So viel kosteten die Pandemie-Maßnahmen; Fernübertragung des Virus möglich; Paxlovid®-Skepsis; Masken, aber kein Lockdown mehr

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

4. Juli 2022

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 4. Juli 2022

Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, 650,7 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 1. Juli lag der Wert bei 682,7. Ein Meldeverzug am Wochenende ist jedoch recht wahrscheinlich; seit Juni steigt die Inzident kontinuierlich an.

  • Expertengutachten nicht „das letzte Wort“: Was plant die Regierung?

  • Kassensturz der Bundesregierung: 53 Milliarden Euro für die Pandemie

  • Länder fordern baldige Anpassung des Infektionsschutzgesetzes

  • Ärzte in Deutschland verordnen Paxlovid® zu selten

  • Übertragung von SARS-CoV-2 auch über längere Distanzen hinweg möglich

  • Chronisch-entzündliche Erkrankungen: Methotrexat vor Booster Shots besser absetzen

Expertengutachten nicht „das letzte Wort“: Was plant die Regierung?

Aufgrund fehlender Daten konnte, wie Medscape berichtet hat, der Expertenrat der Bundesregierung viele Pandemie-Maßnahmen nicht bewerten. Prof. Dr. Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn argumentierte jedoch mit „biologischer und physikalischer Plausibilität“. Mehr bleibt Politikern auch nicht, um weiter zu planen. Die Zeit drängt.

Man habe bislang „nicht die perfekten Daten gehabt“, bestätigt Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD). Das Gutachten sei jedoch „keine Bibel, aus der zu zitieren ist“ und auch nicht „das letzte Wort“.

„Wir werden vermutlich noch im Laufe dieses Monats ein Konzept vorlegen. Da wird die Maske sicher eine Rolle spielen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Seine Strategie: „Sinkt die Gefahr, dann muss man die Maßnahmen zurücknehmen. Steigt die Gefahr, dann muss man ihr angemessen begegnen.“

Über Zugangsbeschränkungen durch 2G- oder 3G-Regeln sagte Buschmann, er sei persönlich skeptisch, „aber wir werden das jetzt sorgfältig besprechen“. Weitere Maßnahmen kann sich der Minister aber nicht vorstellen: „Nach allem, was wir wissen, sind meiner Ansicht nach Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren heute nicht mehr verhältnismäßig.“

Kassensturz der Bundesregierung: 53 Milliarden Euro für die Pandemie

Bis heute hat die Bundesregierung rund 53,2 Milliarden Euro im Gesundheitswesen aufgrund von SARS-CoV-2 ausgegeben. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage von Stephan Pilsinger (CSU) hervor. Zahlen müssten das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesamt für soziale Sicherung liefern.

Ein paar Details: 6,8 Milliarden Euro wurden zur Beschaffung von Impfstoffen eingesetzt. Und weitere 46,4 Milliarden Euro flossen in die Vergütung von Impfungen, in Impfzentren, in Bürger- und PCR-Tests, in Schutzmasken, Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser sowie Corona-Arzneimittel.

Länder fordern baldige Anpassung des Infektionsschutzgesetzes

Am 1. Juli hat sich die Gesundheitskonferenz der Länder dafür ausgesprochen, dass die Regierung bald eine Anpassung des Infektionsschutzgesetztes vorlegen sollte. Ihre zentralen Forderungen:

  • Schaffung einer rechtssicheren Grundlage für weitere Maßnahmen über Masken- und Abstandsregeln hinaus

  • Testpflichten und Hygienekonzepte für Betreuungseinrichtungen mit vulnerablen Personen, für Kitas und für Schulen

  • Befugnisse, um Betreiber von Einrichtungen mit vulnerablen Menschen aufzufordern, Hygienekonzepte auszuarbeiten und umzusetzen

  • Rechtsgrundlagen, um im ungünstigsten Fall weitere Eindämmungsmaßnahmen zu ergreifen, etwa Immunitäts- oder Testnachweise

Die Zeit drängt, denn ein novelliertes Infektionsschutzgesetz muss noch durch den Bundesrat. Lauterbach sieht das ähnlich; er rechnet mit einem „schweren Herbst“ und mit „hohen Fallzahlen“. Einen Lockdown schließt er jedoch aus.

Skepsis: Ärzte in Deutschland verordnen Paxlovid® zu selten

Von der Prävention zur Therapie. Bereits im Januar 2022 hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Paxlovid® zur Zulassung empfohlen. Studie hatten gezeigt, dass sich die Morbitität und Mortalität durch COVID-19 bei Patienten mit mindestens 1 Grunderkrankung signifikant verringert. Das bestätigen Real-World-Daten aus Hong Kong während der BA.2-Welle. Ein weiterer Vorteil ist die orale Anwendung; das schon länger bekannte Remdesivir wird dagegen als Infusion verabreicht.

Doch Ärzte aus Deutschland scheinen Paxlovid® mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Sie haben das Präparat bis April wohl erst 8.700-mal verordnet; neuere Zahlen gibt es nicht. „Es wird ein System mit Hausärzten vorbereitet, diese viel zu seltene COVID-Lebensrettung regelmäßiger einzusetzen“, schreibt Lauterbach jetzt. „Medikament haben wir genug.“

Übertragung von SARS-CoV-2 auch über längere Distanzen hinweg möglich

Immer wichtiger wird auch die Frage, wie sich Ansteckungsrisiken verringern lassen. Britische Forscher wollten wissen, welche Bedeutung aerogene Fernübertragungen haben. Ergebnisse ihrer Literaturübersicht haben sie im BMJ veröffentlicht.

Die Forscher fanden 22 Berichte zu 18 Studien. Dabei war die methodische Qualität in 3 Fällen hoch, in 5 Fällen mittel und in 10 Fällen niedrig. Bei allen Studien handelte es sich um Untersuchungen zu Ausbrüchen. In 16 Studien war eine Übertragung über weite Entfernungen durch die Luft recht plausibel.

Dabei erhöhten 1 oder mehrere Faktoren die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung über weite Entfernungen auf dem Luftweg, insbesondere ein unzureichender Luftaustausch, ein gerichteter Luftstrom und Aktivitäten, die mit einer erhöhten Emission von Aerosolen verbunden sind, wie lautes Singen oder Sprechen.  

„Obwohl es sich bei einigen der eingeschlossenen Studien um gut durchgeführte Ausbruchsuntersuchungen handelte, besteht aufgrund des Studiendesigns das Risiko einer Verzerrung und die Studien sind nicht immer so detailliert, wie es für eine vollständige Bewertung der Übertragungswege erforderlich wäre“, schreiben die Autoren.

Ihr Fazit: „Diese systematische Überprüfung ergab Hinweise darauf, dass die Übertragung von SARS-CoV-2 über weite Entfernungen durch die Luft in Innenräumen, etwa in Restaurants, an Arbeitsplätzen und bei Chören, stattfinden könnte.“ Gleichzeitig seien Risikofaktoren wie unzureichenden Luftaustausch identifiziert worden. „Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen in Innenräumen, insbesondere die Verwendung einer angemessenen Belüftung“, so die Autoren weiter.

Chronisch-Entzündliche Erkrankungen: Methotrexat vor Booster Shots besser absetzen

Neben nicht-pharmakologischen Strategien gehören Impfungen zu den wichtigsten Maßnahmen, um COVID-19 zu kontrollieren. Real-World-Daten zur Immunität großer Bevölkerungsgruppen gibt es etliche, doch wie reagieren Menschen mit geschwächtem Immunsystem? Mit dieser Frage haben sich Forscher aus Großbritannien jetzt befasst. Ihre Ergebnisse wurden in The Lancet Respiratory Medicine veröffentlicht.

Zwischen dem 30. September 2021 und dem 3. März 2022 rekrutierten Wissenschaftler 340 Teilnehmer mit rheumatoiden Erkrankungen und mit leitliniengerechter Therapie. Von ihnen wurden 254 in die Zwischenanalyse einbezogen und nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Gruppen zugeteilt wurden: 127 in der Gruppe mit Methotrexat-Therapie und 127 in der Gruppe, in der Methotrexat abgesetzt wurde. Die Methotrexat-Gabe wurde unmittelbar nach der COVID-19-Auffrischimpfung für 2 Wochen pausiert oder fortgeführt.

In der Kohorte lag das Durchschnittsalter bei 59,1 Jahren. 155 Teilnehmer (61%) waren weiblich. 130 (51%) hatten rheumatoide Arthritis und 86 (34%) litten an Psoriasis mit oder ohne Arthritis.

Nach 4 Wochen betrug der geometrische Mittelwert des Antikörpertiters gegen die S1-Rezeptorbindungsdomäne von SARS-CoV-2 genau 22.750 U/ml (95%-KI 19.314-26.796) in der Gruppe mit Therapiepause. In der Vergleichsgruppe mit durchgehender Methotrexat-Behandlung fanden die Wissenschaftler 10.798 U/ml (95%-KI 8.970-12.997).

Bei dem Effekt spielten die anfängliche Methotrexat-Dosis, der Verabreichungsweg, die Art der entzündlichen Erkrankung, das Alter, das COVID-19-Vakzin und COVID-19-Infektionen in der Vorgeschichte keine Rolle. Es gab keine interventionsbedingten schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse.

„Diese einfache, kostengünstige und leicht umzusetzende Maßnahme könnte die Wirksamkeit des Impfstoffs und die Dauer des Schutzes für anfällige Gruppen erhöhen“, so das Fazit der Autoren.

 

Kommentar

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