Das Affenpocken-Virus breitet sich weltweit immer stärker aus. Weltweit sind 3.336 Fälle bekannt, davon 521 in Deutschland, Stand 22. Juni 2022. Seit Donnerstag beraten Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), ob sie empfehlen, eine „Notlage von internationaler Tragweite" auszurufen. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.
Warum steigen die Zahlen weltweit derart stark an?
WHO: Deutlich mehr Infektionen im Sommer?
Impfungen – derzeit nur für Risikogruppen
Inkubationszeit: 8,5 Tage, in seltenen Fällen auch bis zu 21 Tage
RKI: Tipps für die häusliche Isolation
UK: Schwierigkeiten bei der Nachverfolgung von Kontakten
Veränderungen im Genom: Daten aus Großbritannien
Warum steigen die Zahlen weltweit derart stark an?
Die Erkrankung wurde erstmals 1958 bei Laboraffen beobachtet; ab den 1970er-Jahren kam es immer wieder zu sporadischen Ausbrüchen in West- und Zentralafrika – ohne weltweites Krankheitsgeschehen.
Um die aktuelle Situation zu erklären, gibt es mehrere Hypothesen. „Vieles deutet darauf hin, dass das Virus schon eine ganze Weile unentdeckt zirkulierte, ohne dass die Überwachungssysteme ansprangen“, sagt Ifedayo Adetifa, Generaldirektor des nigerianischen Zentrums für Seuchenbekämpfung. Wahrscheinlich hätten Superspreading-Ereignisse zur Verbreitung beigetragen. Danach seien Menschen in ihre gewohnten Kontaktstrukturen zurückgekehrt und hätten das Virus weiterverbreitet. Ob sich das Virus besser dem menschlichen Organismus angepasst habe, sei jedoch unklar.
Zu den längerfristigen Trends, die möglicherweise zu den jüngsten Ausbrüchen beigetragen haben, gehören:
Einstellung der Pockenimpfprogramme
Eindringen von Menschen in bewaldete, unbewohnte Gebiete
Wachsende internationale Mobilität
WHO: Deutlich mehr Infektionen im Sommer?
Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, befürchtet, dass „das Potenzial für eine weitere Übertragung in Europa und anderswo im Sommer hoch ist“. Affenpocken hätten sich bereits vor dem Hintergrund mehrerer Massenansammlungen in der Region ausgebreitet. „In den kommenden Monaten bieten viele der Dutzenden von Festivals und großen Partys, die geplant sind, weitere Kontexte, in denen eine Verstärkung stattfinden kann“, so Kluge.
Impfungen – derzeit nur für Risikogruppen
Als Antwort auf den aktuellen Ausbruch hat die Europäische Kommission Verträge mit Bavarian Nordic abgeschlossen. Das Unternehmen soll insgesamt 109.090 Dosen des Pocken-Impfstoffs Imvanex® liefern. Davon profitieren alle 27 EU-Staaten sowie Norwegen und Island. Es handelt sich um ein Vakzin der 3. Generation; die Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat eine entsprechende Verwendung autorisiert.
In Deutschland hat die die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut Mitte Juni bereits Empfehlungen veröffentlicht. Sie rät bei der Postexpositionsprophylaxe (PEP) zu Imvanex®.
„Da der Impfstoff derzeit nur eingeschränkt verfügbar ist, sollte die PEP prioritär exponierten Kontaktpersonen angeboten werden“, so die STIKO. „Darüber hinaus sollten sowohl bei der PEP als auch bei der Indikationsimpfung Personen mit einer erhöhten Gefahr für einen schweren Verlauf (z.B. Personen mit Immundefizienz) bevorzugt geimpft werden.“
Menschen im Alter von 50 oder mehr Jahren sind oft noch gegen Pocken geimpft; später wurden Impfempfehlungen geändert. „In mehreren Beobachtungsstudien wurde gezeigt, dass die Impfung gegen Pocken bei der Vorbeugung von Affenpocken zu etwa 85% wirksam ist“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Daher kann eine vorherige Pockenimpfung zu einer milderen Erkrankung führen.“ Ein Hinweis auf eine vorherige Pockenimpfung finde sich meist als Narbe am Oberarm.
Inkubationszeit: 8,5 Tage, in seltenen Fällen auch bis zu 21 Tage
Neben Impfungen setzen Behörden auf die Rückverfolgung von engen Kontaktpersonen und deren Isolierung oder Quarantäne. Doch welche Zeit ist hier anzusetzen?
Bei einer älteren Arbeit analysierten Forscher Daten von 18 in den Niederlanden bestätigten Fällen mit Angaben zur Exposition und zum Auftreten erster Symptome. Je nach Übertragungsweg variierte die typische Dauer der Inkubationszeit zwischen 9 Tagen nach komplexer, invasiver Exposition, z.B. nach dem Kontakt mit verletzter Haut, und etwa 13 Tagen nach nicht-invasiver Exposition wie Tröpfcheninfektion oder Kontakt mit intakter Haut.
In ihrer in Eurosurveillance veröffentlichten Mitteilung argumentieren die Autoren, dass „angesichts der besonderen Arten der Exposition und der Unterschiede bei den Übertragungswegen die Inkubationszeit für Affenpocken bei den aktuellen Ausbrüchen auch unterschiedlich lang sein kann“.
Alle 31 im Labor bestätigten Affenpockenfälle, die bis Ende Mai 2022 in den Niederlanden festgestellt wurden, betrafen Männer im Alter von 23 bis 64 Jahren, die sich selbst als Männer beschrieben, die Sex mit Männern haben. Wissenschaftler analysierten die Verteilung der Inkubationszeiten auf Grundlage der Informationen über das Auftreten von Symptomen und die Expositionsgeschichte für Affenpocken bei 18 von ihnen.
Die Forscher schätzen die mittlere Inkubationszeit auf 8,5 Tage (95%-Konfidenzintervall: 6,6-10,9 Tage), wobei das 5. Perzentil 4,2 Tage und das 95. Perzentil 17,3 Tage betrug. Durch die Perzentile wird ein der Größe nach geordneter Datensatz in 100 umfangsgleiche Teile zerlegt.
Auf dieser Grundlage schätzen die Autoren, dass 2% aller Infizierten erst nach 21 Tagen Symptome entwickeln, was die derzeitige Verwendung von 21 Tagen für Quarantäne oder andere Ansätze zur Vermeidung infektiöser Kontakte unterstützt.
RKI: Tipps für die häusliche Isolation
Das RKI hat für Infizierte und für deren Angehörige zusammengestellt, worauf während der häuslichen Isolation zu achten ist. Das Infoblatt können Ärzte ihren Patienten mitgeben. Die wichtigsten Aspekte:
Bei jedem Kontakt sollten Patienten und Angehörige mindestens 1,5 m Abstand einhalten und einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Maske tragen.
Hautläsionen sind abzudecken, etwa durch einen geeigneten Verband.
Auf körperliche und sexuelle Kontakte sollte verzichtet werden; Kondome allein schützen nicht vor Infektionen.
Im gleichen Haushalt sollten keine Personen mit supprimiertem Immunsystem, keine Schwangeren und keine Kinder unter 12 Jahren leben.
Infizierte sind – soweit möglich – in einem eigenen Zimmer unterzubringen.
Auf gute Hygiene, vor allem auf Handhygiene, ist zu achten.
Oberflächen und sanitäre Einrichtungen sind regelmäßig mit handelsüblichen Präparaten zu desinfizieren.
Kleidung sollte bei mindestens 60°C gewaschen werden.
Die Isolation dauert, bis Schorf und Krusten abgeheilt sind bzw. abfallen, jedoch mindestens 21 Tage.
Eine Kondomnutzung im Anschluss daran für 8 Wochen wird empfohlen.
Angehörige sollten auch ohne Beschwerden für 21 Tage nach ihrem letzten Kontakt mit der erkrankten Person das Haus nicht verlassen.
UK: Schwierigkeiten bei der Nachverfolgung von Kontakten
Die Die UK Health Security Agency (UKHSA) berichtet über Probleme bei der Nachverfolgung der Kontakte Infizierter. In einem technischen Briefing schreibt sie, dass 98% der befragten Patienten während der Inkubationszeit Sex mit anderen Männern gehabt hätten.
Erschwerend kommt hinzu, dass 44% angaben, in den letzten 3 Monaten mehr als 10 Partner gehabt zu haben. Darunter waren teils Unbekannte, teils Urlaubsbekanntschaften aus anderen Ländern. Auch von Sex unter Drogeneinfluss wurde berichtet.
Damit gebe es häufig keine Kontaktdaten und auch keine Möglichkeiten, Sexualpartner zu warnen, schreibt die Agency.
Veränderungen im Genom: Daten aus Großbritannien
Außerdem berichtet die UK Health Security Agency (UKHSA) über neue Erkenntnisse aus genomischen Daten des Affenpockenvirus. Sie schreibt, dass der aktuelle britische Affenpockenstamm im Vergleich zum britischen Affenpockenstamm von 2018 genau 48 einzelne Mutationen in seinem Genom enthalte. 27 dieser Mutationen seien „stumm“, sie würden kein virales Protein verändern. Das ist etwa bei nicht-codierenden Sequenzen der Fall. Allerdings würden 21 Mutationen zu Veränderungen in viralen Proteinen führen.
Die Agency stufte 3 Mutationen in einem Protein als relevant ein. Dabei handelte es sich um B21/B22 (D209N, P722S, M1741I), einen T-Zell-Inhibitor, der zuvor in Laborumgebungen mit einer Zunahme der Schwere von Kuhpocken und der Sterblichkeit in Verbindung gebracht wurde. 4 weitere Mutationen wurden mit mittlerer Priorität eingestuft.
Während die Mutationen der Ausbruchsklade über das Genom verteilt waren, gab es eine kleine Untergruppe von Mutationen in Proteinen, die an der Virusübertragung, Virulenz oder Wechselwirkung mit antiviralen Medikamenten beteiligt sind, sagten Gesundheitsbeamte.
Der Artikel enthält Material vom Medscape.co.uk.
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Photographer: © Irina Starikova
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Affenpocken: Tipps für die häusliche Quarantäne; Inkubationszeit von bis zu 21 Tagen; Suche nach Ursachen - Medscape - 24. Jun 2022.
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