Gentest für Suizidgefahr: Biomarker im Blut konnte bei manchen Patienten mit Depressionen erhöhtes Risiko aufzeigen

Megan Brooks

Interessenkonflikte

30. Juni 2022

Mithilfe neu entdeckter Biomarker im Serum könnte sich bei Patienten mit schweren depressiven Störungen (MDD) ein erhöhtes Suizidrisiko erkennen lassen. Eine Forschungsgruppe fand heraus, dass Patienten mit MDD, die sich das Leben nahmen, eine bestimmte Genexpressionssignatur im Blut aufwiesen. Diese unterschied sich von Patienten, die zwar ebenfalls schwere depressive Störungen hatten, aber auf andere Weise verstorben waren.

Die Signatur umfasst Gene, die an Veränderungen der Stressreaktion beteiligt sind, einschließlich des Polyaminstoffwechsels, des zirkadianen Rhythmus, einer Dysregulation des Immunsystems und des Erhalts der Telomere. Ihre Ergebnisse veröffentlichten Erstautorin Dr. Firoza Mamdani vom Department of Psychiatry & Human Behavior der University of California Irvine School of Medicine und ihre Kollegen jüngst online in Translational Psychiatry  [1].

Ein Schritt hin zur Entwicklung eines Bluttests auf Suizidalität

„Diese Marker im Blut könnten ein wichtiger Schritt hin zur Entwicklung eines Bluttests sein, mit dem sich Patienten mit akutem Suizidrisiko identifizieren lassen könnten“, erklärte Studienleiter Dr. Adolfo Sequeira, ebenfalls vom Department of Psychiatry & Human Behavior der University of California Irvine School of Medicine, in einer Pressemitteilung.

 
Diese Marker im Blut könnten ein wichtiger Schritt hin zur Entwicklung eines Bluttests sein, mit dem sich Patienten mit akutem Suizidrisiko identifizieren lassen. Dr. Adolfo Sequeira
 

„Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die Blut- und Gehirnproben in einer genau definierten Population von Patienten mit schweren depressiven Störungen analysiert und signifikante Unterschiede bei der Genexpression im Zusammenhang mit vollendetem Suizid aufgezeigt hat“, fügte er hinzu.

Rechtzeitige Identifikation von suizidgefährdeten Menschen ist „drängende Herausforderung“

Die Suizidrate in den USA ist seit der Jahrtausendwende um mehr als 35% gestiegen, wobei allein im letzten Jahr mehr als 48.000 Menschen durch Suizid starben. In Deutschland lag die Rate im selben Zeitraum immer zwischen 9.000 und 11.000 Suiziden pro Jahr, mit leicht sinkender Tendenz. Eine MDD  ist auch hierzulande die häufigste Diagnose bei vollendeten Suiziden. Die Identifikation von Personen mit dem höchsten Suizidrisiko sei weiterhin eine „drängende Herausforderung“, schreiben die Forschenden.

Sie suchten nach Veränderungen in der Genexpression im Zusammenhang mit Suizid in archivierten postmortal entnommenen Blut- und Gehirnproben von Erwachsenen mit schweren depressiven Störungen. Sie waren entweder durch Suizid (MDD-S) oder auf andere Weise (MDD-NS) gestorben. Außerdem untersuchten sie Proben einer Kontrollgruppe ohne psychiatrische Erkrankungen.

Signifikante Unterschiede im Expressionsmuster von 14 Genen

Insgesamt wurden Blut- und Gehirnproben von 45 Erwachsenen untersucht, darunter 53 Blutproben und 69 Gewebeproben aus dem dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC).

Im Blut identifizierten die Forschenden 14 Gene, die eine signifikante Unterscheidung zwischen MDD-S und MDD-NS erlaubten. Die 6 wichtigsten Gene, die im Blut unterschiedlich exprimiert wurden, waren PER3, MTPAP, SLC25A26, CD19, SOX9 und GAR1.

Unterschiedliche Expressionsveränderungen in Blut und Gehirn

Zusätzlich zeigten 4 dieser Gene signifikante Veränderungen im Gehirn und im Blut zwischen den Gruppen MDD-S und MDD-NS. In der MDD-S-Gruppe war SOX9 sowohl in den Blut- als auch in den Hirnproben vermindert, während PER3 erhöht war. Dagegen waren CD19 und TERF1 im Blut erhöht und im DLPFC vermindert.

SOX9 ist ein astrozytärer Marker im Gehirn und ein B-Zell-Marker im Blut. Es ist gezeigt worden, dass das Gen im Vergleich zu Kontrollen bei MDD-S im präfrontalen Kortex nachweislich vermindert ist.

In der vorliegenden Studie war die SOX9-Expression sowohl im Blut als auch im Gehirn von MDD-S-Patienten im Vergleich zu MDD-NS-Patienten signifikant reduziert, was „auf ähnliche Immun-/Astrozyten-Dysregulationen bei Suizid hindeutet, die weiter untersucht werden könnten“, so die Forschenden.

PER-Gene könnten Anfälligkeit für MDD und Suizidalität erhöhen

Das PER3-Gen ist an Schlafstörungen beteiligt, die mit Verschiebungen im zirkadianen Rhythmus einhergehen. Es wird außerdem vermutet, dass es die Anfälligkeit für eine MDD erhöht. In früheren Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Mutationen in PER3 Auswirkungen auf mehrere Systeme haben, etwa auf das Ansprechen auf Antidepressiva. Und eine erhöhte Expression von PER1 im Blut sei zudem bei Frauen mit Suizidalität in Verbindung gebracht worden, merken die Forschenden an.

Die Forschungsgruppe um Sequeira stellte weiterhin fest, dass MDD-S-Patienten im Vergleich zu MDD-NS-Patienten im Blut deutlich höhere Spiegel von 2 Entzündungsmarkern (CD19- und CD6-Gene) aufwiesen.

Beteiligung mitochondrialer Gene am Suizid – mögliche Marker?

Ein weiterer „signifikanter“ Befund sei die Beteiligung mehrerer mitochondrialer Gene am Suizid gewesen. Zwei Kerngene, die für die in den Mitochondrien lokalisierten Proteine MTPAP (eine mitochondriale Poly(A)-Polymerase) und den mitochondrialen Polyamintransporter SLC25A26 kodieren, waren im Blut von MDD-S-Patienten gegenüber MDD-NS-Patienten und der Kontrollgruppe erhöht.

Dies deute darauf hin, dass „mitochondriale Veränderungen als potenzielle Marker fungieren könnten, um MDD-S von MDD-NS-Patienten und auch von Kontrollpatienten zu unterscheiden, schreibt die Forschungsgruppe.

 
Mitochondriale Veränderungen könnten als potenzielle Marker fungieren, um MDD-S von MDD-NS-Patienten und auch von Kontrollpatienten zu unterscheiden. Dr. Firoza Mamdani und Kollegen
 

Die Wissenschaftler ergänzen, dass Gene, die bei Suizid fehlreguliert sind, künftig potenzielle Ziele für medikamentöse Therapien zur Verhinderung eines Suizides sein könnten. Zudem könnten sie genutzt werden, um einen molekularen Test zu entwickeln, mit dem sich Personen mit hohem Suizidrisiko identifizieren ließen.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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