Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.
Corona-Newsblog, Update vom 27. Juni 2022
Viele Experten sprechen angesichts hoher Zahlen von der „Sommerwelle“: Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, 591,9 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 24. Juni lag der Wert bei 618,2.
„In Deutschland dominiert seit 5 Monaten mit gegenwärtig über 99% die Omikron-Variante“, schreibt das RKI im aktuellen Wochenbericht. „Der Anteil der Omikron-Sublinie BA.5 lag in KW 23 bei 50%, sie ist zur dominierenden Variante geworden. Die starke proportionale Zunahme dieser Variante gemeinsam mit BA.4 und BA.2.12.1 setzt sich weiter fort.“
Intensivstationen: Viele Betten, wenig Personal
Neue Testverordnung: Weiterhin Bürgertests – aber teils mit Eigenanteil
Schnelltest: Bei symptomlosen Omikron-Infektionen werden die Erwartungen nicht erfüllt
Regierung will Immunität der Bevölkerung untersuchen – Streek leitet Studie
Long-COVID: So stark sind Kinder betroffen
Neuer Protein-basierter Impfstoffkandidat wirksam gegen Omikron
Modellierung: Impfungen haben weltweit 20 Millionen Todesfälle verhindert
Intensivstationen: Viele Betten, wenig Personal
Prof. Dr. Christian Karagiannidis vom Corona-Expertenrat der Bundesregierung und von der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat sich angesichts steigender Zahlen mit deutlichen Warnungen zu Wort gemeldet – und es geht nicht um fehlende Intensivbetten.
„Die Personalsituation auf den Intensivstationen ist enorm angespannt“, so Karagiannidis. Von 1.300 Intensivstationen hätten Mitte Juni rund 580 erhebliche Personalengpässe gemeldet, inzwischen seien es rund 630. „Wir hatten in den vergangenen Jahren noch nie so wenig betreibbare High-Care-Betten zur Verfügung wie derzeit.“ Strategien für mehr Fachkräfte nennt der Experte im Interview jedoch nicht.
Woran es – neben hohen Krankenständen und unbesetzten Stellen – liegen könnte, erklärt der Marburger Bund: „Etliche Ärztinnen/Ärzte und Pflegekräfte machen praktisch nichts anderes als kodieren und abrechnen. Schuld daran sind gesetzliche Rahmenbedingungen und die Misstrauenskultur der Krankenkassen.“ Er fordert, Fachkräfte stärker von bürokratischen Aufgaben zu entlasten.
Neue Testverordnung: Weiterhin Bürgertests – aber teils mit Eigenanteil
Antigen-basierte Schnelltests gehören weiterhin zur Strategie der Bundesregierung: Mit Inkrafttreten der neuen Testverordnung am 30. Juni wird es weiterhin Bürgertests geben, wenn auch mit strengerer Kontrolle aufgrund etlicher Betrugsfälle. „Es geht darum die Testzentren zu erhalten, Infektionsketten zu unterbrechen – indem die Tests dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen haben – und Betrug und Missbrauch zu reduzieren“, sagt Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach.
Vulnerable Gruppen oder Personen in einem Risiko-Setting erhalten weiterhin kostenlose Schnelltests. Dazu zählen Kinder bis 5 Jahren, Schwangere im 1. Trimenon, Krankenhaus- und Pflegeheimbesucher, Haushaltsangehörige von Infizierten, Bewohner von Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden sollten. Alle anderen Bürger müssen 3 Euro Eigenanteil leisten.
Die Vergütungen für Arztpraxen oder Apotheken sinkt von 11,50 Euro auf 9,50 Euro pro Test. Handelt es sich um einen Test ohne medizinische Indikation, werden 3 Euro Eigenanteil abgezogen. Teststellen können damit nur noch 6,50 Euro abrechnen.
Auf Twitter schreibt Lauterbach. „Leider wird im Herbst der Steuerhaushalt immer knapper. Daher müssen wir Eigenbeteiligung von 3 Euro einführen. Kostenlos wäre mir auch viel lieber. Aber viele andere Länder haben die Tests gar nicht mehr.“
Schnelltest: Bei symptomlosen Omikron-Infektionen werden die Erwartungen nicht erfüllt
Eine Arbeit befasst sich mit der Zuverlässigkeit eines Antigen-Schnelltests in Omikron-Zeiten. Sportstudenten der Stanford University, die 90 Tage vor Studienbeginn keine SARS-CoV-2-Infektion hatten und zwischen dem 1. und 11. Januar 2022 auf den Campus zurückkehrten, unterzogen sich innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Ankunft auf dem Campus selbst einem Antigen-basierten Schnelltest. Zum Einsatz kam BinaxNOW® von Abbott Laboratories.
An der Studie nahmen 723 Studenten im Alter von 17 bis 23 Jahren teil. Von ihnen hatten 709 (98%) 2 Dosen des Pfizer- oder Moderna-Vakzins bzw. 1 Dosis Johnson & Johnson erhalten.
46 Teilnehmer (6,4%) hatten positive Befunde im Schnelltest; 35 von ihnen (76,1%) waren symptomatisch. Von diesen 35 Teilnehmern erhielten 12 innerhalb von 24 Stunden ein positives RT-PCR-Ergebnis, während bei den übrigen 23 ein positiver Befund vermutet wurde. Bei 27 Teilnehmern war der Schnelltest negativ, und innerhalb von 24 Stunden folgte ein positives RT-PCR-Ergebnis.
Insgesamt hatte der Schnelltest eine Sensitivität von 63,0% (95%-KI 51,9%-74,1%) und eine Spezifität von 99,8% (95%-KI 99,5%-100%).
Bei den symptomatischen Teilnehmern hatte die Schnelltest eine Sensitivität von 77,8% (95%-KI 65,6%-89,9 %).
Bei asymptomatischen Probanden lag sie bei 39,2% (95%-KI 21,2%-57,4%).
„Antigen-Schnelltests schnitten beim Nachweis der Omikron-Variante im Vergleich zu früheren Varianten ähnlich ab, mit hoher Spezifität, aber geringer Sensitivität, insbesondere bei asymptomatischen Personen“, kommentieren die Autoren. „Ihre Verwendung als Screening-Instrument für asymptomatische Infektionen im Rahmen einer weit verbreiteten Prävalenz der Omikron-Variante kann begrenzt sein.“
Regierung will Immunität der Bevölkerung untersuchen – Streek leitet Studie
Mit Schnelltests allein sieht sich die Regierung noch nicht gut auf den Herbst und Winter vorbereitet. Der Politik fehlten Daten zum Grad der Immunisierung in der Bevölkerung, sagt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Diese soll die Studie „Immunebridge“ nun liefern – unter Federführung des Bonner Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck. Er ist vielen Ärzten noch von der „Heinsberg-Studie“ bekannt.
„Wie stark die Belastung der Intensivstationen ausfallen wird, hängt auch davon ab, wie hoch die Grundimmunität ist“, erklärt Streek. „Es könnte auch sein, dass bestimmte Risikogruppen ihre Immunität schon vollständig verloren haben.“
Für die Studie sollen 29.500 Personen zu ihrem Impfstatus, zu SARS-CoV-2-Infektionen, zu Vorerkrankung und zu ihrer Einstellung in Bezug auf Impfungen befragt werden. Im nächsten Schritt erhalten sie per Post ein Kit zur Blutentnahme, das in Laboren ausgewertet wird. Ergebnisse der Studie werden im September erwartet, um gegebenenfalls mit Impfkampagnen nachzusteuern.
Long-COVID: So stark sind Kinder betroffen
Große Sorgen bereitet aber auch Long-COVID. Um die Prävalenz bei Kindern zwischen 0 und 14 Jahren genauer zu untersuchen, haben Forscher Daten einer dänischen Kohorte analysiert, und zwar auf der Grundlage von Fragebögen. Sie verglichen Angaben zu pädiatrischen Patienten mit Long-COVID mit Kindern ohne die Infektion.
Insgesamt gingen Antworten von fast 11.000 Kindern bzw. von deren Eltern und von Jugendlichen mit positivem COVID-19-Testergebnis ein. Diese Angaben wurden nach Alter und Geschlecht mit über 33.000 Kindern abgeglichen, die nie positiv auf COVID-19 getestet worden waren.
In den Erhebungen wurden die Teilnehmer nach den 23 häufigsten Symptomen von Long-COVID befragt, wobei die Definition der Weltgesundheitsorganisation zum Einsatz kam. Die am häufigsten genannten Symptome bei Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren waren Stimmungsschwankungen, Hautausschläge und Bauchschmerzen. Bei den 4- bis 11-Jährigen waren es vor allem Stimmungsschwankungen, Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen und Hautausschläge, und bei den 12-14-Jährigen Müdigkeit, Stimmungsschwankungen und Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen.
„Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Kinder nach einer SARS-CoV-2-Infektion in allen Altersgruppen mit höherer Wahrscheinlichkeit mindestens 1 Symptom über 2 Monate oder länger aufwiesen als die Kontrollgruppe“, schreiben die Autoren.
In der Altersgruppe zwischen 0 und 3 Jahren traten bei 40% (478 von 1.194 Kindern) Symptome länger als 2 Monate auf, verglichen mit 27% in der Kontrollgruppe (1.049 von 3.855 Kindern). In der Altersgruppe der 4- bis 11-Jährigen lag das Verhältnis bei 38% der Fälle (1.912 von 5.023 Kinder) gegenüber 34% der Kontrollen (6.189 von 18.372 Kindern), und in der Altersgruppe der 12-14-Jährigen traten bei 46% der Fälle (1.313 aller 2.857 Kinder) gegenüber 41% der Kontrollen (4.454 aller 10.789 Kindern) lang anhaltende Symptome auf.
Die Forscher haben recht überraschend festgestellt, dass Teilnehmer, bei denen COVID-19 diagnostiziert worden war, weniger psychologische und soziale Probleme hatten als die Kinder der Kontrollgruppe. Jugendliche fühlten sich oft weniger ängstlich, hatten weniger Schlafprobleme und machten sich weniger Sorgen darüber, was mit ihnen geschehen würde.
„Eine wahrscheinliche Erklärung dafür ist das erhöhte Pandemiebewusstsein bei Jugendlichen, während Probanden der Kontrollgruppe Angst vor der unbekannten Krankheit und ein eingeschränkteres Alltagsleben erlebten, weil sie sich vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen mussten“, schreiben die Autoren.
Neuer Protein-basierter Impfstoffkandidat wirksam gegen Omikron
Sanofi und GSK haben Daten ihrer Impfstoffstudie per Pressemeldung veröffentlicht. Untersucht wurde ein proteinbasierter, bivalenter Impfstoffkandidat, der neben dem Spike-Protein des Wildtyps auch eine Version der Beta-Variante von SARS-CoV-2 enthält.
In Schritt 2 der Phase-3-COVID-19-Impfstoffstudie VAT08 mit mehr als 13.000 Teilnehmern ab 18 Jahren zeigte der Impfstoffkandidat eine Wirksamkeit von 64,7% (95%-Konfidenzintervall 46,6%-77,2%) gegen symptomatische COVID-19-Infektionen und eine Wirksamkeit von 72% (95%-KI 45,8%-86,6%) gegen Omikron.
In zuvor seropositiven Populationen ergab sich eine Gesamtwirksamkeit von 75,1% (95%-KI 56,3%-86,6%) gegen symptomatische Infektionen und 93,2% (95%-KI 73,2%-99,2%) bei symptomatischen Fällen mit Omikron.
„In den Phasen 1 und 2 der VAT08-Studie (insgesamt ca. 23.000 Teilnehmer) zeigte der Impfstoff von Sanofi-GSK ein günstiges Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“, heißt es in der Meldung. Jetzt würden Daten des Booster-Impfstoffs der nächsten Generation Regulierungsbehörden vorgelegt.
Modellierung: Impfungen haben weltweit 20 Millionen Todesfälle verhindert
COVID-19-Impfstoffe haben die potenzielle weltweite Zahl der Todesopfer während der Pandemie im Jahr nach ihrer Einführung um mehr als die Hälfte reduziert, so eine mathematische Modellierungsstudie.
Um die Auswirkungen globaler Impfprogramme abzuschätzen, verwendeten die Forscher ein etabliertes Modell der COVID-19-Übertragung unter Verwendung von Daten auf Länderebene für offiziell erfasste COVID-19-Todesfälle, die zwischen dem 8. Dezember 2020 und dem 8. Dezember 2021 auftraten. In Ländern mit schlechteren Überwachungssystemen führten sie eine separate Analyse auf der Grundlage der Zahl der Todesfälle durch, die über den im gleichen Zeitraum erwarteten Todesfällen verzeichnet wurden. Wo keine offiziellen Daten verfügbar waren, arbeitete das Team mit Schätzungen der Gesamtsterblichkeit. Diese Analysen wurden mit einem alternativen hypothetischen Szenario verglichen, in dem keine Impfstoffe geliefert wurden.
Das Modell berücksichtigte Unterschiede bei den Impfraten zwischen den Ländern sowie Unterschiede bei der Impfstoffwirksamkeit in jedem Land, basierend auf den Impfstofftypen, von denen bekannt ist, dass sie in diesen Gebieten überwiegend verwendet wurden. Insbesondere wurde China aufgrund seiner großen Bevölkerung und sehr strenger Sperrmaßnahmen nicht in die Analyse einbezogen, was die Ergebnisse verzerrt hätte.
Die Forscher stellten fest, dass auf der Grundlage der offiziell erfassten COVID-19-Todesfälle während des Studienzeitraums schätzungsweise 18,1 Millionen Todesfälle aufgetreten wären, wenn keine Impfungen durchgeführt worden wären. Von diesen schätzt das Modell, dass die Impfung 14,4 Millionen Todesfälle verhindert hat, was einer globalen Reduzierung von 79% entspricht. Diese Ergebnisse berücksichtigen nicht die Untererfassung von COVID-19-Todesfällen in Ländern mit niedrigem Einkommen.
Deshalb führte das Team eine weitere Analyse auf der Grundlage der Gesamtzahl der überzähligen Todesfälle im gleichen Zeitraum durch. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die COVID-19-Impfung schätzungsweise 19,8 Millionen Todesfälle von insgesamt 31,4 Millionen potenziellen Todesfällen verhinderte, die ohne Impfung aufgetreten wären, was einer Reduzierung von 63% entspricht.
Mehr als drei Viertel (79%, 15,5 Millionen/19,8 Millionen) der abgewendeten Todesfälle waren auf den direkten Schutz vor schweren Symptomen zurückzuführen, was zu niedrigeren Sterblichkeitsraten führte. Die verbleibenden 4,3 Millionen abgewendeten Todesfälle wurden Schätzungen zufolge durch indirekten Schutz vor einer geringeren Übertragung des Virus in der Bevölkerung und eine geringere Belastung der Gesundheitssysteme verhindert.
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: Weiterhin Bürgertests – für viele mit Eigenbeteiligung; Impfungen haben weltweit 20 Millionen Todesfälle verhindert - Medscape - 27. Jun 2022.
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