von mindestens 90 ml/min pro 1,73 m2. Seine Ergebnisse dokumentierten auch den eher seltenen Einsatz bei Patienten mit einem höheren Risiko für atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Erkrankungen. Lamprea-Montealegre bezeichnete dies als „Behandlungsparadoxon“, bei dem Patienten, die wahrscheinlich den größten Nutzen aus einem SGLT2-Hemmer ziehen würden, diesen auch seltener erhalten.
Während seine Ergebnisse aus dem VA-System darauf hindeuten, dass die Arzneimittelkosten nicht der einzige Faktor für diese Unterversorgung sind, wird der hohe Preis für die SGLT2-Hemmer, die derzeit alle noch unter US-Patent stehen, allgemein als wichtiger Faktor angesehen. So sagt Patorno: „Es gibt ein großes Problem bei der Bezahlbarkeit.“
„SGLT2-Hemmer sollten wohl bei vielen Patienten mit Typ-2-Diabetes die Mittel der ersten Wahl sein“, meint Inzucchi und hofft, dass sich diese Situation deutlich ändern wird, sobald die Wirkstoffe dieser Klasse als Generika erhältlich sind und mit einem wesentlich niedrigeren Preis aufwarten können.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: SGLT2-Hemmer: Real-World-Daten bestätigen Schutz vor Vorhofflimmern - aber die Wirkstoffe werden noch zu selten verordnet - Medscape - 5. Jul 2022.
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