Die Tage des „gelben Scheins“ sind gezählt. Denn am 1. Juli 2022 fällt der Startschuss zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), jedenfalls der 1. Schritt hin zur Einführung der eAU. Das heißt für die ausstellenden Ärztinnen und Ärzte konkret: Ab dem 1. Juli müssen sie die Krankmeldungen ihrer Patientinnen elektronisch an die Krankenkassen weitergeben.
Für die Ärzte bedeutet das eine nur gebremste Freude, denn zunächst einmal müssen sie mehr Handgriffe tun, um ihren Patienten, den Kassen und Arbeitgebern die Krankschreibung zu quittieren. Beim „Brot-und-Butter-Geschäft“ vor allem in den Hausarztpraxen wird es bei der eAU also erstmal komplizierter. Profiteure des 1. Schritts indessen sind die Krankenkassen.
Der Beginn wurde mehrfach verschoben, zuletzt auf den 1. Juli 2022. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte ihren Mitgliedern in den rund 100.000 Praxen in Deutschland mit einer entsprechenden Richtlinie etwas Luft verschafft und den Einführungszeitpunkt vom 1. Januar 2022 um ein halbes Jahr nach hinten verschoben.
„Massive technische Probleme“
In dieser Zeit war und ist die Krankschreibung mit dem „Muster 1“ immer noch möglich. „Die Politik hätte die KBV-Richtlinie, die ja per se kein Gesetz ist, einfach abschmettern können“, sagt Reza Mazhari, Fachreferent E-Health, Digitalisierung & IT in der Praxis bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). „Aber zum Zeitpunkt der KBV-Initiative konnten von den mehr als 140 verschiedenen Anbietern von Praxisverwaltungssystemen einige wenige die entsprechenden technischen Voraussetzungen bieten, die auch funktionsfähig wären.“
Tatsächlich berichteten viele Praxischefs von massiven technischen Problemen. Zwar verfügten zu Jahresbeginn bereits rund 40% aller Praxen über das Softwaremodul für die eAU. Aber nur jede 5. Praxis konnte die elektronische Krankmeldung auch versenden. Das ist eines der Ergebnisse einer KBV-Umfrage zu Jahresbeginn 2022.
Vor allem haperte es offenbar beim KIM-Dienst (KIM: Kommunikation im Medizinwesen), dem internen einheitlichen Standardprogramm für die elektronische Übermittlung medizinischer Dokumente aller, die an die Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen sind. Auch die Krankmeldungen werden per KIM-Dienst versandt, außerdem eArztbriefe, Heil- und Kostenpläne und viele weitere digitale Dokumente.
Neben Ärzten und Zahnärzten werden sich demnächst auch Pflegeeinrichtungen sowie der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) anschließen, schreibt die gematik auf Anfrage. Bei den deutlichen Problemen mit der Technik pochte die KBV darauf, die e-AU ein halbes Jahr später einzuführen.
Die Verschiebung bedeutet aber nicht, dass gar keine Praxen den ersten Schritt zur Einführung bereits gegangen wären. So zeigt das TI-Dashboard der gematik, dass wöchentlich mehr als 500.000 eAU ausgestellt und an die Kassen übermittelt werden. Bisher waren es seit dem 1. Oktober 2021 insgesamt 9.444.304 eAU.
„Einen KIM-Anschluss haben derzeit mehr als 56.000 Arztpraxen und 28.000 Zahnarztpraxen“, teilt die gematik auf Anfrage von Medscape mit. „Wir gehen nach dem Motto vor: Wer kann, der soll“, kommentiert eine Sprecherin der KBV.
Einzig die Kassen profitieren
Doch statt zu entlasten macht die eAU derzeit mächtig Arbeit und ärgert die Ärztinnen und Ärzte. Denn einzig der Weg zu den 97 Krankenkassen ist bisher für den digitalen Austausch geebnet. Die Arbeitgeber und die Patientinnen und Patienten erhalten die Krankmeldung immer noch wie üblich auf einem Formular, das die Ärztinnen jeweils ausdrucken und unterschreiben müssen. „Für die Kassen ist die Regelung optimal, für die Ärzte bedeutet sie doppelte Arbeit“, resümiert Mazhari von der KVN.
Noch mehr Arbeit sogar haben Ärzte, wenn KIM ausfällt oder gestört ist, was immer noch oft vorkommt. Dann muss auch der Schein für die Kasse ausgedruckt und signiert werden. Da wünscht sich mancher Hausarzt die Zeiten des gelben Scheins zurück.
Entlastung dürfte erst der 1. Januar kommenden Jahres verschaffen. Denn ab dann soll die Weiterleitung der Daten an den Arbeitgeber nur noch digital erfolgen. Dies geschieht durch die Kassen – sie stellen den Arbeitgebern die AU-Informationen elektronisch zur Verfügung.
Das hat für die Ärztinnen und Ärzte zur Folge, dass auch die papierenen Krankschreibungen (die „Stylesheets“) für den Arbeitgeber und den Patienten über den 1. Juli 2022 hinaus bis zum 31. Dezember 2022 weiter ausgedruckt werden müssen. Auf Wunsch der Patienten wird auch ein unterschriebener Ausdruck für den Arbeitgeber ausgestellt.
Praxen, die nach dem 1. Juli 2022 noch nicht über den KIM-Dienst verfügen, aber in ihrem Praxisverwaltungssystem bereits das eAU-Modul vorhalten, müssen das vorgesehene Ersatzverfahren anwenden. Dabei erhalten die Patienten eine mittels Stylesheet erzeugte papiergebundene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Ausfertigungen Versicherter, Krankenkasse und Arbeitgeber). Auf die gelben Scheine müssten sie ganz verzichten. Sie werden ab dem 1. Juli 2022 nicht mehr gedruckt.
Credits:
Lead Image: Ralf Liebhold/Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Vorsicht Mehrarbeit! Am 1. Juli wird´s ernst, die elektronische AU-Bescheinigung startet – was jetzt zu beachten ist - Medscape - 29. Jun 2022.
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