Testosteronmangel bei Diabetes und Adipositas: Tipps zu Diagnose und Therapie – und: Contra „Cholesterinlüge“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

30. Juni 2022

Männer mit Typ-2-Diabetes tragen ein erhöhtes Risiko für einen Testosteronmangel. Ein Hypogonadismus ist wiederum häufig mit einem metabolischen Syndrom oder Typ-2-Diabetes assoziiert. Ein spezieller Handlungsbedarf leitet sich daraus aber nicht ab, stellte Prof. Dr. Stephan Petersenn, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE) auf der gemeinsamen Pressekonferenz von DGE und Deutscher Diabetes Gesellschaft (DDG) klar [1].

 
Auch bei Patienten mit Diabetes oder/und Adipositas folgt ein Screening den allgemeinen Empfehlungen zur Diagnostik eines Hypogonadismus. Prof. Dr. Stephan Petersenn
 

„Auch bei Patienten mit Diabetes oder/und Adipositas folgt ein Screening den allgemeinen Empfehlungen zur Diagnostik eines Hypogonadismus“, betonte Petersenn und verwies auf die aktuelle Leitlinie der Endocrine Society. Nach dieser stellen Adipositas oder Diabetes isoliert keinen Grund für ein Screening auf einen Testosteronmangel dar.

Weil eine ausgeprägte Adipositas aber zu einem funktionellen Hypogonadismus beitragen kann, sollte nach spezifischen Symptomen eines Testosteronmangels gefahndet werden.

Typische Symptome sind: abnehmende Libido, Erektionsstörungen, fehlende Morgenerektionen, Spannungsgefühl im Brustbereich, Gynäkomastie, abnehmende Sekundärbehaarung und nachlassende Rasurfrequenz, Involution der Hoden, Infertilität, Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Anzeichen einer Osteoporose.

Unspezifisch kann sich ein Testosteronmangel äußern in: verminderter Energie, abnehmender Leistung und muskulärer Kraft, Depressivität, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, nachlassender Gedächtnisleistung, Müdigkeit und zunehmender Fettmasse.

Zur Bestimmung des Testosteronspiegels SHBG miteinbeziehen

Petersenn empfahl zur Bestimmung des Testosteronspiegels die SHBG-Spiegel (Sexualhormonbindendes Globulin) zur Interpretation einzubeziehen bzw. BMI-abhängige Testosterongrenzwerte zu berücksichtigen. Hintergrund ist, dass das freie Testosteron nur etwa 0,5 bis 3% des Gesamttestosterons ausmacht, der überwiegende Anteil ist an Albumin und SHBG gebunden.

Erniedrigte SHBG-Spiegel werden bei Adipositas, Diabetes mellitus, nephrotischem Syndrom, Hypothyreose und Akromegalie und unter Glukokortikoid-Therapie gefunden, erhöhte SHBG-Spiegel im höheren Lebensalter, bei Hepatitis und HIV, bei einer Hyperthyreose sowie unter Therapie mit bestimmten Antiepileptika.

Ist der Gesamttestosteronspiegel erniedrigt, sollte unter Berücksichtigung des SHBG das freie Testosteron berechnet werden. Es kann nach Bestimmung von Gesamttestosteron, Albumin und SHBG mit Annäherungsformeln, z.B. nach Vermeulen, abgeschätzt werden. Liegt das Gesamttestosteron im Normbereich, ist nicht von einem behandlungsbedürftigen Hypogonadismus auszugehen.

Sowohl bei Adipositas als auch bei Diabetes ist das Ziel einer Substitution, die spezifischen Symptome zu verbessern, und nicht primär, eine Gewichtsabnahme zu unterstützen oder eine bessere glykämische Kontrolle zu erreichen.

Diagnose Hypogonadismus erst nach mehrmaligen Messungen morgens

Bei der Einschätzung des Testosteronspiegels sollte berücksichtigt werden, dass der Spiegel bei Männern ab dem 40. Lebensjahr um 1 bis 2% pro Jahr abfällt. Berücksichtigt werden sollte auch die zirkadiane Rhythmik von Testosteron mit maximalen Serumspiegeln in den frühen Morgenstunden und um bis zu 24% niedrigeren Spiegeln im Tagesverlauf, ein Abfall des Testosterons um bis zu 25% bei nicht-nüchterner Blutentnahme und der Einfluss akuter Erkrankungen und bestimmter Medikamente (Opiate, Glukokortikoide).

 
Testosteron zeigt eine erhebliche Variabilität von Tag zu Tag, so dass mindestens 2 unabhängige Testosteronbestimmungen zur Diagnose eines Hypogonadismus notwendig sind. Prof. Dr. Stephan Petersenn
 

Petersenn wies darauf hin, dass der Grenzwert, bei dem typische Symptome eines Testosteronmangels auftreten, die sich durch Substitution verbessern lassen, bislang nicht sicher etabliert ist und sich auch für die einzelnen klinischen Symptome unterscheidet.

Für die meisten Männer entspricht er dem unteren Grenzwert des Normalbereichs junger Männer von etwa 10,4 nmol/l (3 mg/ml). Aktuelle Leitlinien schlagen deshalb vor, die Diagose Hypogonadismus dann zu stellen, wenn bei den morgendlichen Testosteronspiegeln wiederholt Werte unterhalb dieses Grenzwerts gemessen werden.

Petersenn erinnerte daran, dass Einzelmessungen kritisch zu werten sind, weil 30% der Männer mit leicht erniedrigten Testosteronwerten bei der Erstbestimmung später Normalwerte bei der Wiederholungsmessung zeigen. „Testosteron zeigt eine erhebliche Variabilität von Tag zu Tag, so dass mindestens 2 unabhängige Testosteronbestimmungen zur Diagnose eines Hypogonadismus notwendig sind“, betonte Petersenn.

Die Messwerte sollten unter Einbezug von Alter und BMI interpretiert werden, und eine Spiegelbestimmung während einer akuten Erkrankung sei nicht sinnvoll.

Ziel der Substitution beim Mann ist eine stabile Normalisierung der Serumspiegel. Zu erwarten sei eine Zunahme der sexuellen Fantasie und Aktivität und der nächtlichen Erektionen. Beobachtet wird ein vermehrtes Haarwachstum, eine Zunahme der Muskelkraft bei gleichzeitiger Abnahme der Fettmasse und eine Zunahme der Knochendichte. Häufig nehmen auch Energie und Leistungsfähigkeit zu.

Weil Prostatakarzinome eine hohe Abhängigkeit von hormonellen Stimuli zeigen, stellen sie relative Kontraindikationen für eine Testosteronsubstitution dar. Vor Beginn einer Substitution ist deshalb immer eine urologische Untersuchung einschließlich Sonografie der Prostata und PSA-Bestimmung nötig – wobei niedrige PSA-Werte ein okkultes Prostatakarzinom bei niedrigem Testosteronspiegel nicht ausschließen.

Weitere Kontraindikationen stellen ein Hämatokrit über 50%, therapieresistente Harnwegsinfekte bei Prostatahyperplasie und die therapierefraktäre Herzinsuffizienz dar.

Cholesterin: Unsachliche Diskussionen schaden der Therapieakzeptanz

Während in den aktuellen Leitlinien die Zielwerte des LDL-Cholesterins für Patienten mit sehr hohem Risiko erneut abgesenkt wurden (von 70 mg/dl auf <55 mg/dl), laufen in den Medien mitunter vehement geführte Diskussionen über die sogenannte „Cholesterinlüge“.

„Dabei ist die kausale Rolle des LDL-Cholesterins bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen lange und wissenschaftlich unumstritten nachgewiesen: Je höher das LDL-Cholesterin, desto höher das Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden“, erklärte Prof. Dr. W. Alexander Mann, Ärztlicher Leiter des Endokrinologikums in Frankfurt am Main.

Die unsachliche Diskussion über die Bedeutung des Cholesterins sei, so Mann, „der notwendigen Akzeptanz einer Therapie nicht förderlich“. Zumal die meisten Erkrankten aktuell noch nicht zielwertgerecht therapiert sind. Die Ergebnisse der EUROASPIRE V-Studie zeigen, dass in Deutschland das LDL-Cholesterin bei weniger als 30% der Betroffenen unter dem damaligen Zielwert von 70 mg/dl liegt.

 
Die kausale Rolle des LDL-Cholesterins bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen ist lange und wissenschaftlich unumstritten nachgewiesen. Prof. Dr. W. Alexander Mann
 

Die cholesterinsenkende Therapie ist ein zentraler Baustein in der Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse. Bei hohem oder sehr hohem Risiko in der Sekundärprävention ist eine pharmakologische Therapie zur Erreichung der Zielwerte unverzichtbar, betonte Mann.

Die Studienergebnisse von FOURIER und ODYSSEY zeigten, dass es keinen unteren LDL-C-Grenzwert bei der Reduktion des kardiovaskulären Risikos gibt, so Mann. Auch negative Folgen sehr niedriger LDL-C-Spiegel wurden nicht nachgewiesen. Anders als bei Blutzucker und bei Blutdruck gebe es keine so genannte „J-Kurve“. Ein hohes HDL-Cholesterin reicht auch nicht, um das kardiovaskuläre Risiko eines erhöhten LDL-C auszugleichen.

Hervorragend ausgestatteter Werkzeugkasten wird zu wenig genutzt

Zur zielwertgerechten Therapie erhöhter LDL-C-Werte gibt es verschiedene therapeutische Optionen, die in Form eines Stufenschemas eingesetzt werden. Therapiert wird zunächst mit Statinen; hier sind vor allem die stark wirksamen Statine Atorvastatin und Rosuvastatin sinnvoll. „5 Millionen Menschen werden in Deutschland mit Statinen behandelt“, so Mann. In Deutschland wird in der Regel zielwertgerecht auftitriert; bei manchen Patienten können bereits 5 mg Rosuvastatin zu deutlichen LDL-C-Senkungen führen.

Sollte der Zielwert unter 40 (80) mg Atorvastatin beziehungsweise 20 (40) mg Rosuvastatin nicht erreicht werden, wird der Cholesterinabsorptionshemmer Ezetimib hinzugegeben. Mit dieser Kombinationstherapie lässt sich das LDL-C um über 60% reduzieren.

Wichtigste Nebenwirkungen der Statintherapie sind Muskelbeschwerden. „10% der Patienten berichten davon“, so Mann. Er plädierte dafür, mögliche Nebenwirkungen gegenüber Patienten offensiv thematisieren und darüber aufzuklären: „Das stellt sicher, dass der Patient seine Medikamente auch einnimmt.“

Sind die Nebenwirkungen zu einschneidend, komme ein Wechsel auf ein anderes, u.U. schwächeres Statin infrage, eine Dosisreduktion oder der Einsatz alternativer Präparate wie Bempedoinsäure in Kombination mit Ezetimib oder Ezetimib alleine.

 
Wir haben für die Cholesterinsenkung einen hervorragend ausgestatteten Werkzeugkasten zur Verfügung – doch der wird zu wenig genutzt. Prof. Dr. W. Alexander Mann
 

PCSK9-Inhibitoren werden bei Erkrankten mit schwerer familiärer Hypercholesterinämie und hochpositiver Familienanamnese und insbesondere in der Sekundärprävention eingesetzt. Mit diesen subkutan zu gebenden Antikörpern kann eine zusätzliche LDL-C-Senkung von 50 bis 60% bei sehr günstigem Nebenwirkungsprofil erreicht werden.

Eine weitere therapeutische Option besteht in Inclisiran, einem antisense-Oligonukleotid gegen PCSK9. Ultima ratio ist die Lipidapherese.

Mit Spannung erwartet wird ein antisense-Oligonukleotid gegen Lipoprotein. „Wir haben für die Cholesterinsenkung einen hervorragend ausgestatteten Werkzeugkasten zur Verfügung – doch der wird zu wenig genutzt“, schloss Mann.
 

Kommentar

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